Ich glaube, ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Deutschland und allen anderen Ländern, die ich bisher kennen gelernt habe ist, dass wir hier ein wesentlich schlechteres Verhältnis zu unserem Land haben. Ich glaube, es tut Menschen gut, wenn sie zu dem Land in dem sie leben, und das ihre Heimat ist, ein gutes Verhältnis haben. Hier in Deutschland haben das viele nicht und nach dem, was ich beobachtet habe, wird dieser Zustand auch aktiv gefördert.
Da hast du andere Länder wohl nicht so gut kennengelernt. Viele Leute anderswo haben auch ein recht schwieriges Verhältnis zu dem Land, in dem sie leben. Außerdem ist die "Heimat", zu der man ein gutes Verhältnis haben kann oder auch nicht, eine Funktion der Entfernung. Viele Kalifornier oder Südstaatler in den USA rechnen Washington (D. C.) nur mit großen Einschränkungen zu ihrer "Heimat". Manchen Bayern geht das mit Berlin ebenso.
Dazu kommen politische Veränderungen. In Europa gibt es zwei Länder, an denen man exemplarisch studieren kann, wie künstlich und beliebig politische Grenzen sind und damit auch die "Heimat", nämlich Deutschland und Polen. Der Ort, an dem mein Vater geboren wurde, liegt heute in Polen. Wo also ist mein "Vaterland"?
Ein gutes Verhältnis zu seinem Land heißt natürlich nicht, ein übersteigertes Nationalgefühl zu entwickeln und andere Länder abzuwerten. Deswegen bin ich mir sicher, würde es nicht zu einem Krieg kommen, wenn die Deutschen wieder gerne Deutsche sein sollten.
Wenn von Staats wegen die "Vaterlandsliebe" kräftig gefördert wird, stecken dahinter meistens Gründe, die gegen andere Länder gerichtet sind. Beispiele dafür findest du reichlich, z. B. auf dem Balkan in den späten 80er Jahren. Schließlich suchen sich die meisten Leute das Land nicht aus, dessen Bürger sie sind. Man kommt dazu wie zu Augenfarbe oder Geschlecht, nämlich durch Vererbung. Diese Tatsachen zu mögen oder nicht bringt überhaupt nichts. Na ja, vielleicht ja doch dem einen oder anderen:
Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein. Hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen.
Danke, Herr Schopenhauer.
Ich habe schon viele andere Länder gesehen. Nur wenige davon haben mir überhaupt nicht gefallen. Ich stelle immer wieder fest: Deutschland ist schön, und man kann hier gut leben. Aber Deutschland lieben ... ? "Ich liebe meine Frau", sagte Gustav Heinemann mal auf eine entsprechende Frage. Bei einer anderen Gelegenheit sagte er: "Es gibt schwierige Vaterländer. Eines davon ist Deutschland." Wie wahr, wie wahr.
Ich sitze still und lasse mich bescheinen / und ruh von meinem Vaterlande aus.
So Kurt Tucholsky auf einer Pariser Parkbank.
Dazu gehört selbstverständlich auch ein angemessener Umgang mit der Geschichte. Allerdings wird sich nach meinem Empfinden viel zu viel auf den dunklen Teil unserer Geschichte bezogen. Es gibt aber auch viel Gutes zu berichten.
Aaaah, Nachtigall ... ick hör dir trapsen. Das ist die Ecke, aus der die Apologeten immer kommen. "Es war doch nicht alles schlecht in der DDR ...", nö, verhungert ist da wohl niemand. "Es war doch nicht alles schlecht unter Hitler ...", klar, die Sonne schien, und es regnete auch. Und dann geht es in der Tour weiter. Im Grünen fing's an und endete blutigrot.
Dass es aus der deutschen Geschichte auch viel Gutes zu berichten gibt, ist ja wohl trivial ... in über 1000 Jahren muss auch mal was Gutes dabei sein. Aber Fortschritt entsteht doch meistens durch die Überwindung von Fehlern oder Missständen. Und dazu muss man eben aus dem Schlechten lernen.
Der Dumme lernt überhaupt nichts.
Der Kluge lernt aus seinen Fehlern.
Der Weise lernt aus den Fehlern anderer.