Autor Thema: Der Volksleerer - Nikolai Nerling  (Gelesen 1440966 mal)

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Offline Pantotheus

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Re: Der Volksleerer - Nikolai Nerling
« Antwort #3450 am: 28. November 2018, 17:20:55 »
Es mag widerwärtiges Verhalten sein, das Strafrecht tickt anders. Zunächst ist zu fragen, ob es einen Straftatbestand gibt, dessen Merkmale erfüllt sein könnten. Diebstahl scheidet hier wohl aus, ebenso Sachbeschädigung o. dgl. Ohne die Unterordnung unter einen Straftatbestand gibt es auch keine Strafverfolgung.

Nun ist es im Allgemeinen so, dass widerwärtiges Verhalten, das nicht strafbar ist, auf andere Weise geahndet wird, nämlich dadurch, dass sich andere Leute von einem abwenden, dass man sich an verschiedenen Orten nicht mehr blicken lassen kann usw. Das hat Nikolang ja beispielsweise in Basel schon mal erleben dürfen.
Das Problem bei ihm liegt nun darin, dass er zwar vielen Leuten so widerwärtig vorkommen mag, wie er es wohl verdient hat, doch gibt es eine Minderheit, die genau an dieser Widerwärtigkeit ihre Freude hat und sie weiter unterstützt. Dies schwächt die Ahndung durch die Mehrheit der Gesellschaft erheblich. Da diese Minderheit auf die Achtung der Mehrheit ohnehin nichts gibt und dieser grundsätzlich ablehnend, verächtlich oder gar feindlich gegenübersteht, prallt die Ächtung durch diese Mehrheit an der erwähnten Minderheit weitgehend ab.
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Re: Der Volksleerer - Nikolai Nerling
« Antwort #3451 am: 28. November 2018, 17:30:53 »
Ich bin ja kein Jurist, aber mir fällt da die Zweckbestimmung eines Kranzes auf. Er wird dafür gemacht um ihn an Gedenkstätten abzulegen. Der Volksleerer hat nun den Kranz an sich genommen, um ihn für seine Zwecke zu verwenden. Die Gedenksteine liegen zwar ziemlich nah, aber wo soll die Grenze sein?  1m, 100m, nächster Stadtbezirk?

Der Kranz war dazu bestimmt, an einer Gedenkstätte zu liegen. Das Entfernen von dieser und Ablegen an einer anderen stellt durchaus einen Gewahrsamsbruch und damit eine Wegnahme dar - unabhängig von der Entfernung.

Wenn ich eine fremde Sache dauerhaft für meine Zwecke verwenden will, habe ich auch Zueignungsabsicht.

Aber vielleicht wollte er ja nur provozieren und hat den Kranz danach wieder zurückgebracht. Glaube ich nur nicht.
Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!
 
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Re: Der Volksleerer - Nikolai Nerling
« Antwort #3452 am: 28. November 2018, 17:47:40 »
Ich bin ja kein Jurist, aber mir fällt da die Zweckbestimmung eines Kranzes auf. Er wird dafür gemacht um ihn an Gedenkstätten abzulegen. Der Volksleerer hat nun den Kranz an sich genommen, um ihn für seine Zwecke zu verwenden. Die Gedenksteine liegen zwar ziemlich nah, aber wo soll die Grenze sein?  1m, 100m, nächster Stadtbezirk?

Der Kranz war dazu bestimmt, an einer Gedenkstätte zu liegen. Das Entfernen von dieser und Ablegen an einer anderen stellt durchaus einen Gewahrsamsbruch und damit eine Wegnahme dar - unabhängig von der Entfernung.

Wenn ich eine fremde Sache dauerhaft für meine Zwecke verwenden will, habe ich auch Zueignungsabsicht.

Aber vielleicht wollte er ja nur provozieren und hat den Kranz danach wieder zurückgebracht. Glaube ich nur nicht.

