Servus,
im Folgenden habe ich mal ein paar Gedanken und Überlegungen zur Diskussion um die geheimen Zusatzvereinbarungen zwischen Bundesrepublik und Vereingten Staaten niedergelegt, die einigen Reichsdeppen höchst willkommen waren. Der Text ist hoffentlich nicht zu umfangreich geraten. Ich habe das im Laufe des heutigen Abends so runtergeschrieben, daher sind vermutlich noch ein paar Fehler und Ungenauigkeiten enthalten, es kann aber möglicherweise als Ausgangspunkt dienen. Über Hinweise, die zur Verbesserung des Textes beitragen können, bin ich dankbar.
Vielen Verschwörungstheoretikern war die NSA-Affäre sehr willkommen: Zum einen wird betont, dass wer vor einigen Monaten eine flächendeckende Überwachung des Internets durch die Vereinigten Staaten behauptet hätte, als Verschwörungstheoretiker diffamiert worden sei - und dementsprechend müsse auch an anderen, bislang nicht bewiesenen Verschwörungstheorien etwas dran sein. Zum anderen dient die Existenz von NSA-Überwachungseinrichtungen auf deutschem Staatsgebiet, etwa der "Dagger-Komplex" bei Darmstadt, als Beleg für die angeblich eingeschränkte Souveränität der Bundesrepublik, in der nach wie vor Besatzungsrecht gelte.
Wasser auf die Mühlen der Reichsdeppen war dann ein Artikel von Thomas Gutschker und Markus Wehner in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 7. Juni 2013 (
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/nsa-affaere-der-grosse-bruder-12273323.html). Hierin wurde auf das 2012 erschienene Werk des Freiburgers Josef Foschepoth, "Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik", Göttingen 2012, Bezug genommen. Die FAS beschreibt die von Foschepoth entdeckte Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik und den Westalliierten zur Überwachung des Brief-, Post und Fernmeldeverkehrs im Interesse der Sicherheit ihrer Streitkräfte. Dann kommt der entscheidende Abschnitt, der die Reichsdeppen geradzu in Verzückung versetzt haben dürfte:
"Foschepoth war der erste Historiker, der von der Vereinbarung erfuhr. Als er darum bat, das Original zu sehen, staunte er nicht schlecht. Es wurde ihm gebracht aus dem Vertragsarchiv der Auswärtigen Amtes, in einem Karton, verschnürt mit schwarz-rot-goldenem Band. So werden Verträge aufbewahrt, die immer noch gültig sind. Die Verwaltungsvereinbarung von 1968 hatte sogar die deutsche Wiedervereinigung und den Zwei-plus-vier-Vertrag überdauert, der Deutschland die volle Sourveränität zurückgeben sollte."
Weiterhin berichtet die FAS von einer Erklärung Konrad Adenauers an die Westmächte, nach welcher "jeder Militärbefehlshaber berechtigt ist, im Falle einer unmittelbaren Bedrohung seiner Streitkräfte die angemessenen Schutzmaßnahmen zu ergreifen", sowie einer diese Erklärung bestätigenden Verbalnote zum G10-Gesetz von 1968. Die FAS schlussfolgert: "Wenn sie [die Amerikaner] nun Glasfaserkabel anzapfen (...), können sie sich wieder darauf berufen. Schließlich sieht sich das Land seit dem 11. September 2001 im Krieg gegen den Terrorismus und muss jederzeit mit Anschlägen auf seine Stützpunkte rechnen."
Hinzu kam ein Interview mit dem früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Claus Arndt, der lange in der G10-Kommission saß, das am darauffolgenden Montag, dem 8. Juli 2013, im Spiegel erschien (
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-102241615.html), in welchem dieser die Überwachungspraxis in der alten Bundesrepublik und West-Berlin erläuterte und abschließend feststellte: "Theoretisch sind wir souverän. Die Organe der Bundesrepublik haben das Zusatzabkommen ja gebilligt. In der Praxis sind wir es nicht."
