Da es völlig aussichtslos ist, dürfen wir wohl annehmen, der herrlichste aller Präsidenten werde daran festhalten ...
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LTO: Gibt es aus Ihrer Sicht noch irgendwelche Trump-Klagen, die die Wahlergebnisse realistisch in Frage stellen könnten?
Prof. Dr. Kirk Junker: Nein. Und jetzt sollten endlich auch seine eigene republikanische Partei und der ehemals Trump-freundliche Sender Fox News diese Rechtsstreitigkeiten als sinnlos bezeichnen. Es wäre sicherlich etwas anderes, wenn es nur um einen Staat gehen würde, wie im Jahr 2000, als Florida das Zünglein an der Waage war. Trump müsste es aber gelingen, in drei oder vier Staaten mit seinen Klagen das Wahlergebnis umzukehren. Das wird nicht passieren.
Wann könnte sich der Supreme Court mit der Wahl befassen und in welcher Form?
Der Supreme Court ist ein Berufungsgericht. Um dorthin zu gelangen, müsste Berufung gegen ein erstinstanzliches Urteil eingelegt werden, etwa, weil Beweise nicht ordnungsgemäß bewertet oder das Gesetz falsch interpretiert wurde. Da aber keine Beweise angeboten wurden, können sie auch nicht falsch bewertet werden. Und es gab nicht einmal Vorwürfe wegen rechtlicher Fehlinterpretationen.
Dennoch klammert sich Trump ans Amt, noch ist nicht klar, wie genau die Übergabe der Amtsgeschäfte ablaufen soll. Hätte der gewählte Präsident Joe Biden ein juristisches Instrument an der Hand, um bereits vor der offiziellen Amtsübernahme Zugang zu wichtigen Institutionen zu bekommen?
Biden könnte Klage gegen die General Services Administration erheben. Bei einem Amtswechsel von einem US-Präsidenten zu einem anderen stellt diese Behörde dem gewählten zukünftigen Präsidenten eine Bescheinigung aus, die ihm und seinem Übergangsteam das Betreten und die Nutzung von Regierungsgebäuden und -büros erlaubt. Er könnte sie quasi zwingen, festzustellen, dass er gewonnen hat. Aber ich glaube nicht, dass er das tun wird. Er verfolgt eine Strategie der Ruhe, ihm ist nicht nach mehr Kampf.
"Biden wird am 20. Januar ins Weiße Haus einziehen"
Bis zum 8.12. müssen die Bundesstaaten ihre beglaubigten Wahlergebnisse nach Washington melden. Am 14.12. werden die 538 Wahlleute abstimmen, am 6.1. wird im Kongress dann das Ergebnis bekanntgegeben. Wie realistisch ist der Zeitplan?
Sehr realistisch. Die Staaten waren auch trotz Pandemie gut auf diese Wahl vorbereitet. Wir sehen jetzt, dass die Wahlleiter, einschließlich die der Republikaner, stolz auf ihre Arbeit sind und diese auch vernünftig zu Ende führen wollen.
Selbst wenn ein Bundesstaat nicht in der Lage wäre, seine Stimmen zu bestätigen, wird Biden immer noch 270 Stimmen beisammenhaben. Die Dinge werden ganz normal ihren Gang gehen.
Die Wahlleute müssen das Ergebnis im jeweiligen Bundesstaat respektieren und dürfen davon bei der Abstimmung auch nicht abweichen. Korrekt?
Grundsätzlich ja. In 33 der 50 Bundesstaaten ist das sogar gesetzlich so geregelt: Die Wahlleute müssen sich an das Ergebnis der Wahl halten, ansonsten verletzen sie die Verfassung. Der Supreme Court hat bestätigt, dass die Staaten solche Regelungen treffen dürfen. In den übrigen Staaten, dazu gehört auch Pennsylvania, gibt es keine gesetzliche Regelung dazu, es ist aber üblich – sogenannte "untreue" Wahlleute, die anders abstimmen, sind die absolute Ausnahme. Das wird Biden jedenfalls nicht den Sieg kosten, er hat genug Stimmen, selbst wenn es einzelne Abweichler geben sollte.
Wenn sich Trump trotz Ausschöpfung des Rechtsweges weiter weigert, abzutreten: Was droht den USA dann – abgesehen von einer veritablen Verfassungskrise?
Die sehe ich nicht auf die USA zukommen. Seit dem Wahltag sind erst zwei Wochen vergangen, und wir sehen jetzt einen sehr gedämpften Donald Trump. Diverse Medien und inzwischen auch viele Republikaner fordern ihn auf, die Macht zu übertragen. Meine Prognose: Er nutzt zwar die zwei verbleibenden Monate, um zu alles zu versuchen, was ihm die Präsidentschaft sichern könnte – aber er wird den 20.Januar als Stichtag akzeptieren. An diesem Tag wird Joe Biden ins Weiße Haus einziehen.
Trump-Anwälte im "berufsethischen Konflikt"
Reihenweise weigern sich Anwaltskanzleien, weiter für Trumps Anliegen ins Feld zu ziehen. Und die, die ihn noch "verteidigen", müssen mit heftiger Kritik rechnen. Es scheint: Selten war es so schlecht fürs Image, einen US-Präsidenten als Mandanten zu haben. Können Sie die Mandatsniederlegungen nachvollziehen?
Die Anwaltskanzleien haben die Sorge, Mandanten zu verlieren, wenn sie weiterhin versuchen, die extreme und abwegige Position Donald Trumps juristisch zu vertreten. Darüber hinaus reißt auch den Richtern allmählich der Geduldsfaden, wenn sie mit derart eindeutig unbegründete Fällen konfrontiert werden. Für die Anwälte führt das auch zu einem berufsethischen Konflikt. Vor diesem Hintergrund kann ich absolut nachvollziehen, wenn Anwälte auf Donald Trump als Mandanten verzichten.
Trump hat ja nicht nur mit der Besetzung Barretts am Supreme Court dafür gesorgt, dass in der amerikanischen Justiz viele stock-konservative Richter auf Lebenszeit ernannt wurden. Was kann ein neuer Präsident Biden tun, um da umzusteuern?
Ich glaube nicht, dass Biden vorschlagen wird, die Anzahl der Richter am Supreme Court zu ändern. Das ist kein Gewinnspiel. Er wird vielleicht die Chance haben, einen Richter zu ersetzen, aber das wird dann wohl mit Stephen Breyer (82) ein liberaler Richter sein: An der konservativen Mehrheit am Supreme Court würde das nichts ändern.
Das Problem insbesondere für Richter des Supreme Courts ist, dass es keine wirklichen Regeln gibt, die sie binden. Das Gericht kann den Canon 1 des Model Code of Judicial Conduct, eine Art Verhaltensregeln für die Richterschaft, schlichtweg ignorieren: Darin werden Richter eigentlich zur Unabhängigkeit, Integrität und Unparteilichkeit ermahnt. Damit muss Präsident Biden dann klarkommen.
Aber natürlich wird Biden auch die Möglichkeit haben, viele Richter in Bundesbezirks- und Berufungsgerichten zu ersetzen, wenn der Senat zustimmt. Vieles wird daher von der Wahl der Senatoren in Georgia am 5. Januar abhängen. Gewinnen die Demokraten eine Mehrheit im Senat, wird es für Biden leichter.
Professor Dr. Kirk W. Junker ist Inhaber des Lehrstuhls für US-amerikanisches Recht an der Universität zu Köln.