Immer wieder ist es lustig zu sehen, an welchen Einzelheiten manche Leute so hängen bleiben. Die Frage nach einer verwendeten Trittleiter dürfte ziemlich belanglos sein. Selbst die Frage danach, ob Ursache zuerst geschossen hat oder nicht, ist nur von untergeordneter Bedeutung. Wenn das SEK zuerst geschossen hat, dann hat es dies getan, um eine gegenwärtige Gefahr zu beseitigen, nämlich den bewaffneten und nicht auf die Warnungen reagierenden Ursache. Sollte es tatsächlich so sein, dass Ursache selbst schwer verletzt und am Boden liegend noch gezielt zu schießen versuchte, dann könnte diese Einzelheit sogar die Mordanklage der Staatsanwaltschaft stützen.
Dass der Einsatz "chaotisch" verlaufen sei, kann man so sehen. Allerdings machen viele Einzelheiten, die inzwischen bekannt geworden sind, doch deutlich, dass der Einsatz zumindest gut geplant und vorbereitet war. Ich erinnere daran, dass es augenscheinlich an jenem Morgen doch so etwas wie ein Überraschungsmoment gab, dass es gelang, das Gelände weiträumig abzusperren und zu sichern, dass das SEK ein gutes Stück weit auf Ursaches ehemaliges Grundstück vordringen konnte, ohne dass es zu einer Konfrontation oder zu sonstigen Schwierigkeiten gekommen wäre, dass vor allem auch die verbliebenen Unterstützer Ursaches unter Kontrolle gehalten wurden und es diesbezüglich nicht zu weiteren Ausschreitungen kam. Das erweckt nicht den Eindruck, als ob der Einsatz ungeplant und "chaotisch" durchgeführt worden wäre.
Aber einen Punkt muss man sich vergegenwärtigen: Solche Einsätze sind nur bedingt planbar. Unbekannte Faktoren oder die Reaktionen der Betroffenen lassen sich nun mal weder genau vorhersehen noch mit völliger Sicherheit beherrschen. Ursache hat sich in einer Weise benommen, die letztlich zu einem Schusswechsel führte. Dass Ursache nicht in einer angemessenen Weise reagierte, d. h. sich auf Aufforderung des SEK hin nicht ergab und namentlich die Waffe nicht ablegte, scheinen nicht einmal seine Unterstützer zu bestreiten. Die einzige Alternative, die ich sehe, um den Einsatz danach nicht "chaotisch" werden zu lassen, wäre wohl die gewesen, Ursache einfach nach dem ersten erfolglosen Warnruf über den Haufen zu knallen. Das hat das SEK nicht getan, sondern im Gegenteil geduldig versucht, ihn zur Aufgabe zu bewegen, soweit es angesichts der gegenwärtigen Gefahr durch eine scharfe Waffe möglich war.
Wenn so etwas geschieht, dann läuft jeder Einsatz anders als geplant und bis zu einem gewissen Grad auch "chaotisch".
Nun gibt es natürlich Leute, die denken, die Polizei könne jedweden Einsatz so planen, dass er nicht aus dem Ruder laufen könne. Dann müsste die Polizei aber göttliche Allmacht besitzen. Was es zum Thema "es nicht so weit kommen lassen" zu sagen gibt, hat
@Pirx schon geschrieben: Ursache hätte ausziehen müssen. Hat er aber nicht getan, also war früher oder später Zwang erforderlich. Die Polizei ist hier dann nur das letzte Glied in einer langen Kette. Eine Räumung wird ja nicht vom Staat betrieben, sondern von Privaten. Es kommt darauf an, ob die Gläubiger Geduld haben oder schnell den Rechtsweg beschreiten. Bei Liegenschaften kommt es irgendwann zur Zwangsversteigerung. Der neue Eigentümer muss dann wiederum den Rechtsweg gehen, um eine Räumung gegen den Willen des ehemaligen Eigentümers, der nicht von selbst auszieht, durchzusetzen. Dann kommt erst einmal der Gerichtsvollzieher, wie bei Ursache geschehen. Wenn dieser vor einer Übermacht zurückweichen muss, dann rückt als letztes Glied in dieser Kette endlich die Polizei an. Auf die Ereignisse vorher hat sie als letztes Glied in der Kette verständlicherweise keinen Einfluss. Man müsste hier also die Gläubiger, deren Rechtsvertreter, die Gerichte usw. kritisieren, wenn man der Meinung ist, es sei nicht vorgebeugt worden. Die Polizei kann in einem solchen Fall nur "nachbeugen", aber nicht vorbeugen.
