Leserzuschriften aus Deutschland faken und sich dadurch verraten, dass man typisch österreichische Ausdrücke verwendet, die in Deutschland völlig ungebräuchlich sind, ist eine Sache. Wenigstens sollte sich WE aber in Österreich auskennen.
Jetzt hat er kommentarlos einen Beitrag verlinkt, der sich mit der österreichischen Geschichte befasst. Dieser ist hier
http://staatsstreich.at/100-jahre-kleinoesterreich-und-die-kollision-der-geschichtsnarrative.html zu finden.
Ich zitiere mal den Anfang dieses, hm,
Pamphlets Geschreibsels:
Am 12. November vor 100 Jahren ist die Republik Deutschösterreich ausgerufen worden und Historiker, Journaille und Politicos betrauern, dass 1918 “niemand an die junge Republik geglaubt hast”.
Wenn ich recht informiert bin, wollte so gut wie niemand 1918 oder 1919 eine Republik Österreich: Kaiser Karl der Letzte ganz gewiss nicht, er gab denn auch eine windelweiche Erklärung ab, dass er auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften verzichte, ohne dabei ausdrücklich einen Rücktritt oder eine Abdankung zu erwähnen. Deutschsprachige Österreicher wollten wohl in der Mehrheit entweder den Status quo erhalten oder wünschten eine Verbindung mit dem Deutschen Reich, was aber die Alliierten des ersten Weltkrieges nicht wollten ("Anschlussverbot"). Die neu entstandene Republik Österreich war gewissermaßen der Überschuss der Erbmasse des ehemaligen Österreich-Ungarn, den niemand haben wollte bzw. durfte. Rumpf-Österreich blieb nolens volens nichts Anderes übrig, als sich als "Kleinstaat" einzurichten. Um die Staatsform wurde durchaus gerungen, noch mehr allerdings um die Verfassung. Dies zeigt sich u. a. darin, dass Österreich bis heute keine einheitliche Verfassungsurkunde hat, sondern mehrere Verfassungsgesetze. Der Kern der staatsorganisatorischen Bestimmungen findet sich bis heute im Bundes-Verfassungsgesetz, das allerdings den wichtigen Bereich der Finanzverfassung nicht enthält. Da zumindest eine Reorganisation der Staatsorganisation dringlich erschien und man sich darüber halbwegs einigen konnte, wurde das Bundesverfassungsgesetz in Kraft gesetzt, die Finanzverfassung im Finanzverfassungsgesetz erst später geregelt. Die weitere Geschichte des Verfassungsrechts ist ebenfalls bezeichnen: Anfangs war die Verfassungsordnung vergleichsweise liberal und im Wesentlichen parlamentarisch. 1929 wurde das Bundes-Verfassungsgesetz nach deutschem Vorbild novelliert und vor allem die Stellung des Bundespräsidenten gestärkt, wobei es aber in der Praxis nie zu einer tatsächlichen Stärkung des Bundespräsidenten in vergleichbarer Weise wie in der Spätphase der Weimarer Republik kam. Der 1934 ausgerufene autoritäre Ständestaat stärke dann vor allem die Regierung zu Lasten des Parlaments, der Bundespräsident blieb trotz formal erheblicher Rechte eine Randfigur. 1945 wurde der rechtliche Zustand von 1934 vor Ausrufung des Ständestaates wiederhergestellt.
Kurz: Nach allem, was bekannt ist, wollte wohl wirklich nur eine Minderheit eine Republik Österreich, die meisten Zeitgenossen sahen in ihr eher nur eine Übergangsform zu einem gänzlich anderen Zustand, über den allerdings die Meinungen weit auseinander gingen.
Weiter lesen wir folgenden intellektuellen Höhenflug:
[...] wohingegen die deutschfranzösische EU mega-hui ist.
Diese ist aber ungefähr so demokratisch wie das Habsburgerreich während seiner letzten Jahrzehnte (bestenfalls) und vergleichbar multikulti.
Die EU ist eine multinationale Gemeinschaft, der gegenwärtig (noch) 28 Staaten als Mitglieder angehören. "Deutschfranzösisch" ist sie daher gewiss nicht.
