https://forumzwo.sonnenstaatland.com/index.php?topic=27.3000Selbsternannte „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ als Herausforderung
15.05.2018
Fachtagung
Die Szene der Reichsbürger umfasst immer mehr Personen, auch in Berlin. Sie wollen keine Bürger der Bundesrepublik Deutschland sein. Um dies zu begründen, bedienen sie sich allerlei kruder Argumentationen. Dass dies keine harmlose Marotte ist, haben die Übergriffe der letzten Monate gezeigt. Mit einer Melange aus Verschwörungstheorien und rechtsextremer Ideologie wird ein konfrontatives Auftreten gerechtfertigt, das die Repräsentanten des Staates vor erhebliche Herausforderungen stellt.
Mit der Kooperationsveranstaltung wollen die Berliner Landeszentrale für politische Bildung und die Abteilung Verfassungsschutz der Senatsverwaltung für Inneres und Sport über das Phänomen und seine Ausbreitung in Berlin aufklären und Handlungsmöglichkeiten mit Expertinnen und Experten aus den Bereichen Justiz, Verwaltung, Polizei und politische Bildung diskutieren.
Ort:
Berliner Landeszentrale für politische Bildung, Hardenbergstraße 22-24, 10623 Berlin, Besucherzentrum
Verantwortung:
Eine Kooperationsveranstaltung der Berliner Landeszentrale mit der Abteilung Verfassungsschutz der Senatsverwaltung für Inneres und Sport
Ansprechperson:
Thomas Gill, E-Mail, Telefon (030) 90227 4961
https://www.berlin.de/politische-bildung/veranstaltungen/veranstaltungen-der-berliner-landeszentrale/selbsternannte-reichsbuerger-und-selbstverwalter-als-herausforderung-688130.php
Heute fand die mit 103 Teilnehmern ausgebuchte Veranstaltung im "Amerika Haus" statt. (10:00 - 16:00)
Das Programm sah wie folgt aus:
Begrüßung
Lage in Berlin
Bernd Palenda (Leiter des Berliner Verfassungsschutzes)
Anschließend: Fragen und Diskussion
nach einer Pause (mit Imbiss u. Getränken
) dann vier Workshops in zwei Durchläufen, man konnte bzw. musste sich also für zwei Workshops entscheiden:
1.„Rechtliche Handlungsmöglichkeiten“, Matthias Weidling (Generalstaatsanwaltschaft Berlin)
2.„Das Profil des Reichsbürgers“, Jan-Gerrit Keil, Kriminalpsychologe (Landeskriminalamt Brandenburg) (s. unten)
3.„Wenn Reichsbürger und Verwaltung aufeinander treffen“, Reinhard Neubauer Justitiar (Landkreis Potsdam-Mittelmark) (s. unten)
4.„Zivilgesellschaftliche und politische Handlungsstrategien“, Jan Rathje (Amadeu Antonio Stiftung)
Wie sich herausstellte, waren
fast alle Teilnehmer Beschäftigte im öffentlichen Dienst, die die Veranstaltung als Fortbildungsmaßnahme oder im Rahmen des Bildungsurlaubs besucht haben. Die meisten wussten anscheinend nicht sehr viel über das Thema, manche hatten jedoch schon beruflich mit Reichsbürgern zu tun. Mein Eindruck war, dass die vorgetragenen Informationen schon sehr auf dieses Publikum zugeschnitten waren, weil es in erster Linie darum ging, den Leuten Handlungsempfehlungen mitzugeben. Für jemanden der sich also schon mehr mit dem Thema befasst hat, gab es kaum umwerfend Neues zu hören, allerdings hätte das dann auch den Rahmen gesprengt. Alles in allem war es eine runde Sache.
Herr Palenda vom Berliner Verfassungsschutz machte den Anfang. Er erläuterte zunächst, mit Hinweis auf Artikel 5 Berliner Verfassungsschutzgesetz, dass es auch Aufgabe des Verfassungsschutzes sei, die Öffentlichkeit zu informieren, ihr sozusagen "die Munition zu liefern", damit eben auch die Zivilgesellschaft tätig werden könne.
Er definierte die Begriffe Reichsbürger exakt am Wortlaut
„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen – unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht – die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren und deshalb die Besorgnis besteht, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen.
führte das aber inhaltlich noch ganz gut aus,
dann die Selbstverwalter und Prepper. Letztere seinen für den VS jedoch nur relevant, wenn es Kontakte mit extremistischen Kreisen gebe.
Dazu wurde das YT Video vom Berliner VS gezeigt, in dem auch Palenda auftritt.
* die verspoilerten Videos sind identisch mit den dort gezeigten*
Es folgten Zahlen mit Stand vom 31.3.18 ( (u.a. 16.500 Reichsbürger in Deutschland, 500 in Berlin -
wir haben das etwas aktueller im Wiki
) und ein sehr kurzer geschichtlicher Abriss der Szene, Sealand 1967, die "freeman" Bewegung in den USA der 70er Jahre, ein in Bern gegründeter "internationaler Justizgerichtshof" (? den ich unter dem Namen hinterher nicht finden konnte ?), Wolfgang Ebel.
Reichsbürger wurden als überwiegend männlich, alleinstehend und sozial isoliert, allerdings über Internet vernetzt, beschrieben.