Genau das ist der Punkt. Diebstahl = Wegnahme + Zueignungsabsicht. Wegnahme kann man hier als erfüllt ansehen. Die Zueignung hat der Kollege @Müll Mann ja recht schnell abgelehnt. Zumindest in einer Klausur sollte er das nicht tun, weil man hier sehr schön Meinungsstreitigkeiten aufbauen kann. Richtig punktet, wer dann noch mit Latein um sich wirft, etwa mit der Formel se dominum gerere (sich als Eigentümer ["Herr"] aufführen), die nach einer Ansicht in einem solchen Fall auch eine Zueignungsabsicht annehmen könnte.

Zudem könnte man, und da finde ich das Argument von @Danny black sowohl überzeugend, als auch juristisch gar nicht so weit hergeholt, auch mal in Frage stellen, ob denn "Zueignen" tatsächlich zivilrechtlich gemeint ist oder ob der strafrechtliche Begriff nicht möglicherweise etwas weiter greift und etwa die Widmung der Sachen für Tote umfassen könnte. Denn wenn wir die Verkehrsanschauung betrachten, dann würde Opa Herbert, der Zeit seines Lebens Kohle gehauen hat, vermutlich sagen, dass der Kranz früher den Opfern des Nationalsozialismus "gehört hat" und jetzt den Opfern des Stalinismus "gehören soll".

Womit, und das schauert mich etwas, der Obersturmbannleerer seiner armseligen Existenz fast schon so etwas wie einen Sinn gegeben hat: Er kann nun auch für Juristen als ein schlechtes Beispiel dienen.

Zur Aktion selbst ist glaube ich schon alles gesagt. Außer:

:puke: :nikolai:
Eine von VRiBGH Prof. Dr. Thomas Fischer erfundene Statistik besagt, dass 90% der Prozessgewinner die fragliche Entscheidung für beispielhaft rechtstreu halten, 20% der Unterlegenen ihnen zustimmen, hingegen von den Verlierern 30% sie für grob fehlerhaft und 40% für glatt strafbar halten.
 

Offline Pantotheus

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Re: Der Volksleerer - Nikolai Nerling
« Antwort #3453 am: 28. November 2018, 18:25:29 »
@Rechtsfinder In der Lehre dürfte das durchaus zu erörtern sein. Um Latein zu verwenden, ist fraglich, ob der Stifter des Kranzes sein "dominium" aufgegeben hat. Die Widmung des Kranzes war ja eben, an einer bestimmten Stelle zu hängen, dauerhaft. In einem viel beachteten Urteil hat das Schweizer Bundesgericht jemanden verurteilt, der sich aus zur Abholung bereit gestelltem Müll bedient hat. Bei sonst weitestgehend gleicher Rechtslage wie in Deutschland hat das "Müllsackurteil" (sic!) festgehalten, dass es eben die Ausübung der Sachherrschaft war, dass die zur Abholung bereit gestellten Sachen durch den Müllentsorger vernichtet werden sollten. Der Müll war also nicht herrenlos geworden, sondern befand sich weiterhin unter der Sachherrschaft des Eigentümers. Dessen Recht, über die weitere Verwendung der Sachen zu bestimmen, endete erst durch die bestimmungsgemäße Vernichtung durch den Müllentsorger.
An dieser Stelle der Rechtsvergleich weise ich allerdings darauf hin, dass jedenfalls hier im mittleren Westen Deutschlands es gängige Übung ist, noch brauchbare Gegenstände, die zur Abholung durch den Müllentsorger bereit gestellt wurden, mitzunehmen und sich anzueignen. Nach der allgemeinen Verkehrsauffassung jedenfalls in diesem Teil Deutschlands müssten solche Sachen also herrenlos geworden sein, was allerdings das Problem aufwirft, dass es zweifellos die Absicht derjenigen, die Gegenstände zur Abholung bereit gestellt haben, ist, diese sollten entsorgt bzw. vernichtet werden. Zumal wenn eine Voranmeldung etwa von Sperrmüll beim Entsorger vorgeschrieben ist, dürfte sich die rechtliche Frage dringend stellen, ob von einer tatsächlichen rechtlichen Herrenlosigkeit gesprochen werden kann.
Ich werde später darauf zurückkommen.
Zum Vergleich können wir nun die Blumen auf Opas Grab auf dem Friedhof heranziehen: Hier kämen beim "Umhängen" eines Kranzes ggf. noch andere Punkte in Betracht, etwa Störung der Totenruhe, Grabschändung u. dgl. Ein Friedhof ist meist auch nur bedingt öffentlich, oft ummauert oder eingezäunt, nachts abgeschlossen und insofern ein "befriedeter" Bereich. Zudem kann es auch eine Art "Hausordnung" geben, die für Übergriffe auf fremde Gräber noch andere Sanktionen vorsehen kann als das Strafrecht. Wer also Grabschmuck auf einem Friedhof anbringt, darf weit eher darauf vertrauen, dass dieser auch an Ort und Stelle bleibt, als wenn er dies auf einem öffentlichen Platz mitten in einer Stadt tut.
An diesem Punkt nun haut Dir ein "findiger" Staatsanwalt den "Lebenssachverhalt" um die Ohren etwa dergestalt, dass man eben bei einem Kranz auf einem Friedhof nicht damit rechnen müsse, dass dieser sogleich zweckentfremdet werde, aber auf einem öffentlichen Platz in Berlin schon. Der betreffende Kranz wäre also auf dem Friedhof nicht herrenlos, aber in Berlin gleichsam "faktisch" herrenlos, selbst wenn man den Besitz an ihm nicht willentlich aufgegeben habe, denn man habe mit der umgehenden Entwendung oder Zweckentfremdung rechnen müssen. Im Blick auf das erwähnte Vergleichsbeispiel des Schweizer Mülls kann der "findige" Staatsanwalt anführen, dass eben dort der "Lebenssachverhalt" ein anderer sei, denn Schweizer rechneten nicht damit, dass Opas alte Stühle von einem Sperrmüllsammler eingesammelt würden, sondern könnten darauf vertrauen, dass dies nur geschehe, wenn sie "gratis" oder "zum Mitnehmen" auf ein Schild schrieben, dass auch Schweizer Mülltonnen mit Schlössern gesichert seien und deutsche eben nicht usw.
Das mag in der Rechtslehre Quatsch sein, aber so ähnlich mag das ein Staatsanwalt durchaus ausführen, wenn er der Sache nicht weiter nachgeht. Das ist nach meinen Erfahrungen durchaus Praxis.

