Jürgen Pohl gefällt der neue Internetauftritt. Wenige Tage nachdem "Alternative-Basis.de" online gegangen war, schrieb der AfD-Bundestagsabgeordnete bei Facebook: "Ich möchte Ihnen heute eine neue Webseite empfehlen, deren Besuch sich auf jeden Fall lohnt!" Der Rechtsanwalt aus Mühlhausen zählt zum Umfeld des Thüringer AfD-Landes- und Fraktionschefs Björn Höcke, der die AfD-Parteiströmung "Flügel" bis zu deren offizieller Auflösung anführte.
"Wir sind eine Macht"
Die Macher von "Alternative Basis" sprechen auf ihrer Homepage, bei Facebook und Twitter eine deutliche Sprache. Unter dem Slogan "Wir sind eine Macht" machen sie sich für die beiden ehemaligen "Flügel"-Sprecher Höcke und Andreas Kalbitz aus Brandenburg stark. Gleichzeitig attackieren sie den AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen scharf. Mitte Mai hatte Meuthen im Bundesvorstand die zwischenzeitliche Annullierung von Kalbitz' Parteimitgliedschaft durchgesetzt - wegen Verbindungen des Brandenburgers ins rechtsextreme Milieu. Wie die "Alternative Basis" agieren auch Internet-Gruppierungen wie "Blaues Ende - gemäßigt in den Untergang" oder "Nationalkonservative Wertegemeinschaft in der AfD" (Selbstbeschreibung: "Eine Reaktion auf die Auflösung des Flügels").
Auch diese Plattformen stehen der Politik des "Flügels" programmatisch nahe. Ihr hauptsächlicher Daseinszweck scheint in der massiven Attacke auf Meuthen sowie im bedingungslosen Eintreten für die beiden Ex-"Flügel"-Sprecher zu bestehen. Immer mehr solcher Seiten, Kanäle oder geschlossene Facebook-Gruppen wie "AfD-Flügel Freunde Meitingen u. Umland" sind in den vergangenen Monaten entstanden. Dies nachdem der Verfassungsschutz die Parteiströmung als rechtsextrem eingestuft hatte, und Höcke und Kalbitz sie für offiziell aufgelöst erklärten.
Keine Belege für AfD-Beteiligung
Wer hinter den Internetauftritten der "Flügel"-Sympathisanten steckt, ist unklar. In den jeweiligen Impressen werden keine Namen genannt. "Alternative Basis" nutzt offenbar einen französischen Provider. Die Macher dieser Plattform reagierten nicht auf eine Interviewanfrage von MDR THÜRINGEN. Das taten zwar die Köpfe hinter der "Nationalkonservativen Wertegemeinschaft in der AfD". Angaben allerdings wollten sie nicht machen.
Als "der AfD nahestehende Personen" bezeichnen sich auf Anfrage die Initiatoren von "Blaues Ende". "Deren Motivation ist Rechtsstaatlichkeit", heißt es per E-Mail. "Um diese zu erhalten, werden innerparteiliche Missstände aufgezeigt mit dem Ziel, diese zu beseitigen." Gefragt nach ihrem harten Kommunikationsstil teilen die Aktivisten mit, man zeige Problemfälle auf, "durchaus auch in deutlicher und plakativer Form".
Reaktion von "Blaues Ende"
Sorgen, ins Visier des Verfassungsschutzes zu geraten, weil sie sich für den Ex-"Flügel"-Chef Kalbitz stark machen, treiben die Initiatoren von "Blaues Ende" offenbar nicht um. Dazu teilen sie mit: "Bezogen auf die Person von Andreas Kalbitz gibt es nach unserer Kenntnis keine belastbaren Beweise, die durch den Verfassungsschutz geliefert wurden, und die die Einstufung seiner Person als rechtsextrem rechtfertigen."
