Wenn ich mich recht erinnere, war die Bestimmung von Dönitz als Nachfolger von Adi, noch nicht einmal nach damaligen Nazigesetzen legitim. Nachfolge per Bestimmung war nicht vorgesehen.
Wäre nicht Göring der legitime Nachfolger gewesen?
Mit dieser Fragestellung habe ich mich früher mal etwas eingehender beschäftigt:
Nach der ursprünglichen Fassung der Weimarer Reichsverfassung wurde der Reichspräsident durch den Reichskanzler vertreten, eine abweichende Regelung konnte durch Reichsgesetz vorgesehen werden namentlich für eine längerdauernde Vertretung. Zu einer Vertretung des Reichspräsidenten durch den Reichskanzler ist es nie gekommen. Nach Eberts Tod wurde nach Bestimmung durch ein Reichsgesetz der damalige Präsident des Reichsgerichts amtierender Reichspräsident bis zum Amtsantritt Hindenburgs.
Im Dezember 1932 legte die NSDAP-Reichstagsfraktion einen Entwurf zur Änderung der Reichsverfassung vor, der vorsah, dass die bisher praktizierte Regelung in die Verfassung geschrieben wurde, also die Stellvertretung des Reichspräsidenten immer durch den Präsidenten des Reichsgerichts geschah. Eine Begründung gab der Sprecher der NSDAP-Reichstagsfraktion allerdings nicht.
Hugenberg legte einen Gegenvorschlag vor, der in der Tat vorsah, dass der Reichspräsident schriftlich in einer Art "Testament" einen Vertreter selbst bestimmen könne. Letztlich stimmte aber die überwiegende Mehrheit des Reichstags für den Antrag der NSDAP, die Zustimmung des Reichsrats war Formsache (da damals schon weitgehend durch Reichskommissare gebildet). Die Regelung, dass der Präsident des Reichsgerichts den Reichspräsidenten vertreten sollte, wurde Teil der Verfassung.
Aus Sicht z. B. der SPD sollte die Regelung verhindern, dass sich ein etwa doch ernannter Kanzler Hitler ggf. auch die Rechte des Reichspräsidenten aneignen könnte. Dazu gleich mehr.
Nach dem Wortlaut der Verfassung hätte also nach Hindenburgs Tod der damalige Präsident des Reichsgerichts als Reichspräsident amtieren sollen, was aber nicht geschah. Wenige Tage, bevor Hindenburg starb, verabschiedete die Reichsregierung nämlich das Gesetz über das Staatsoberhaupt, das vorsah, die Ämter von Reichspräsident und Kanzler zusammen zu legen. Als Hindenburg starb, wurde nach diesem Gesetz Hitler automatisch auch Reichspräsident. Somit vereinigte er die Ämter des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers sowie die Führung der NSDAP als einziger Partei auf seine Person. Dies erinnert durchaus an Personalunionen, wie sie in der Sowjetunion und anderen kommunistischen Staaten vorkamen.
Die entscheidende Frage ist nun die, ob das Gesetz über das Staatsoberhaupt von 1934 überhaupt rechtswirksam sein konnte. Man ist versucht, diese Frage zu verneinen. Allerdings war bereits am 30. Januar 1934 das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches erlassen worden, und zwar nach den Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung durch verfassungsändernde Beschlüsse von Reichstag und Reichsrat, welch Letzterer allerdings danach zu existieren aufhörte, weil das Gesetz die Eigenständigkeit der Länder aufhob.
In dieses Gesetz wurde aber auch die schlichte Bestimmung aufgenommen:
Artikel 4. Die Reichsregierung kann neues Verfassungsrecht setzen.
Nach dieser Bestimmung hatte somit die Reichsregierung im Jahr 1934 tatsächlich das Recht, die Verfassung zu ändern.
Wenn wir uns dieses Gesetz nun ansehen, enthält es folgende Bestimmung:
§ 1. Das Amt des Reichspräsidenten wird mit dem des Reichskanzlers vereinigt. Infolgedessen gehen die bisherigen Befugnisse des Reichspräsidenten auf den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler über. Er bestimmt seinen Stellvertreter.
Hier taucht Hugenbergs Idee von Dezember 1932 in anderer Form wieder auf. Schlicht wird gesagt, dass Hitler das Recht habe, seinen Stellvertreter zu bestimmen. In welcher Form dies zu geschehen habe, sagt das Gesetz über das Staatsoberhaupt nicht. (Das sagt aber z. B. auch das Grundgesetz nicht, wenn es festhält, dass der Bundeskanzler einen der Bundesminister mit seiner Vertretung beauftragen könne.) Nachträglich wurde das Gesetz noch dem Volksentscheid unterworfen und angenommen.
Kurz vor seinem Tod fertigte Hitler eine Art "Testament" an, in dem er u. a. Goebbels zum Kanzler und Dönitz zum Reichspräsidenten bestimmte. Göring war bei ihm vorher in Ungnade gefallen, und wenn zwar allgemein dieser als "zweiter Mann" hinter Hitler und dessen möglicher Nachfolger angesehen wurde, so gab es entweder keine entsprechende schriftliche Festlegung, oder Hitler hat diese im Zorn vernichtet, bevor er das erhaltene "Testament" schrieb. Jedenfalls fertigte er vor seinem Selbstmord ein Papier aus, das die Ämter des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers an zwei andere Personen vergab.
Formal kann man dies als auf die Bestimmung von Paragraf 1 des Gesetzes über das Staatsoberhaupt vom August 1934 gestützt ansehen. Dieses Gesetz selbst kann wiederum auf das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches von Januar 1934 gestützt werden. Ersteres wurde dem Volksentscheid unterbreitet, Letzteres war von Reichstag und Reichsrat jeweils einstimmig beschlossen worden.
Rein Formal kann also die Ernennung von Dönitz zum (stellvertretenden) Reichspräsidenten als rechtlich abgestützt angesehen werden.
Ich liste aber mal ein paar Einwände auf:
- Paragraf 1 des Gesetzes über das Staatsoberhaupt legt die Ämter von Reichspräsident und Reichskanzler zusammen. Eine Trennung beider Ämter dürfte dann wohl nur durch eine Änderung dieses Gesetzes bzw. dessen Aufhebung unter Wiederaufleben der entsprechenden Regelungen der Weimarer Verfassung formal korrekt sein, eine eigenmächtige Trennung der Ämter durch "Testament" wäre wohl nicht erlaubt.
- Das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches war zwar formal von Reichstag und Reichsrat beschlossen worden, doch war der Reichstag bereits zu einem reinen Akklamationsorgan der NSDAP verkommen, seine Wahl durch das Verbot anderer Parteien und unabhängiger Kandidaten zur Farce geworden, er somit jedenfalls nicht ein Organ, das den "Volkswillen" unverfälscht repräsentieren konnte. Die Zusammensetzung des Reichsrats war ebenfalls nicht in Ordnung, da es hierzu ein Urteil des Staatsgerichtshofs gab, das besagte, dass der Reichsrat von "souveränen" Landesregierungen beschickt werden musste, was schon 1932 nicht mehr der Fall war, 1934 gar nicht mehr.
- Die Regierung Dönitz übte faktisch keine nennenswerte Regierungsgewalt aus. Sie ermächtigte noch die Spitzen der Wehrmacht zur Kapitulation. Das war so ziemlich der einzige Schritt, den man als "effektive" Regierungsgewalt auffassen kann. Insofern handelte es sich ohnehin um eine Art Schatten- oder Scheinregierung, bei der sich die Frage, ob sie rechtens bestellt wurde, letztlich erübrigt.