Spoiler
Es ist ja nicht so, dass die Problematik noch nie dargelegt worden wäre. Und es ist auch nicht so, dass es nicht bereits genug Negativbeispiele gäbe. Was also hat den MDR nur geritten, mit dem AfD-Mann Björn Höcke ausgerechnet einen Politiker zum Sommerinterview zu laden, der nicht nur ein staatlich geprüfter Rechtsextremist ist, sondern außerdem vom Verfassungsschutz unter Beobachtung steht?
Was verspricht sich ein öffentlich-rechtlicher Sender davon, Björn Höcke als adäquaten Diskursteilnehmer zu markieren? Reicht als Pro-Argument die Tatsache, dass Höcke im Osten durchaus auf eine große Anhängerschaft zählen kann und es eine Frage der „Ausgewogenheit“ sei, auch der Botschaft von völkischen AfD-Vertretern zu medialer Massenverbreitung zu verhelfen? Dem könnte gekontert werden, dass es Zeiten gab, in denen kein Journalist auf die Idee gekommen wäre, einem Vertreter – ob gewählt oder nicht – der extremen Rechten eine Plattform zu bieten.
Björn Höcke (AfD) im MDR: Viele Fragen wurden umsonst gestellt
Erst kürzlich war der RBB baden gegangen, als er mit Andreas Kalbitz einen gemütlichen Plausch vor Naturkulisse führte. Ganz der nette Rechte von nebenan hatte sich der Rechts-Rechtsaußen-Mann in Szene setzen dürfen. Im Nachklapp war von „Mängeln in der redaktionellen Zusammenarbeit“ die Rede gewesen.
Der MDR hatte im Vorfeld betont, sich im Gegensatz zum Schwestersender keine Fehler leisten zu wollen. Höcke wurde daher nicht ins Grüne, sondern in das Foyer des Erfurter Funkhauses platziert. „Bestimmten Leuten – egal welcher Parteizugehörigkeit – kein Podium geben zu wollen“ sei „in meinen Augen keine journalistische Kategorie“, wurde der für das Gespräch verantwortliche Boris Lochthofen in der „Zeit“ zitiert. Dann schauen wir doch mal, wie sich die journalistische Kategorie „Gespräch mit Björn Höcke“ darstellt.
MDR-Moderator Lars Sänger hatte das Vergnügen, sich mit dem ehemaligen Lehrer im Live-Stream auszutauschen. Kleiner Spoiler vorab: Es war in etwa so, wie erwartet. Björn Höcke, der Mann, der „deutschlandweit polarisiert“ (Sänger), spulte seine Inhalte häufig jenseits der ihm gestellten Fragen herunter, gab sich dabei aber höflich lächelnd und ganz Geduldsmensch.
Björn Höcke spricht im MDR über seinen (Ex-)„Flügel“ in der AfD
Am Anfang kam sogar so etwas wie ein Interview nach dem klassischen Frage-Antwort-Schema zustande. So erfuhr die Zuschauerin, dass sich Björn Höcke in Thüringen sehr wohl fühle, stolz auf die Thüringer Impulse sei, die die Gesamt-AfD bereicherten, den „Geist des Flügels“ für immens wichtig erachte und sich offen halte, 2021 für den Bundestag zu kandidieren.
Wie man sich das Ende des „Flügels“ praktisch vorstellen müsse, hatte Sänger nachgehakt. Der „Flügel“ sei eine „Vertrauens- und Gesinnungsgemeinschaft“ gewesen, fröhlich und unbeschwert sei man alljährlich zusammengekommen, das Netzwerk habe sich jedoch aufgelöst. Wer wissen will, was Björn Höcke unter den fröhlichen Zusammenkünften versteht, möge das „Kyffhäusertreffen“ googeln, wo sich das völkische Parteipersonal bei Blasmusik und stramm rechten Reden zum Stelldichein versammelte. Übrigens 2018 inklusive Jörg Meuthen.
