Das Buch könnte so interessant sein wie das seiner Nichte.
Spoiler
USA I:Unterwürfige Loyalität bevorzugt
Die Journalistin Susan B. Glasser schildert das, was sich hinter den Kulissen des Weißen Hauses abspielt, als neutrale Beobachterin - was ihre Erkenntnisse umso schlimmer macht.
Von Franziska Augstein
Nachdem das Repräsentantenhaus der USA unter Führung der Demokraten in diesem Winter ein Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump eingeleitet hatte, tweeteten seine PR-Leute ein Video, in dem Trumps Kopf auf den Körper des bösen Superhelden "Thanos" aus den Marvel-Comics gesetzt war. Dazu die Botschaft: "Präsident Trumps Wiederwahl ist unausweichlich." Die Journalistin Susan B. Glasser wundert sich, wie der Präsident und sein Team sich ausgerechnet einen Superhelden aussuchen konnten, der die Menschheit ausrotten will, und der dann von "Iron Man", einem guten Marvel-Superhelden, liquidiert wird. Ja, warum?
Die Stimme von Susan Glasser hat Widerhall. Wenn sie mit jemandem aus Washingtons Politgetriebe sprechen will, sagen die meisten Leute zu. Ihr Buch besteht aus Artikeln, die sie zwischen Januar 2018 und Ende März 2020 für das Magazin New Yorker geschrieben hat. Die zwei Verleger des kleinen, unabhängigen Verlags Weltkiosk kamen auf die Idee, aus Glassers Artikeln ein Buch zu machen: "Briefe aus Trumps Washington". Sie fanden den Übersetzer Matthias Hempert und ließen in Windeseile drucken; seit Mai ist das Buch erhältlich. Die Corona-Katastrophe und ihre Folgen werden darin zwar nicht thematisiert, die Lektüre von Glassers Buch lässt indes vorausahnen, wie großsprecherisch-verantwortungslos Trump dem Virus begegnen sollte. Die Autorin erklärt auch, warum mittlerweile selbst überzeugte Republikaner sich von ihm abgewendet haben.
Glasser versteht, warum Trump so viele Anhänger hat: Er wettert gegen das Establishment. Das kommt an. Die einflussreichen Cliquen in Washington bezeichnet die Journalistin selbst als "Sumpf". Jeder ist sich selbst der nächste, eine Hand wäscht die andere. Als einen Abkömmling und Profiteur des Sumpfes schildert sie Donald Trump. Er ist - so lässt sich ihr Urteil figurativ zusammenfassen - ein Gift-Wasserschierling, der sich durch entwurzelte und schwimmende Knollen vermehrt: Die durch die "sozialen Netzwerke" nicht erweckte, sondern bloß enorm beförderte Neigung vieler US-Amerikaner, nur das zu glauben, was sie glauben wollen, hat Trump sich zunutze gemacht. Bis zu diesem Frühjahr genügte es, dass Trump sich selbst für großartig erklärte und seine konkreten Wahlversprechen einlöste: Es gab Steuersenkungen, wobei das Gros seiner Wähler nicht wahrnahm, dass diese vor allem Wohlhabenden zugute kommen. Dem Ressentiment gegen Ausländer kam er entgegen: Die Mauer gegen Mexiko ist ihm ein Anliegen. Und die Finanzindustrie darf wieder ins Risiko gehen, fast so schwindelnd-schwindelfrei wie vor der Finanzkrise 2007.
"Man würde es nicht meinen, aber die Europäische Union ist ein Feind."