Dazu kommt: Es gibt keine Belege dafür, dass AfD-Funktionäre wie Kalbitz und Höcke oder deren Landesverbände etwas mit den Plattformen zu tun haben. Auf Anfrage von MDR THÜRINGEN teilte dazu Torben Braga, der parlamentarische Geschäftsführer der AfD im Thüringer Landtag, mit: "Der Landesverband Thüringen der AfD steht in keiner Verbindung zu den genannten Plattformen. Mir beziehungsweise dem Landesvorstand der Thüringer AfD sind die Inhalte, die Ziele und die für diese Internetauftritte verantwortlichen Personen nicht bekannt."
Das Protokoll
Im Fall von "Alternative-Basis.de" gibt es gleichwohl Hinweise darauf, dass die Macher zumindest in der Alternative für Deutschland gut vernetzt sein könnten. Davon zeugt beispielsweise ein Dokument, das auf der Website zum Download angeboten wird. Es ist das Protokoll einer Sitzung der Zivilkammer 63 am Berliner Landgericht vom 19. Juni 2020 (Aktenzeichen 63O50/20). "In Sachen Kalbitz, A. / Alternative für Deutschland" steht auf der ersten Seite. Dokumentiert wird das Gerichtsurteil, wonach Andreas Kalbitz - bis zur Entscheidung des Bundesschiedsgerichts - Mitglied der AfD bleiben darf. Ursprünglich hatte sich das Schriftstück in wenigen Händen befunden.
Auf Anfrage von MDR THÜRINGEN erklärte ein Sprecher des Berliner Landgerichts, dass "in dem angefragten Verfahren das Sitzungsprotokoll nur an die jeweiligen Prozessbevollmächtigten der Parteien übersandt" wurde. Offen bleibt also, woher die Internet-Aktivisten das Dokument haben? Im Netz kursieren mehrere Versionen davon. Bei diesen allerdings sind wichtige Daten wie etwa der Name der zuständigen Richterin geschwärzt.
Auch in einem weiteren Artikel bei "Alternative-Basis.de" wird zumindest vorgegeben, über Insiderwissen zu verfügen. Unter der Überschrift "Was kostet unsere Partei der Fall Kalbitz?" stellen anonyme Autoren Mutmaßungen über die Einkünfte des Rechtsanwalts an, der die AfD im Fall Kalbitz vertritt ("Er nimmt 500 €. Zum Vergleich: Normal sind 200 und 250 € pro Stunde.") Woher beziehen die anonymen Autoren ihr angebliches Wissen?
"Politisch unbedeutende Verräter, U-Boote, Nestbeschmutzer, Spalter"
So wie Jörg Meuthen werden auf "Alternative-Basis.de" auch andere parteiinterne "Flügel"-Kritiker scharf attackiert. Unlängst traf es den AfD-Bundestagsabgeordneten Uwe Schulz. Der Telekom-Manager unterstütze Jörg Meuthen nach eigenen Angaben "aktiv". "Alternative Basis"-Autoren bezeichnen Schulz als "politisch unbedeutenden und zersetzerisch tätigen Verräter, U-Boot, Nestbeschmutzer, Spalter". Zudem heißt es: "Uwe Schulz gilt in der Fraktion als hinterbänklerischer Fremdkörper. Verschlagen, heimtückisch, unehrlich, cholerisch, faul, fachlich desinteressiert und schlecht ausgebildet."
Auf Anfrage von MDR THÜRINGEN teilte Uwe Schulz mit: "Ich gehe davon aus, dass Kalbitz die Partei verlassen muss. Sein Netzwerk versucht nun, gerade die Vertreter zu desavouieren, die klar hinter der bürgerlichen Ausrichtung stehen. Als MdB stehe ich natürlich in deren Fokus. Ich sage meine Meinung klar und offen." Da wirkliche Argumente gegen ihn fehlten, werde auf niedrigem Niveau Stimmung gemacht. Im Streit um Kalbitz' Parteimitgliedschaft hat das Bundesschiedsgericht der AfD den Brandenburger zu einer mündlichen Verhandlung am 27. Juli in Stuttgart geladen.