Da war es, in gleich zwei angesehenen bundesdeutschen Medien, sonst als "Systempresse" verschmäht, wurde die Frage nach der Souveränität der Bundesrepublik gestellt. Dass einige Zeit später der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi, von der weiteren Geltung des Besatzungsstatuts schwafelte, brachte die Sache so richtig ins Rollen: Einige Reichsdeppen-Blogs frohlockten geradezu in der Manier "Wir haben's immer schon gewusst", die "BRD" sei ein Besatzungsregime usw. usw. usw.
Dabei hätte bereits die Aufmerksame Lektüre des Arndt-Interviews, beziehungsweise dessen letzten Satzes, genügt, um die Idee der nicht-Souveränen Bundesrepublik aus der Welt zu schaffen: Er spricht hier von einer "theoretischen" Souveränität, weil die Organe der Bundesrepublik das Zusatzabkommen zum Nato-Truppenstatut von 1959 gebilligt hätten. Was heißt hier theoretisch? Offenbar so viel wie "rechtlich", während er mit "praktisch" wohl die politischen Zwänge meint, aufgrund derer die Bundesrepublik dem Zusatzabkommen zugestimmt hatte. Völkerrechtlich sind aber die politischen Umstände, aufgrund derer einem Abkommen zugestimmt wurde, ziemlich irrelevant, solange dies nicht unter direktem Zwang geschah (bspw. die Wirksamkeit des Vertrags von Versailles zweifeln nicht mal Hardcore-Revisionisten an, obwohl die Vertreter Deutschlands hier praktisch kein Mitspracherecht hatten). Im Übrigen bezweifelt niemand, dass die Bundesrepublik bis zum Inkrafttreten des zwei-plus-vier-Vertrages nicht voll souverän war. Die "praktische" Nicht-Souveränität bedeutet letztlich, dass die Bundesrepublik aufgrund politischer Zwänge von dem ihr als souveränen Staat zustehenden Recht, die eigene Souveränität vertraglich einzuschränken, Gebrauch gemacht hat, ähnlich, wie sie durch Abschluss der EU-Verträge Kompetenzen an die Euroäische Union abgibt und auch insofern ihre Souveränität freiwillig einschränkt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Abgabe von Kompetenzen und damit die Einschränkung der Souveränität Deutschlands solange unschädlich, wie der Kernbereich staatlicher Identität unangetastet bleibt. Insbesondere gibt es auch die Möglichkeit, bestehende Vereinbarungen aufzuheben und so eingeschränkte Bereiche der Souveränität wieder voll zur Geltung zu bringen.
Eine weitere Information, die der FAS-Artikel zum Geheimabkommen von 1968 enthält, ist ebenso wichtig: "Nachdem das Buch des Historikers [also Foschepoths] erschienen war, fragte ein Abgeordnete bei der bundesregierung nach. Sie antwortete: Die entsprechenden Vereinbarungen seinen 'noch in Kraft, haben jedoch faktisch keine Bedeutung mehr'. Seit der Wiedervereinigung hätten die Westalliierten keine solchen Ersuchen mehr gestellt." Hinzu kam, dass die Bundesregierung nach dem FAS-Artikel sich schnell bemühte, die Wogen zu glätten, und so am 2. August 2013 das Geheimabkommen durch Notenwechsel mit den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich aufgehoben wurde (