Das Buch handelt von Trumps bisher dreieinhalb Regierungsjahren. Als Prozess betrachtet, handelt es sich um die Auflösung amerikanischer Politik in Inkompetenz und Chaos - dies allerdings konsequent ins Werk gesetzt. Trump hätschelte Nordkoreas mal Meuchelmord befehlenden, mal schief gebaute Atomwaffen-Trägerraketen starten lassenden Präsidenten Kim Jong-un und erklärte: "Ich liebe ihn". Trump sagte das Atomabkommen mit Iran ab, an dem Diplomaten etlicher Länder jahrelang gearbeitet hatten. Er kündigte den Atomwaffensperrvertrag auf, distanzierte sich vom Pariser Klimaabkommen, von der Weltgesundheitsorganisation, der UN und der Nato. Über die EU hat er gesagt: "Also, man würde es nicht meinen, aber die Europäische Union ist ein Feind." Die Bundesrepublik hat er besonders auf dem Kieker. Glasser zitiert einen ehemaligen US-Botschafter: "Wenn er über Verbündete redet, meint er Deutschland. Wenn er über die EU redet, meint er Deutschland." Bei einem Treffen mit Angela Merkel warf er ihr zwei Bonbons auf den Tisch: "Hier, Angela. Sag nicht, ich würde dir nie etwas geben", soll er gesagt haben. Auch weil der US-Präsident undurchsichtige Finanzinteressen in Russland hat, schmähte er den ehemaligen FBI-Chef Robert Mueller, der eingesetzt war, um zu ermitteln, ob Trumps Wahlkampfteam vor den Wahlen 2016 mit Russlands Führung etwas ausgeheckt habe; er nannte Mueller "eine Schande für unser Land". Etliche diplomatische Posten hat Trump unbesetzt gelassen. Glasser schließt auf den "Zusammenbruch der amerikanischen Außenpolitik".
Innenpolitisch sieht es genauso aus. Weil einer jeden die Bluse näher ist als der Rock, zählt die Innenpolitik mehr als Außenpolitik. Trumps frauenfeindliche Äußerungen spielen im Hinblick auf Wählerprozente keine Rolle. Wer ihn abstoßend findet, hat noch viele Gründe mehr. Andererseits wären viele Freundinnen seiner vulgären TV-Show, die ihm Berühmtheit verschaffte, bevor er Präsident wurde, enorm beglückt, von ihm begrapscht zu werden. Problematisch ist vielmehr, dass Trump die gesamte Regierung unmöglich macht, dies in beiderlei Sinn des Wortes.
Unmöglich ist Trumps Regierung auf ganz praktische Weise: Keine Instanz im Weißen Haus weiß, was die andere tut. Und was die Leute tun, ist oftmals sowieso egal, weil der Präsident per Twitter ihre Planungen ad hoc über den Haufen wirft. Viele, die bemüht waren, berechenbare Politik zu betreiben, wurden von Trump geschasst. Trump stört das nicht.
Glasser schreibt, mittlerweile sei Trump weithin dafür bekannt, "dass er unterwürfige Loyalität ehrlichem Rat vorzieht". Das hat sich gezeigt, als die Demokratische Partei Ende 2019 sich dazu durchrang, im Repräsentantenhaus ein Amtsenthebungsverfahren in Gang zu setzen, um das Scheitern wissend, weil in der entscheidenden Instanz, dem Senat, Trumps Republikaner die Mehrheit haben. In den Anhörungen haben sich die meisten Republikaner mit Loyalitätsbekundungen gegenüber dem Präsidenten schier überschlagen - diese Leute wissen, auf welcher Seite ihr Brot gebuttert ist. Was sich hinter den Kulissen abspielte, schildert Susan Glasser als neutrale Beobachterin - was ihre Erkenntnisse umso schlimmer macht.
Die Frage, warum Trump sich als den mordlustigen Thanos aus den Marvel-Comics zeigen lässt, ist einfach zu beantworten. Diese Antwort gibt nicht Susan Glasser, sondern ein Autor namens "Anonymus" ("Warnung aus dem Weißen Haus", Quadriga 2019). Anonymus arbeitete im Weißen Haus, nahe dem Präsidenten. Er zitiert, was Trump als Präsidentschaftskandidat im Wahlkampf 2016 gesagt hat: "Wir müssen als Nation unberechenbar werden. Wir sagen alles. Wir schicken Truppen. Wir sagen es ihnen. Wir senden etwas anderes. Wir halten eine Pressekonferenz ab. Wir müssen unberechenbar sein. Und wir müssen von jetzt an unberechenbar sein." Dieses hat Trump eingelöst. Susan Glasser folgt seinen Spuren.