Radikales Gefolge
Bei Twitter folgen "Alternative Basis" neben lokalen AfD-Vertretern auch extrem rechte Schwergewichte wie "Sezession im Netz". Dahinter steckt der AfD-Stratege Götz Kubitschek vom "Institut für Staatspolitik", das der Verfassungsschutz als rechtsextrem einstuft. Auch Benedikt Kaiser, der für Kubitschek als Lektor arbeitet, folgt dem Zusammenschluss auf Twitter. Martin Sellner, der Chef der rechtsextremen "Identitären Bewegung" in Österreich zählte ebenfalls zu den "Alternative Basis"-Followern, zumindest so lange bis Twitter dessen Account sperrte. Der deutsche Ableger der "Identitären Bewegung" wird vom Verfassungsschutz beobachtet.
"Blaues Ende"
Auch der Facebook-Kanal "Blaues Ende - gemäßigt in den Untergang" hat ein paar Prominente unter seinen mehr als 800 Abonnenten wie etwa Frank Pasemann aus Magdeburg. Diese Personalie lässt aufhorchen. Zählt der AfD-Bundestagsabgeordnete doch wie dessen Fraktionskollege Jürgen Pohl zu den Gründungsmitgliedern des "Flügel"-Unterstützervereins "Konservativ!" mit Sitz in Erfurt. Laut Verfassungsschutz soll die extrem rechte Truppe eine schwarze Kasse zugunsten der Parteiströmung unterhalten haben.
Kalbitz als Kampfroboter
Die Internet-Aktivisten von "Blaues Ende" sind wie die Köpfe hinter einer weiteren Plattform, der "Nationalkonservativen Wertegemeinschaft in der AfD", auf Diffamierungen spezialisiert. So verbreitete die "Wertegemeinschaft" eine zweigeteilte Grafik. Im oberen Teil wird Andreas Kalbitz vor einem strahlend blauen Hintergrund gezeigt. Darunter vor einem tiefen Rot sind u.a. Jörg Meuthen und Beatrix von Storch, die im Bundesvorstand ebenfalls für den Rauswurf Kalbitz' gestimmt hatte, zu sehen. Dazu der Slogan: "Wir sind die Spalter".
Bei "Blaues Ende" wird Jörg Meuthen in hoher Frequenz zum Rücktritt aufgefordert. Bei seinem bürgerlichen Namen wird der AfD-Bundessprecher allerdings selten genannt. Nahezu durchgängig wird er als "Verräter", "Spalter", "Zersetzer", "professoraler Raffzahn", "Feindzeuge" oder "verlogener Heuchler" tituliert. In Cartoons wird der AfD-Chef unvorteilhaft dargestellt - etwa als Intensivpatient, dem der Stecker gezogen wird, oder als verängstigtes Kind in Mädchenbekleidung, das sich unter einem Tisch vor Kalbitz versteckt. Der wiederum wird als martialisch bewaffneter Kampfroboter gezeigt.
Verfassungsschutz alarmiert
Auf Anfrage von MDR THÜRINGEN äußerte sich der Thüringer Verfassungsschutz nicht direkt zu einzelnen Plattformen wie "Blaues Ende" oder "Alternative Basis". Generell aber teilte eine Behördensprecherin mit: "Bei seiner Analyse extremistischer Personenzusammenschlüsse - z.B. der eigenem Bekunden nach aufgelösten AfD-Teilorganisation 'Der Flügel' – greift der Verfassungsschutz regelmäßig auch auf diverse allgemein zugängliche Quellen, darunter auch Internetpräsentationen, Verlautbarungen in sozialen Netzwerken zurück. Diese Recherchen reichen in aller Regel auch in das Sympathisantenfeld einer verfassungsfeindlichen Gruppe/Organisation hinein". Als "Flügel"-Sympathisanten jedenfalls lassen sich die Macher der neuen Plattformen im Internet ohne jeden Zweifel beschreiben.
https://www.mdr.de/thueringen/afd-fluegel-im-internet-100.html