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Meldungen/2013/130802-G10Gesetz.html). Ein solcher Notenwechsel ist eine Möglichkeit, völkerrechtliche Vereinbarungen zu schließen - oder eben aufzuheben. Völkerrechtliche Vereinbarungen werden von Völkerrechtssubjekten, d.h. in erster Linie Staaten, geschlossen - somit ist die Form des Notenwechsels ein Beleg dafür, dass die Bundesrepublik von den Vereingten Staaten und dem Vereinigten Königreich als souveräner Staat und nicht als besetztes Gebiet angesehen wird. In einem besetzten Gebiet hätte es eines solchen Abkommens auch gar nicht bedurft, zumal dieses auch nur Überwachungsmaßnahmen durch den Bundesnachrichtendienst auf Ersuchen der Alliierten vorsah, und diesen eben keine eigenen Überwachungsmaßnahmen gestattete. Auf die Frage, ob die Amerikaner eigene Überwachungsmaßnahmen durchgeführt hätten, antwortet Arndt im oben verlinkten Spiegel-Interview: "Nicht in der Bundesrepublik, aber in West-Berlin. Dort haben sich die Amerikaner bis zum 3. Oktober 1990 benommen, als wären sie gerade einmarschiert." - was rechtlich auch zutrifft. Berlin unterlag bis zur Wiedervereinigung dem Vier-Mächte-Status, hatte zwar eine eigene Verwaltung, wurde aber von den Alliierten nie als Teil der Bundesrepublik angesehen, ebensowenig, wie die Westalliierten Ost-Berlin als Teil der DDR sahen (was der Grund dafür war, dass britische, amerikanische und französische Soldaten sich auch im Ostteil der Stadt frei bewegen durften - hätte man ihnen dies verweigert, wäre es als Angriff auf ihre Rechte in Bezug auf Berlin aufgefasst worden; aus einem solchen Versuch erwuchs der Zwischenfall vom 27. Oktober 1961). Berlin war besetztes Gebiet, die Bundesrepublik hingegen seit dem Deutschlandvertrag von 1954 teilsouverän. Folgerichtig führten die Westalliierten Überwachungsmaßnahmen in Westdeutschland nicht selbst durch, sondern gingen den Umweg über den Bundesnachrichtendienst. Dieser musste übrigens keineswegs allen Alliierten Ersuchen vorbehaltlos entsprechen. Vielmehr besagt das Abkommen von 1968 in Art. 3 Satz 1: "Das BfV oder der BND prüft bei ihm eingehende Ersuchen und stellt entsprechende Anträge bei der nach Artikel 1 § 5 des Gesetzes [gemeint ist das G10-Gesetz] anordnungsberechtigten Stelle im eigenen Namen." (das Abkommen findet sich bei Foschepoth, Überwachtes Deutschland, S. 298 f.). Die Bundesdeutschen Behörden hatten also sehr wohl eine eigene Prüfungskompetenz. Dass sie von dieser nur sehr eingeschränkt Gebrauch machten, steht auf einem anderen Blatt.
Wie verhält es sich nun mit der Erklärung Konrad Adenauers und der Verbalnote zum G10-Gesetz? In der Verbalnote des Auswärtigen Amtes vom 27. Mai 1968 (abgedruckt bei Foschepoth, Überwachtes Deutschland, S. 197 f.) heißt es u.a., dass die Bundesregierung die Erklärung abgibt, "dass sie den im Schreiben des Bundeskanzlers Adenauer vom 23. Oktober 1954 zum Ausdruck gebrachten Grundsatz des Völkerrechts und damit auch des deutschen Rechts bekräftigt, wonach 'abgesehen vom Falle des Notstandes, jeder Militärbefehlshaber berechtigt ist, im Falle einer unmittelbaren Bedrohung seiner Streitkräfte die angemessenen Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die Gefahr zu beseitigen.'". Es soll sich hierbei also offenbar um eine Art Notwehrregelung des Völkerrechts handeln. Die Frage, ob ein so weitgehender Grundsatz des Völkerrechts existiert, und die Verbalnote insoweit tatsächlich nur deklaratorischen Charakter hat, was letztlich die Frage nach der Wirksamkeit der Verbalnote nach deutschem Recht ist, kann hier dahinstehen. Wichtig ist, dass auch hier die Form der Verbalnote zeigt, dass es sich um Vereinbarungen zwischen Völkerrechtssubjekten handelt, und eben gerade nicht um einseitig erlassenes Besatzungsrecht.