Man könnte alternativ nach anderen Straftatbeständen suchen, die erfüllt sein könnten. Läuft das Umhängen eines Kranzes von den "falschen" Toten zu den "richtigen" Toten vielleicht auf eine Verunglimpfung der einen Toten hinaus? Das ist ziemlich sicher das, was Nikolang meint. Ich müsste aber nochmals ganz gründlich hinhören, ob er dies auch verwertbar sagt.
Das Problem ist eben, dass eine strafrechtliche Verurteilung Beweise erfordert. Wenn wir die Formel übernehmen
Zitat
Diebstahl = Wegnahme + Zueignungsabsicht
gehe ich gerne mit. Die Wegnahme beweist Nikolang durch sein Filmchen freundlicherweise selbst. Beweisen müssten wir aber die Zueignungsabsicht. Unmöglich ist dies nicht, dürfte aber in der Praxis schwierig werden.
Vor allem aber zweifle ich aus Erfahrung daran, dass die Staatsanwaltschaft da mitgehen wird.
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Re: Der Volksleerer - Nikolai Nerling
« Antwort #3454 am: 28. November 2018, 18:54:52 »
@Pantotheus Die Frage ist ja mehr, ob das Gericht mitgeht. Aber da ist mir die Gefahr zu groß, dass die das so sehen wie ich. Ich gönne dem Tanzleerer weder einen Freispruch noch eine Nichtzulassung der Anklage. @Rechtsfinder Auch bei der Wegnahme könnte man schon Meinungsstreitigkeiten aufbauen, Stichwort gelockertes Gewahrsam, Dereliktion etc. In einer Klausur würde ich an dieser Stelle dann noch die Unterschlagung prüfen, die keinen Gewahrsamsbruch erfordert. Schon bei der fremden Sache ginge das Problem los, wirklich ein schöner Klausurfall.