Danach zeigte er die typischen Argumentations- und Verhaltensmuster der Reichsbürger, Vielschreiberei, Bedrohung, lautes Sprechen (Palenda nannte dies "die Lufthoheit gewinnen" wollen), UCC und Maltamasche.
Ausdrücklich erwähnt wurden Sürmeli (mit kurzem Filmausschnitt "ihr habt mir zu dienen!"), Staatenlos.info (ebenfalls mit Video)
und, "der Brüller, sozusagen der weibliche Leuchtturm unter den Reichsbürgern" (Palenda),
Heike Werding mit ihrem
Versuch das Rathaus Zehlendorf im November 2017 zu übernehmen.
Es folgten dann die Handlungsempfehlungen, kurz gesagt: Nicht inhaltlich diskutieren (es bringt nichts), unbeirrt seine Arbeit machen, im Fall der Eskalation die Polizei hinzuziehen.
Als Einstimmung auf das, was einen erwarten kann, wurde noch das Video vom "Amt für Menschenrechte" in der berliner Sonnenallee gezeigt.
In der anschließende Fragerunde ging es u.a. um die Dunkelziffer der Reichsbürgerzahlen, wie diese Zahlen erhoben worden sind und womit sich Reichsbürger finanzieren. Palenda hatte zuvor von Staatenlos.info als von welchen "der anderen Seite" gesprochen, die sich als Reichsbürger dem antifaschistischen Kampf verschrieben hätten. Jemand wies darauf hin, dass Staatenlos.info unter falschem label sehr wohl rechte (unser Boden) und antisemitische (Rothschild) Thesen vertrete, was Palenda dann auch noch klar stellte.
In der Pause fragte ich Hr. Palenda unter vier Augen:
I.:"Was halten sie eigentlich vom Sonnenstaatland?"
P.:"Hm, kommt drauf an. Da muss man mal sehen, ob es da Bezüge zu extremistischen Kreisen gibt..."
I.:"Extremistische Kreise? Das Sonnenstaatland?"
P.:"Nun ja, danach bewerten wir die Reichsbürger ja..."
I.:"ja, aber das Sonnenstaatland? Die Leute sind doch klar gegen die Reichs..."
P.:"Wie heißen die? Sonnenland?"
I.:"Sonnenstaatland. Das ist eine Internetplattform zur Aufklärung über die Reichsbürger..."
P.:"Ah ja, das muss ich mir mal anschauen..."
I.:"Tun Sie das, ganz leicht unter "Sonnenstaatland" bei google zu finden..." Hmm. Hr Palenda ist sicher ein viel beschäftigter (und ausgesprochen netter) Mann, aber das er in dem Zusammenhang noch
gar nichts von uns gehört hat (oder haben will?), wundert mich etwas. Aber als Chef guckt er vielleicht gar nicht selbst was so läuft.
Mein erster Workshop führte mich zu „Das Profil des Reichsbürgers“, Jan-Gerrit Keil, Kriminalpsychologe (Landeskriminalamt Brandenburg)
Hier ging es, wie man sich denken kann, um die Psyche der Reichsbürger, um diffuse und gerichtete Ängste, um Größen- und anderen Wahn, gefilterte Wahrnehmung, Risikowahrnehmung... (das war nicht wenig und ich konnte nicht alles mitschreiben), als Beispiel durfte Reichskanzler und Thronfolger Schittke herhalten (Video).
Interessant fand ich folgende Aussagen:
- Wie man z.B. an den Schriftstücken der Reichsbürger sehen könne, "doppeln" sie den Staat (den sie ablehnen) und "spiegeln" die Behörden (die sie ebenfalls ablehnen); deswegen diese Verspieltheit und Faszination für Stempel, Siegel und Wappen. Aber auch schon mal die Textzeile "...ohne Unterschrift gültig..." Eigentlich wollen sie genau das Gleiche.
- Bei Reichsbürgern findet die Radikalisierung in der zweiten Lebenshälfte statt (im Gegensatz zu meist jüngeren Rechtsextremen). Das bedeutet: Diskussionen führen zu nichts, eine Umkehr ist unwahrscheinlich, schlechte Prognose.
- Hr. Keil hat wohl öfters mal in Bayern und Sachsen zu tun. In Sachsen schätze man ihn als Brandenburger auch, weil dort die Polizei selbst ein Teil des Problems sei, und wörtlich: "in Bautzen ist die Zivilgesellschaft schon gekippt" (keine nähere Erläuterung).
Es wurde ein weiteres Video gezeigt, in dem Zwei Jungs in Waren(?) verhaftet werden und die Mutter mindestens 25 mal schreit "lassen sie meinen Jungen frei"; es ist
hier irgendwo, ich find`s jetzt nicht.
Zweiter Workshop: „Wenn Reichsbürger und Verwaltung aufeinander treffen“, Reinhard Neubauer Justitiar (Landkreis Potsdam-Mittelmark)
Hier kann ich den Bericht schön abkürzen; weil der Raum so voll war habe ich die meiste Zeit gestanden und konnte nichts aufschreiben. Hr. Neubauer hat aber einen schönen und kurzweiligen Vortrag gehalten. Der Knaller war ein projiziertes Schriftstück mit einer Forderung von gerade mal 500.000.000.000.000,00 $ (in Worten fünfhundert Billionen Dollar) Hier ein Video mit Hr. Neubauer vom 24.10.2017 zum Thema: