Zum einen das.
Zum anderen ist die Holocaustleugnung eben keine Meinung, wie Thomas Fischer für mich überzeugend ausgeführt hat:
Spoiler
Über all das darf man streiten: die Massaker in Kambodscha, die Völkermorde in Ruanda, die Apartheid in Südafrika. All das ist Schuld, Vorwurf, Rache, Vergebung.
Anders aber ist es mit dem verfluchten "Auschwitz". Denn das Wort steht stellvertretend. Jeder weiß, was es bedeutet. Die Deutschen wollten es nicht kennen: Weder in seiner ersten noch seiner zweiten noch seiner ganzen Bedeutung. Es musste nach 1945 von außen in ihren Wortschatz hineingetragen werden, so wie es ab 1942 in einige ihrer Städte gebombt wurde.
Die Deutschen wollten das Wort nicht kennen und nicht lernen. Ihr Führer hatte ihnen lange vor 1939 ausdrücklich ausgerichtet, der neu heraufziehende Krieg werde "unvermeidlich zur Vernichtung des Judentums in Europa" führen. Genau dafür hatten Sie ihm millionenfach ihre Zustimmung zugeheult und sich alberne Arier-Ausweise besorgt und die Halb- und Vierteljuden aus ihren Schulen, Universitäten und Betrieben entfernt, ihnen die Wohnungen abgenommen und die Sparbücher, sie auf der Straße geschlagen und bespuckt und sich gefreut, dass sie sich nicht wehrten. Die deutschen Juden waren ja fast allesamt gute Deutsche: Weltkriegshelden, Bildungsbürger, Träger der deutschen Kultur. Trotzdem mussten sie verderben.
Dieses "Auschwitz" also. Ganz tief drinnen im deutschen Traumgespinst. Und unendlich weit entfernt. Fritten fressende Klassenfahrten auf dem Stelenfeld in Berlin. Selfies vor grauen Betonklötzen. Adolf Hitler: vermutlich ein früherer Bundeskanzler.
Auschwitz ist ein Geruch, eine Weihnachtsfeier, eine Blutwurst, ein Sprachfehler, ein furchtbarer Irrtum, eine Fahrlässigkeit, ein rotes Meer von Blut, das über Euch kommen wird, und vielleicht doch nur ein Traum. Denn was ist schon Wahrheit zwischen Heydrich und Demjanjuk, Rehse und Mahler? Den Juden Marcel Reich-Ranicki, der in manischer Großmäuligkeit jedes einzelne Wort aus Eurer angeblich deutschen Seele gerissen und zerkaut und dorthin zurückgestopft hat, habt Ihr, liebe Leser, im Comedy-Universum hoch geratet: unser Rabbi Jakob auf Amphetamin. Den Juden Michel Friedman, Großmaul auch er und Gelantine-Benutzer, habt Ihr freudig vernichtet. Im Elternhaus des Kolumnisten wurde beim Eintritt ins Gymnasium von Plettenberg (der Heimatstadt eines großen deutschen Staatsrechtlers) die Warnung ausgegeben, der Hausmeister sei "Halbjude". Das war im Jahr 1962.
Die Lüge
Die Auschwitzlüge ist also viel mehr als die Lüge, die Sonne kreise um die Erde. Denn sie ist nicht Lüge, sondern Diskussion um die Lüge. Zwischen Flensburg und Garmisch, Aachen und Zwickau ist sie Mutter aller Lügen. Indem wir sie immer wieder neu erfinden, verwandeln wir die Wahrheit zu einem Symbol ihrer selbst, ohne sie je angenommen und verstanden zu haben. Seit 70 Jahren diskutieren wir über die Lüge statt über die Wahrheit. Dies – und nicht die atemberaubende Einfalt ihrer Protagonisten – ist ihr Erfolg.
Es gibt Menschen, die bestreiten, dass die Erde eine Kugel ist, Josef Stalin ein Mensch war und Auschwitz der Name eines Ortes auf diesem Planeten ist. Sie bestreiten, dass sechs Millionen Juden vernichtet wurden. Sie behaupten, Juden hätten das erfunden, um deutschen Arbeitslosen aus Gelsenkirchen ihre letzten Ersparnisse wegzunehmen. Oder sie schreiben unendliche Bücher in winzig kleinen Buchstaben, in denen sie ausrechnen, wie viele Sack Mehl man für wie viele unterernährte Juden gebraucht hätte, und wie viel Kohle, und wie viel Gas. Und dass das alles deshalb ganz unmöglich wahr gewesen sein könne. Man kann mit solchen Menschen so wenig diskutieren wie mit Ufologen oder Geistern vom Sirius.
Menschen mit einem Psycho-Syndrom, das man "geschlossen rechtsradikales Weltbild" nennt, werden, wo immer sie entstehen aus dem Schaum der Einsamkeit, der Enttäuschung und des Selbsthasses, niemals aufhören zu schwadronieren. Man muss das nicht widerlegen. Wenn Sie wissen wollen, wie sich Wahnsinn anhört, hören Sie Helmut Qualtingers Lesung von Mein Kampf, solange Sie es ertragen (und lesen Sie Sebastian Haffners Anmerkungen zu Hitler, 1978). Das ist freilich noch keine Erklärung dafür, dass sich solch purer Wahn durch die Weltgeschichte pumpt wie der österreichische Hefekloß durch die Gastronomie.
Soll die "Auschwitzlüge" strafbar sein?
Ich meine: Im Grundsatz nein, im Zweifel nein, im Ergebnis ja. Das ist eine wahrhaft unklare Antwort, und vielleicht wird sie Sie – nach dem oben Gesagten – überraschen. Aber hier gilt, was immer gilt: Im Zweifel für die Freiheit und im Zweifel – mit Schmerzen – für die Dummheit.
Paragraf 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch lautet wie folgt:
Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.
Wenn Sie genauer wissen möchten, was eine "unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuchs bezeichneten Art und Weise" wohl sein mag – lesen Sie den Text oder einen Gesetzeskommentar nach, oder glauben Sie es mir einfach: Die Vernichtung von Juden in Auschwitz war eine solche Handlung. Tun Sie also bitte nicht so, als sei der Tatbestand schwer zu verstehen oder wieder einmal "viel zu unbestimmt". Mit solchen Ansichten haben Sie – zu Recht – null Chancen beim Bundesverfassungsgericht.
Wer Völkermordhandlungen des NS-Regimes "billigt oder verharmlost", ist nicht wirklich schwer zu identifizieren. Wichtig ist: Der Täter muss, um die Tatsache zu "billigen", sie zunächst als solche anerkennen. Man kann schwerlich gutheißen, was man bestreitet. "Verharmlosen" ist ein Sonderfall des Bestreitens: "Es waren ja gar nicht 6 Millionen, sondern nur 5,2 Millionen", sagt der professionelle Verharmloser, oder: "Es war ja gar nicht aus Hass, sondern nur aus Seuchenvorsorge." Beide Behauptungen sind gleichermaßen blöd und unglaubhaft.
Das "Leugnen" ist der Zauber-Tatbestand. Hier treffen sich alle Grundsätze und zugleich ihr Gegenteil. Darf ein Rechtsstaat das bloße Behaupten der Unwahrheit unter Strafe stellen? Und was ist, wenn der Täter bloß irrt?
Viele Staaten meinen, durch bloße Anordnung von Strafdrohungen die Wirklichkeit bestimmen und die Erkenntnis der Wahrheit steuern zu können: Versuchen Sie einmal, in Saudi-Arabien, China, Nord-Korea, Weißrussland oder der Türkei die Wahrheit oder auch nur das öffentlich zu sagen, was Sie – entgegen der herrschenden Meinung – für die Wahrheit halten! Die Liste der beispielhaft genannten Nationen möchte man nur ungern erweitern um "Deutschland": Denn sind wir nicht das Land der Erfinder der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG)?
Nun ja: Das kann man so nicht sagen. In den Vereinigten Staaten von Amerika darf man sich auf den Bauch tätowieren lassen: "Stirb, Neger!", wenn man das mag. Allerdings wird man auch schnell erschossen, wenn man einen kleinen Fehler macht oder nachts mächtig großen dunkelhäutigen Menschen begegnet, die anderer Ansicht sind. Ein deutscher Nazi hätte dort kaum langfristige Überlebenschancen: zu viele Klapperschlangen.
In Deutschland ist alles übersichtlicher. Man lässt sich "Sturm 18" aufs Ohrläppchen tätowieren oder an die eine oder andere Stelle. Und wenn man geschnappt wird, sagt man einfach: Ich weiß von nichts! Da kann der Staatsanwalt gar nüscht machen, das soll er erst mal widerlegen! Einer, der gar nichts wusste, saß im Guidomobil und zeigte seine "18" auf der kalbsledernen Schuhsohle. Original ausgedacht von Jürgen W. Möllemann.
"Auschwitz hat es nie gegeben." Oder: "In Auschwitz sind keine Juden ermordet worden." Oder: "In Auschwitz/Birkenau sind maximal so und so viel Komma so und so viel Menschen ermordet worden." Drei Lügen. Drei Straftaten nach Paragraf 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch. Je nachdem, was Sie sagen, schreien, schreiben möchten, behandelt Sie, Damen und Herren Auschwitzleugner, das Gesetz. Eine Hoffnung aber sollten Sie aber fahrenlassen: Dass die Frage, ob Millionen von Menschen ermordet wurden, allein wegen ihres So-Seins in Auschwitz, jemals als "offen" angesehen werden könnte.
Auschwitz "geht gar nicht"
Warum soll man die Lüge bestrafen?
Antwort: Weil sie eine Lüge ist und kein Irrtum. Und keine Lüge über eine beliebige Bedingung unseres Lebens, oder über eine beliebige Dummheit. Diese Lüge betrifft vielmehr im Kern das, was wir uns als gemeinsame Basis wenn schon nicht erstritten, so doch wenigstens erschwiegen haben. Auschwitz "geht gar nicht". Mögen unsere Eltern ruhen, wo immer sie wollen.
Deshalb ist es richtig, die "Auschwitzlüge" zu bestrafen. Man sollte den Tatbestand in der Wirklichkeit auch tatsächlich anwenden und sich auf das übliche Gerede der Täter nicht einlassen. Und wenn ein liberaler Strafrechtler behauptet, da werde mit dem Strafrecht ein "Tabu" geschützt: Ja, stimmt. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit steht dem nicht entgegen. Niemand hat ein aus dem Mensch-Sein entspringendes "Grundrecht", Mord und Völkermord gutzuheißen. Denn das "Leugnen" ist hier ja viel mehr als ein vergangenheitsbezogenes Bestreiten einer behaupteten Wahrheit. Die es öffentlich tun, meinen damit immer auch die Gegenwart und ihre düsteren Träume von einer Zukunft.