Letztendlich hat der Nikki die Idee von der Antifa geklaut: http://urbanshit.de/einfach-so-drehen-100-wahlplakate-auf-berlins-strassen-um-und-schaffen-kreative-weissflaechen/

Als Staftatbestand käme noch § 168 Abs. 2 StGB in Betracht, aber es ist fraglich, ob die Grenze zum beschimpfenden Unfug schon überschritten wurde. Nikki stellt es ja so dar, dass er die Opfer des Stalinismus eher und nicht die Opfer des Faschismus entehren wollte.
 

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Re: Der Volksleerer - Nikolai Nerling
« Antwort #3455 am: 28. November 2018, 19:09:09 »
Immer wieder spannend, wie komplex doch Jura ist! So als Laie denkt man sich, hat er weggenommen, darf er nicht, strafbar. Aber auch spannend, wie oft das eigene, instinktive, Gerechtigkeitsgefühl einen täuscht.
 
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Re: Der Volksleerer - Nikolai Nerling
« Antwort #3456 am: 28. November 2018, 19:17:21 »
Aber auch spannend, wie oft das eigene, instinktive, Gerechtigkeitsgefühl einen täuscht.
Das ist ja auch eine der Mitursachen für  die ganzen Rechtskonsulenten, dass Recht mitlerweile so komplex und kontraintuitiv geworden ist, dass man da wirklich an Verschwörungen denken kann. Und bei solchen Sachen setzen dann Strategen wie der Zopfkönig an.

 
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Re: Der Volksleerer - Nikolai Nerling
« Antwort #3457 am: 28. November 2018, 19:29:00 »
@Müll Mann Um vor Gericht zu scheitern, muss man erst mal einen Staatsanwalt finden, der überhaupt Anklage erhebt.
Im Übrigen scheint mir, dass dieser Vorfall nicht lohnt, Nikolang hat da schon deutlich krassere Anlässe geboten, die, sofern die Justiz nicht gar langsam mahlt, in absehbarer Zeit zu sichtlichen Erfolgen führen sollten.

Das Recht ist an sich nicht überaus komplex. Das Leben ist vielfältig, dessen Vielfalt spiegelt sich auch im Recht wider. Heute gibt es zahlreiche Bereiche, die noch vor wenigen Jahrzehnten kaum oder gar nicht rechtlich erfasst waren. Das Internet hat bspw. zahlreiche neue Fragen aufgeworfen, die rechtlich beantwortet werden mussten und noch immer müssen. Datenschutz hat in meiner Kindheit kaum eine Rolle gespielt. Persönliche Angaben schlummerten in Archiv-Kellern in dicken Aktenbänden, heute kann man u. U. mit einem geklauten Administrator-Passwort ganze Kundenbestände ausspähen. Die internationale Verflechtung hat zugenommen, was ebenfalls neue Frage aufwirft oder bestehende, aber früher nebensächliche Themen bedeutender macht.
In all diesen vielfältigen Themen gibt es immer wieder auch Punkte, die man verschieden sehen kann, ohne deswegen ein schlechter Jurist oder ein schlechter Mensch zu sein. Das zeigt sich auch darin, dass mitunter auch die Rechtsprechung in bestimmten Punkten etwas schwankt oder sich - siehe "Müllsackurteil" - in zwei benachbarten Staaten unterscheidet. Wer natürlich "Rechtssicherheit" schreit, empfindet das freilich anders.
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Re: Der Volksleerer - Nikolai Nerling
« Antwort #3458 am: 28. November 2018, 19:46:27 »
Off-Topic:
Also, Strafrecht BT aus Studienzeiten ist wirklich lange her bei mir und ich möchte mich auch bei weitem nicht als Strafrechtler bezeichnen. Aber dass mit dem "Wegwerfen" einer Sache in einen Mülleimer zivilrechtlich statt einer Dereliktion (d.h. Aufgabe des Eigentums) vielmehr eine Übereignung an den Müllverwerter vorbereitet wurde oder gar einherging und die Sache damit nicht herrenlos wurde, einem Wegnehmer also fremd war, galt damals auch im großen Kanton. Mit anderen Worten: Was im Müll ist gehört entweder noch bis zur Abholung dem Müllverursacher oder aber bereits mit Wegwerfen dem Müllverwerter. In keiner Konstellation war die Sache herrenlos und damit einer straflosen Aneignung zugänglich. Im Gegenteil war wohl Diebstahl einschlägig. Die Fälle des "Containerns" insbesondere in Großstädten belegen dies in meinen Augen. Zudem: Ich erinnere mich an das Fallbeispiel, dass das Entwenden eines Gesetzbuches eines Kommilitonen und Wegwerfen in den Papierkorb zumindest nach irgendeiner Literaturauffassung einen Diebstahl darstellen sollte, da weggenommen und dem Müllverwerter rechtswidrig zugeeignet. Aber das führt jetzt langsam wirklich etwas weit.