Man mag die EU als "multikulti" ansehen, im Unterschied zum untergegangenen Habsburgerreich handelt es sich bei ihren Mitgliedstaaten allerdings bis heute um souveräne Staaten, die erhebliche Rechte behalten haben. Im Habsburgerreich waren demgegenüber die Kronländer eher Provinzen mit einer begrenzten Selbstverwaltung, die durch einen von der Zentrale eingesetzten Gouverneur überwacht wurde. Ein monarchisches Oberhaupt hat die EU nicht, eben so wenig sind den Mitgliedsländern Gouverneure der EU vorgesetzt.
Während der Reichsrat der ehemaligen Doppelmonarchie darauf angelegt war, nicht beschlussfähig zu sein, sodass die Regierung letztlich immer mit "dringlichen" Notstandsdekreten operieren konnte, hat das EU-Parlament seit seinem Bestehen ununterbrochen arbeiten können. Eine vorzeitige Auflösung des EU-Parlamentes oder eine Vertagung durch die Regierung bzw. EU-Kommission ist nicht möglich, wohingegen der Reichsrat durchaus durch die Regierung lahm gelegt und aufgelöst werden konnte, was denn auch öfter geschah. Das EU-Parlament hat in seiner Geschichte bereits den Rücktritt einer EU-Kommission erzwungen und nimmt durchaus Einfluss auf die Rechtsetzung, die Finanzen und die Verwaltung der EU. Ein Verordnungsrecht ist in der EU nur in klar umrissenen Fällen vorgesehen, weder Rat noch Kommission können Rechtsakte, die der Zustimmung des EU-Parlaments bedürfen, einfach verordnen. Übrigens hat die EU formell noch nicht einmal ein Oberhaupt. Bei allen Klagen, die man über das "Demokratiedefizit" der EU erheben kann, hinkt doch der Vergleich mit der periodisch immer wieder autoritären bis diktatorischen Staatspraxis der ehemaligen Doppelmonarchie erheblich.
Am Ende fragt der Autor dann:
Müssten wir dann nicht den Untergang von Österreich-Ungarn am Ende des Ersten Weltkriegs betrauern, statt die Ausrufung der Republik Deutschösterreich zu feiern – oder wie?
Indirekt gibt er somit zu, dass ein "Multikulti"-Staat wohl doch besser sei als ein Nationalstaat. Oder was will uns der Autor sonst eigentlich sagen?
Dass die Dinge sich ändern, ist eine der wenigen Konstanten der Geschichte. Dass es in Österreich-Ungarn schon lange vor 1918 zentrifugale Kräfte gab, ist ebenfalls bekannt. Schon Jahre vor Kriegsausbruch gab es Diskussionen und Forderungen nach einer Umgestaltung des Reichs. Eine Forderung war z. B. die nach einem Trialismus, der den südslawischen Völkern einen eigenen Reichsteil neben dem österreichischen und dem ungarischen zugestehen und mehr Selbstverwaltung einräumen sollte. Der prominenteste Vertreter solche Ansichten starb allerdings ausgerechnet durch den Schuss eines Südslawen 1914 in Sarajewo. Eine derartige Umgestaltung des Reichs hätte allerdings die Frage aufgeworfen, was aus den böhmischen Ländern geworden wäre, die ganz sicher ebenfalls auf Verbesserungen in ihrem Sinne gedrungen hätten, ganz zu schweigen von der polnischen Frage, die übrigens bewusst und gezielt während des Krieges durch Deutschland, aber auch durch Österreich-Ungarn mittels Schaffung eines eigenständigen Polen aus befördert wurde, wobei allerdings die eigenen polnischen Gebiete säuberlich ausgenommen wurden.
Kurz: Eine historische "Notwendigkeit", die zum Zerfall der Doppelmonarchie führte, kann man kaum behaupten, doch scheint der Krieg Prozesse, die längst im Gang waren und die in diese Richtung neigten, beschleunigt und bestärkt zu haben. Nostalgie und Revanchismus helfen dagegen nicht.