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„Schießt doch, schießt doch!“, rief Mister Germany
Von Christina Brause, Halle | Stand: 17:32 Uhr | Lesedauer: 5 Minuten
Knapp 14 Monate nach einer Schießerei mit einem Spezialeinsatzkommando (SEK) bei einer Zwangsräumung muss sich der 42 Jahre alte Ursache wegen versuchten Mordes vor dem Landgericht verantworten. Ursache war bei dem Schusswechsel selbst schwer verletzt worden. Er gilt als Mitglied der Reichsbürgerbewegung.
Adrian Ursache führte ein Bilderbuchleben: Mister Germany, Unternehmer, verheiratet mit einer Miss Germany. Nun steht er wegen versuchten Mordes vor Gericht – ausgerechnet an einem SEK-Beamten.
In die erste Tüte mit Beweismitteln packen die SEK-Beamten eine Dienstwaffe, mit der ein Beamter geschossen hat. In den zweiten Beutel kommt das dazugehörige Magazin, in den dritten die Patrone, die abgefeuert wurde. Auch Handschuhe, eine zweite Waffe, ein weiteres Magazin und schließlich ein Revolver werden eingetütet.
Der Revolver gehört Adrian Ursache, ehemals Mister Germany. Er soll damit am 25. August 2016 auf einen SEK-Beamten geschossen haben. Seit diesem Montag läuft der Prozess gegen Ursache am Landgericht Halle. Die Anklage: versuchter Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie Verstöße gegen das Waffengesetz.
Als der zuständige Richter das Video abspielt, in dem die Beweismittelsicherung gezeigt wird, schaut Ursache fast durchgängig demonstrativ weg. Der Kopf ist nach oben geneigt, der Blick mal zur Decke, mal zum Boden gerichtet. Ab und zu muss er das Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagern.
Wie schon am ersten Verhandlungstag bleibt er auch am zweiten die ganze Zeit stehen. Würde er sich setzen, könnten ihm die Fußfesseln abgenommen werden, sagt der Richter. Doch Ursache will sich nicht neben seinen Verteidiger setzen. Auch sonst geht er zu dem Rechtsanwalt auf Distanz.
Immer wieder geraten die beiden während der Verhandlung in Streit. Meist diskutieren sie über Rechtsfragen, denn Ursache ist überzeugt, dass alles, was seit August 2016 passiert ist, rechtswidrig sei.
Adrian Ursache wohnte damals mit seiner Frau Sandra und den beiden Söhnen in Reuden in Sachsen-Anhalt. Das Ehepaar hatte Zahlungsrückstände bei der Bank und beim Abwasserzweckverband. Am 24. August sollte das Grundstück deswegen zwangsgeräumt werden. Ursache ist bis heute überzeugt, dass man ihn widerrechtlich enteignen wollte. Mit der Meinung war er damals nicht allein. 120 Unterstützer reisten an. Die Zwangsräumung wurde daraufhin auf den kommenden Morgen verschoben und Spezialkräfte der Polizei zur Vollstreckung hinzugezogen.
Ursache glaubt damals wie heute, dass er das „gottgegebene Recht“ hätte, sein Eigentum gegen die „marodierenden Verbrecher“ und „maskierten Mörder“, wie er die Beamten nennt, zu verteidigen. Am Morgen des 25. August holte er seinen Revolver aus dem Schuppen, lud ihn und zielte damit auf die Beamten. Die hätten immerhin auch ihre Waffen auf ihn gerichtet gehabt, verteidigt sich Ursache. Laut Staatsanwaltschaft soll er dann geschossen haben. Ein SEK-Beamter wurde am Hals verletzt. Nur dank der Schutzausrüstung sei es nicht zu einer tödlichen Verletzung gekommen, so die Staatsanwaltschaft.
Ursache bestreitet, geschossen zu haben. Er habe zwar den Revolver in der Hand gehalten, hätte aber niemanden töten, sondern sich nur zur Wehr setzen wollen. Für seine Familie, sagt Ursache vor Gericht, sei er bereit gewesen zu sterben.