@Spielkind Weggenommen ja. Aber eben nicht behalten. Und auch der Laie geht in der Regel davon aus, dass Diebstahl aus Wegnehmen und aus Behalten steht. Oder nicht?
Für Diebstahl gibts fünf Jahre. Wenn Du auf Arbeit einer Kollegin den Kuli vom Schreibtisch nimmst, drei Notizen machst und ihn dann zurücklegst – fünf Jahre? Ich glaube nicht. ;-)
« Letzte Änderung: 28. November 2018, 19:48:47 von Rechtsfinder »
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Re: Der Volksleerer - Nikolai Nerling
« Antwort #3459 am: 28. November 2018, 19:55:53 »
Wie gesagt, ich bin absoluter Laie, was Jura angeht, ich habe da halt eine Verwendung für eigene Zwecke gesehen, dein Kulibeispiel ist sicher treffend, aber ich lege den Kuli ja nicht dauerhaft irgendwo anders ab.
 
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Re: Der Volksleerer - Nikolai Nerling
« Antwort #3460 am: 28. November 2018, 20:05:39 »
Beweisen müssten wir aber die Zueignungsabsicht. Unmöglich ist dies nicht, dürfte aber in der Praxis schwierig werden.
Danke für die Ausführungen. Bei dem zitierten sagte mir mein Gefühl, und mehr habe ich nicht, da ich von der Juristerei keine Ahnung habe, daß ich fragen würde, inwieweit man sich etwas nicht zueignen kann, wenn man es physikalisch in seinem Besitz hat und für seine Zwecke verwendet.
Er macht sich für seine Show den Kranz in meinen Augen zweifelsfrei zueigen, hätte er ihn nicht kurzzeitig in seinem Besitz, dann könnte er ihn nicht am,seiner Meinung nach, "richtigen" Denkmal ablegen.

Aber wie gesagt, IANAL. Also bitte nicht zu arg hauen …
« Letzte Änderung: 28. November 2018, 20:08:07 von theodoravontane »
"Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich die gleichen Fehler wieder machen, aber ein bißchen früher anfangen, damit ich mehr davon habe."

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Re: Der Volksleerer - Nikolai Nerling
« Antwort #3461 am: 28. November 2018, 20:23:00 »
@Pantotheus Die Frage ist ja mehr, ob das Gericht mitgeht. Aber da ist mir die Gefahr zu groß, dass die das so sehen wie ich. Ich gönne dem Tanzleerer weder einen Freispruch noch eine Nichtzulassung der Anklage. @Rechtsfinder Auch bei der Wegnahme könnte man schon Meinungsstreitigkeiten aufbauen, Stichwort gelockertes Gewahrsam, Dereliktion etc. In einer Klausur würde ich an dieser Stelle dann noch die Unterschlagung prüfen, die keinen Gewahrsamsbruch erfordert. Schon bei der fremden Sache ginge das Problem los, wirklich ein schöner Klausurfall.

Nein: wenn ich einen Kranz ablege, wo er bleiben soll, habe ich durchaus noch (wenn auch gelockerten, aber das ist strafrechtlich irrelevant) Gewahrsam daran. Denk nur an das abgestellte Auto oder Fahrrad - würdest du da zweifeln?