Im Fall Plan kritisierte die Verteidigung ja auch die Planung und gab vor, ein Abwarten, bis Plan einmal das Haus verlassen hätte, um ihn dann gleichsam "auf freier Wildbahn" festzunehmen, wäre besser gewesen. Nun gab es im Fall Plan allerdings keinen Haftbefehl, sondern nur die Anordnung, seine Waffen sicher zu stellen. Das von der Verteidigung geschilderte Vorgehen wäre also wohl unrechtmäßig gewesen. Ein Zugriff in aller Öffentlichkeit ist zudem auch nicht sicherer als der Einsatz in einem Haus.
Bei Ursache liegt die Sache noch etwas anders: Auf dem Grundstück hielten sich ja mehrere Personen auf, zudem gab es zahlreiche Unterstützer, die nicht nur das zu räumende Gelände, sondern auch Nachbargrundstücke benutzten. Darauf zu warten, dass niemand mehr im zu räumenden Gebäude bzw. auf dessen Grundstück gewesen wäre, hätte somit bis St. Nimmerlein dauern können, wäre jedenfalls kein gangbarer Weg gewesen.
Abgesehen von dem bereits erwähnten finalen Schuss auf Ursache wäre vielleicht an den Einsatz nicht-letaler Waffen zu denken gewesen. Ich habe mich einmal danach umgesehen, was es in diesem Bereich so alles gibt. Inzwischen sind recht zahlreiche nicht-letale Waffen erhältlich. Doch eins vorweg: Keine dieser Waffen ist völlig unschädlich oder ungefährlich. Manche können je nach Umständen auch tödlich sein.
Die meisten dieser Waffen haben gegenüber herkömmlichen Waffen auch Nachteile. Zum Beispiel gibt es einen schnell härtenden Schaum, der einen Gegner gleichsam "erstarren" lässt. Allerdings muss dieser genau getroffen werden, sonst verpufft die Wirkung, zudem dauert es eine Weile, bis der Schaum hart geworden ist und der Getroffen somit bewegungsunfähig. Schließlich muss dieser Schaum aus relativ kurzer Entfernung gesprüht oder mittels "Bombe" geworfen werden. Eine realistische Einsatzdistanz beträgt somit vielleicht drei bis fünf Meter. Man muss also erst einmal selbst unbehelligt so nahe herankommen können.
Eine andere Waffe ist ein Netz, in das sich ein Gegner verstrickt. Je mehr er sich wehrt, desto mehr verheddert er sich darin. Das Netz wird aus einem Werfer abgefeuert, die praktische Einsatzentfernung beträgt etwa vier bis sechs Meter. Fraglich bleibt aber auch hier neben der kurzen Entfernung, ob zum Beispiel jemand, der eine Schusswaffe schon in der Hand hält, durch dieses Netz von einer Schussabgabe abgehalten werden kann. Das verwendete Material ist zwar zäh, aber ob ein Gegner, der schon ein Messer in der Hand hält, nicht in der Lage wäre, das Netz zu zerschneiden, müsste auch erst einmal die Praxis zeigen.
Bei Ursache wäre vielleicht auch ein "Punch" genanntes Gewehr in Frage gekommen. Dieses verschießt einen dicken Hartgummiball als Geschoss. Ein Treffer auf die Brust nimmt einem erst einmal den Atem und wirft einen Mann von Ursaches Statur in der Regel um. In Anbetracht dessen, dass Ursache von mehreren Schüssen getroffen immer noch in der Lage war, einen Schuss abzugeben, hege ich allerdings Zweifel daran, ob ein "Punch" besser gewirkt hätte. Angesichts der Größe, des Gewichts und der "Klobigkeit" eines "Punch" dürfte dieser für ein SEK auch eher nicht als Waffe in Frage kommen.
Kurz: Ich sehe nicht, wie man es hätte besser machen sollen. Vielleicht wäre es den Gläubigern möglich gewesen, die Zwangsvollstreckung schneller und energischer zu betreiben, doch darüber wissen wir nichts. Als die Polizei ins Spiel kam, war jedenfalls die Lage schon so, dass kaum mehr Vorbeugung oder Deeskalation möglich war.
Edit: Der
@Wittenberger hat schon wesentliche Punkte geschrieben, bevor ich meinen etwas länger geratenen Beitrag abgesetzt hatte. Ich streiche jetzt die Doppelungen nicht heraus, da vielleicht das Eine oder Andere deutlicher wird, ohne dass ich etwas verrate, was man nicht verraten sollte.