Tatsächlich wird er angeschossen und muss ins Uni-Klinikum nach Leipzig gebracht werden. An seinem rechten Arm sind mehr als ein Jahr später noch mehrere Verbände und ein Drahtgestell angelegt. Das Jackett kann er sich deshalb im Gerichtssaal nur über die Schultern legen.
Seine Ehefrau Sandra beobachtete die Szene damals vom Haus ihrer Eltern aus, das unmittelbar an ihr eigenes Grundstück angrenzt. Sie war im oberen Stockwerk, habe ihren Ehemann nur von hinten gesehen, sagt sie. Ob er eine Waffe in der Hand gehalten hat, könne sie deswegen nicht sagen. Doch sie schildert dem Gericht, wie ihr Mann immer wieder „Schießt doch, schießt doch!“ gerufen habe. Dass ihr Mann überhaupt einen Revolver besaß, wusste sie nicht. Er sei ein liebevoller Ehemann und Vater.
Anfang 2000 hatte sie ihn kennengelernt. In dem Jahr wurde sie zur Miss Germany gewählt. Adrian Ursache hatte sich den Titel Mister Germany zwei Jahre zuvor geholt. Im Sommer 2003 heiratete das Paar, bekam zwei Söhne, heute elf und 14 Jahre alt.
Durch seine Arbeit führten sie und ihr Mann lange nur eine Wochenendehe, schildert die heute 39-Jährige vor Gericht. Weil er die Kinder unter der Woche nicht gesehen hat, hätte sie den strengen Part übernehmen müssen. Für die Erziehung seien sie trotzdem beide verantwortlich gewesen. Gewalt habe es nicht gegeben. Auch bei Videospielen und Filmen hätten sie darauf geachtet. Überhaupt hätte sie ihren Mann nie aggressiv erlebt.
Sandra Ursache malt das Bild einer liebevollen Beziehung auf Augenhöhe. Doch es gibt eine Art Tabuthema: Politik.
Für den Staatsanwalt ist Adrian Ursache ein Reichsbürger. Im entsprechenden Kapitel des Verfassungsschutzberichts des Landes Sachsen-Anhalt aus dem Jahr 2016 wird Ursache namentlich erwähnt. Dort steht, er nutze „eine besonders krude Mischung von Versatzstücken aus der Argumentation von ‚Selbstverwaltern‘ und ‚Reichsbürgern‘“. Er erkenne die Gerichte nicht an und wolle „kein Sklave“ sein.
Auch vorm Landgericht Halle sagt der 42-Jährige dies am Mittwoch mehrfach, bestreitet aber, der Reichsbürgerbewegung anzugehören. Ursache legt Wert darauf, dass er deutscher Staatsbürger ist, beruft sich immer wieder auf das Grundgesetz – „in der genehmigten Fassung von 1949“.
Welche politische Meinung ihr Mann vertritt, wollte und will Sandra Ursache gar nicht so genau wissen. Das habe sie ihm immer so gesagt, wenn er mit ihr darüber reden wollte. Er habe akzeptiert. Als er 2015 schon einmal ins Gefängnis musste, weil er sich weigerte, eine Geldstrafe zu zahlen, habe sie diese beglichen – gegen seinen Willen. Bei einer ähnlichen Situation ein knappes Jahr später, habe sie das nicht mehr getan. Offenbar aus Respekt vor seiner Einstellung.
Vor Gericht wird deutlich, dass sie sich um ihre Familie sorgt. Die Haft, die Zwangsvollstreckung – all das habe ihr Angst gemacht. Trotzdem liebe sie ihren Mann, daran habe sich nichts geändert. Der Richter spricht ihr zu. Man wolle sie gar nicht in ihrer Beziehung verunsichern. Ob Sandra Ursache weiterhin beim Prozess anwesend sein wird, ist unklar. Insgesamt wurden zwölf Verhandlungstage angesetzt. Eine Entscheidung wird Ende November erwartet. Sollte Adrian Ursache verurteilt werden, droht ihm eine lebenslange Freiheitsstrafe.