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Das ist doch ein ganz anderer Fall: die Plakate bleiben an Ort und Stelle! Wo ist da die Wegnahme (Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams)?!
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Re: Der Volksleerer - Nikolai Nerling
« Antwort #3462 am: 28. November 2018, 20:25:44 »
Bei Spiegel TV hat der "völkische Hanswurst" einen großen Auftritt:
http://www.spiegel.tv/videos/1580212-holocaustleugner?utm_source=sponhp
 
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Re: Der Volksleerer - Nikolai Nerling
« Antwort #3463 am: 28. November 2018, 20:31:30 »
inwieweit man sich etwas nicht zueignen kann, wenn man es physikalisch in seinem Besitz hat.

Im Strafrecht wird unterschieden zwischen subjektivem und objektivem Tatbestand. Objektiver Tatbestand ist das, was von außen gesehen werden kann. Beim Diebstahl liegt auf der Ebene des objektiven Tatbestandes die Wegnahme. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht unbedingt eigenen Gewahrsams. Gewahrsam ist die tatsächliche, vom Sachherrschaftswillen getragene,  Sachherschaft einer natürlichen Person über eine bewegliche Sache. Örgs.
Das ist das, was Du als Besitz bezeichnet hast, wobei Besitz der Begriff aus dem Zivilrecht ist. Das macht hier aber keinen Unterschied, schwierig wird es bei Konstrukten wie mittelbarem Besitz oder Besitzdienerschaft.
Ich stimme Dir zu, dass Nikolai neues Gewahrsam begründet hat. Problematisch ist, ob vorher überhaupt Gewahrsam bestand und ob eine vorübergehende Gewahrsamsbegründung bereits zählt.

Diebstahl ist nun ein Delikt mit sog. überschießender Innentendez. Dies bedeutet, dass nicht nur Vorsatz bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale vorgelegen haben muss (also bezüglich der Wegnahme) sondern es muss darüber hinaus auch Zueignungsabsicht bestanden haben. Dies ist von der Gebrauchsanmaßung abzugrenzen, bei der man einen Gegenstand an sich nimmt, um ihn vorübergehend zu verwenden. Wie @Rechtsfinder schon angedeutet hat, kommt es darauf an, ob man sich wie der Eigentümer der Sache aufführt.

Ein Beispiel wo das nicht so ist, ist der Dienstmützenfall. EIn Soldat verliert sein eMütze und möchte keine Mecker bekommen. Also nimmt er die Mütze des Stubenkameraden und läuft damit den ganzen Tag rum. Abends legt er die Mütze wieder zurück. Anderes Beispiel ist es ein Auto zu knacken, damit zumzufahren und es dann wieder abzustellen. Das ist auch kein Diebstahl, weswegen es den § 248b StGB (Unbefugter Gebrauch eines Fahrzeugs) gibt. Der stellt aber nur den Gebrauch von Kraftfahrzeugen oder Fahrrädern unter Strafe.

Die ganze Schwierigkeit kommt daher, dass es im Strafrecht ein Analogieverbot gibt. Im Zivilrecht hat der Richter die Möglichkeit, wenn der Gesetzgeber eine Konstellation übersehen hat und dadurch eine Regelungslücke entsteht, diese durch Analogiebildung zu schließen. Im Strafrecht aber ist es so, dass nur strafbar ist, was zum Zeitpunkt der Tatbegehung unter Strafe stand. Hier ist eine Analogiebildung nicht zulässig. Dies kann dazu führen, dass es Lücken gibt. So eine Lücke liegt hier nach meiner Ansicht vor.

Wo ist da die Wegnahme
Da ist keine. Deswegen ist es ja auch kein Diebstahl.

Nein: wenn ich einen Kranz ablege, wo er bleiben soll, habe ich durchaus noch (wenn auch gelockerten, aber das ist strafrechtlich irrelevant) Gewahrsam daran.
Mag ja sein, mein Problem bei Nikki ist nicht die Wegnahme sondern die Zueignungsabsicht.
« Letzte Änderung: 28. November 2018, 20:39:09 von Müll Mann »
 
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Re: Der Volksleerer - Nikolai Nerling
« Antwort #3464 am: 28. November 2018, 20:34:06 »
Das alte Lied - 2 Juristen, 3 Meinungen!  ;D
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