Wichtig ist weiterhin, dass die Vereinigten Staaten und die NSA sich in der aktuellen Affäre überhaupt nicht auf das Geheimabkommen oder die Verbalnote von 1968 berufen haben. Warum eigentlich nicht? Nun, die Antwort ist einfach: Geheimdienste operieren oft in der Illegalität und scheren sich lediglich um das Recht ihres eigenen Staates, nicht um das anderer Staaten. Solange die Spione der NSA in den USA sitzen und von dort aus operieren, was offenbar größtenteils der Fall ist, kann es ihnen egal sein, dass sie gegen das deutsche Recht verstoßen. Die NSA operiert auch in Frankreich oder Polen, ohne dass die Vereinigten Staaten dort jemals Besatzungsmacht gewesen sind. Dass die Beziehungen der Staaten, in denen operiert wird, zu den USA dadurch belastet werden, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls ändert sich nichts an der Souveränität der Bundesrepublik. Man muss die rechtliche von der politischen Ebene trennen.
Ein Wort noch zu Foschepoths Buch: Man merkt es dem Werk an, dass sein Autor kein Jurist ist, und er außerdem versucht, Aufmerksamkeit zu heischen. Wenn er beispielsweise schreibt, dass "nur Eingeweihte (...) in Artikel 5, Absatz 2 des Deutschlandvertrages einen Hinweis auf den Notstandsvorbehalt" erkannten, so ist das einfach Unsinn. Der Wortlaut der genannten Norm ist folgender:
"Wenn die Bundesrepublik und die Europäische Verteidigungsgemeinschaft außer Stande sind, einer Lage Herr zu werden, die entstanden ist
durch einen Angriff auf die Bundesrepublik oder Berlin,
durch eine umstürzlerische Störung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung,
durch eine schwere Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder
durch den ernstlich drohenden Eintritt eines dieser Ereignisse,
und die nach der Auffassung der Drei Mächte die Sicherheit ihrer Streitkräfte gefährdet, können die Drei Mächte, nachdem sie die Bundesregierung im weitestmöglichen Ausmaß konsultiert haben, in der gesamten Bundesrepublik oder in einem Teil der Bundesrepublik einen Notstand erklären."
Daran ist nichts nebliges, das nur Eingeweihte erkennen können. Vielmehr steht dort klar und verständlich, dass unter bestimmten Umständen die Drei Mächte das Recht haben, den Notstand zu erklären. Auch der Begriff "Notstandsvorbehalt" für dieses Recht ist wiederholt benutzt worden, bspw. in der Diskussion um die Notstandsgesetzgebung in den 1960er Jahren, etwa bei Schäfer, Zur Problematik einer Notstandsregelung, in: NJW 1960, S. 1129-1133 (1130) oder auch in den Drucksachen des Bundestages (Drucksache IV/891, Schriftlicher Bericht des Rechtsausschusses über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines ... Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes, Anlage zu Drucksache IV/3494, S. 2, in: Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 4. Wahlperiode, Anlagen zu den stenographischen Berichten, Band 99). Wie Foschepoth also auf die Idee kommen kann, den Notstandsvorbehalt hätten nur Eingeweihte erkannt, ist mir ein Rätsel.
Trotz dieser Mängel und Unkenntnis völkerrechtlicher Regelungen macht sich Foschepoth um die Erforschung der alten Bundesrepublik verdient, insbesondere durch die Quellendokumentation im Anhang, die u.a. auch das geheime Zusatzabkommen und die Verbalnote von 1968 enthält.
Man hätte sich übrigens, sowohl als Journalist, als auch als Reichsdepp, mal die Frage stellen können, warum Foschepoth bei seinen Nachforschungen diese einst geheimen Dokumente offenbart wurden. Ganz offensichtlich, weil ihnen niemand mehr Bedeutung beimisst.