Ob die AfD, siehe Rauswurf von Andreas Kalbitz, einen Kurswechsel bezüglicher Akteure „sehr weit am rechten Rand“ fahre, wollte Sänger schließlich wissen – und offenbarte mit dieser Frage die ganze Problematik des Interviews. Wie soll Björn Höcke, prominenter Vertreter genau jenes rechten Randes, diese Frage beantworten? ‚Mitnichten, Herr Sänger, was man daran sieht, dass ich mich nach wie vor meiner Parteimitgliedschaft erfreue‘, hätte er eigentlich antworten müssen.
Björn Höcke ruft zur Demo nach Corona-Berlin auf
Weiter sollte er eine Einschätzung bezüglich einer „Brandmauer nach rechts“ abgeben, was er mit einem Schmunzeln quittierte. Parteiausschlüsse kämen in Thüringen kaum vor, er moderiere und suche nach Konfliktlösungen. Noch so eine Frage, die dem Falschen gestellt wurde.
Erwähnung fand auch Björn Höckes Aufruf zur bundesweiten Demo am 29. August in Berlin. Zur sogenannten „Querdenker“-Demonstration mobilisiert aktuell die gesamte extrem rechte Szene von NDP bis zur „Identitären Bewegung“. Auf Facebook hatte Höcke seine Anhänger explizit aufgefordert, nicht als AfD zu marschieren, wobei der Grund hierfür auf der Hand liegen dürfte: Um zu vermeiden, dass AfD-Fahnen Seit an Seit mit Reichskriegsflaggen im Berliner Sommerwind wehen. Entsprechend inszenierte sich Höcke als freiheitsliebenden Bürger: „Wir wissen einfach sehr, sehr wenig“, formulierte er, um vor lauter Nichtwissen die Corona-Pandemie für beendet zu erklären.
Björn Höcke (AfD) versteht es, seine politischen Botschaften zu platzieren
Überhaupt verstand es Björn Höcke, unabhängig der ihm gestellten Fragen seine politischen Botschaften zu platzieren. „Aber Herr Sänger“, leitete er gerne seine Antworten ein, wobei der Moderator sich durchaus, wenn auch in vielen Fällen vergeblich, bemühte, Höcke festzunageln. „Wie lange kann Sie die AfD noch halten?“ „Herr Sänger, wir haben eine Bundesregierung ...“usw.usf.
Nächster Versuch Sängers mit dem Verweis auf die Haltung des AfD-Vorstandes. „Herr Sänger, wenn ich an den Verfassungsschutz denke...“ usw.usf. „Es geht um eine ganz andere Frage...“ „Herr Sänger, dieser Verfassungsschutz ist ein Regierungsschutz...“ usw.usf. Das Thema Landolf Ladig bügelte ebenso Björn Höcke ab, wobei der Hinweis hilfreich gewesen wäre, dass Höcke 2019 erneut eine diesbezügliche eidesstattliche Erklärung abgelehnt hat.
Fazit:
Lars Sänger ist als Moderator kein Vorwurf zu machen, da in der Person Björn Höcke die Problematik im Vorfeld angelegt war. Er, wie es andere AfD-Politiker ebenso regelmäßig praktizieren, ist an einem Diskurs nicht interessiert, sondern will, und sei es qua Monolog, seine Themen und Inhalte möglichst widerspruchsfrei platzieren. Hinzu kommt, dass es unmöglich ist, mit einem Rechtsextremisten, der die diesbezügliche Faktenlage negiert, die Problematik des Rechtsextremismus innerhalb der AfD zu diskutieren. Natürlich sind Politiker-Gespräche meistens ein Festival parteipolitischer Phrasendrescherei. Nur findet in der Regel weder Corona-Leugnung noch Hetze noch Verharmlosung der extremen Rechten statt. Wenn das die Ausgewogenheit des Öffentlich-Rechtlichen gewährleisten soll, dann ist weniger in Sachen journalistischer Kategorien vielleicht doch einfach mehr.
(Mit Video im Artikel. * grusel *)