Gericht führt turbulenten Prozess gegen «Reichsbürger»
Gestern tagte das Kantonsgericht mit Polizeischutz und unter Ausschluss der breiteren Öffentlichkeit. Dabei ging es eigentlich nur um ein paar Hanfpflanzen im Schlafzimmer. Doch der Angeklagte ist eine Art Schweizer «Reichsbürger», weshalb das Gericht fürchtete, seine Unterstützer könnten die Verhandlung stören.
Ueli Weber Donnerstag, 29. Juni 2017, 05:00 Uhr
Ein Unterstützer des Angeklagten schwenkt eine Schweizerfahne, während andere mit einem Polizisten diskutieren.
Der Polizist neben der Türe des Gerichtssaales verschränkt die Arme und schaut böse zur Frau im Zuschauerraum, die sich nicht setzt. Die Zuschauerin steht dort mit verschränkten Armen und schaut böse zum Richter. Der Gerichtspräsident schaut etwas entgeistert den Hinterkopf des Angeklagten an, der nicht auf der Anklagebank sitzt, sondern ebenfalls im Zuschauerraum steht – er hat dem Gericht den Rücken zugekehrt und schaut böse an die Decke. «Ich habe dort vorne nichts zu suchen», sagt der 41-jährige Schweizer Mathias B.* zur Decke. Der Richter lässt ihn sein.
Strenge EinlasskontrollenEigentlich ginge es um ein paar Hanfpflanzen. Doch Mathias B. ist eine Art Schweizer Version der «Reichsbürger»: Er glaubt, der Schweizer Staat sei eine Firma und habe kein Recht, über ihn zu urteilen. Steuern zahlt er aus Prinzip keine. Die Verhandlung vor dem Glarner Kantonsgericht ist seine Gelegenheit, den Hochstaplern im Gericht entgegenzutreten und sie mit scharfen Fragen in die Ecke zu treiben. «Cornering des Rechtsstaates» nennen er und seine Gleichgesinnten diese Taktik. Ein gutes Dutzend Unterstützer ist zur Verhandlung angereist. Zuletzt hatte dieselbe Gruppe eine Gerichtsverhandlung in Uznach so lange gestört, bis der Richter sie entnervt beendete.
Das Glarner Gericht ist entschlossen, es nicht so weit kommen zu lassen. Der Gerichtspräsident schloss gewöhnliche Zuschauer von der Verhandlung aus. Der Angeklagte darf nur drei Begleitpersonen mitbringen. Vier Polizisten warten hinter der Eingangsschranke des Gerichtshauses. Sie überprüfen Ausweise und filzen die Besucher. Handys müssen diese abgeben. Etwa zehn Unterstützer müssen nach einigen Protesten draussen bleiben. Hinein dürfen die Frau, welche sich später nicht setzen will, und ein Mann, auf dessen T-Shirt der Eid gedruckt ist, den die Bundesparlamentarier und Bundesräte leisten. Die beiden sehen sich als eine Art Prozessbeobachter. Der dritte Zuschauer ist der Pingpong-Trainer des Angeklagten. Er weiss nicht genau, um was es eigentlich geht, sagt er.
«Nein, ich bin Opfer!»Die Stimmung im Saal ist aggressiv. Der Angeklagte geht immer wieder unruhig im Zuschauerraum hin und her. «Wissen Sie, warum Sie angeklagt sind?», fragt der Richter zu Beginn der Einvernahme. Der Angeklagte reibt sich das Kinn und schaut an die Decke. Dann sagt er: «Nein, ich bin Opfer!»
Der eigentliche Fall ist eine Lappalie. Im vergangenen Sommer hob die Polizei eine kleine Hanfplantage aus, die der Angeklagte im Schlafzimmer seiner Wohnung in Glarus Nord eingerichtet hatte. Der Staatsanwalt verurteilte ihn per Strafbefehl zu einer Geldstrafe von 570 Franken. Doch der Angeklagte denkt nicht daran, die Strafe zu akzeptieren. Er schickte stattdessen im Namen einer sogenannten «Unabhängigen Gesetzeskommission» eine «Nichtanhandnahmeverfügung» an den Staatsanwalt – jegliche Anklagepunkte basierten auf Verleumdung und Betrug, die Anklage selber sei ein Akt der Barbarei gemäss Genfer Konvention. Der Staatsanwalt hat den Brief offenbar als Einsprache gegen den Strafbefehl interpretiert, weshalb der Fall vor Gericht gekommen ist. Der Staatsanwalt selber erscheint nicht zur Verhandlung.
Richter diskutiert nicht
Die beiden Zuschauer und der Angeklagte unterbrechen den Richter immer wieder. Als die Frau wiederholt dazwischenruft, geht der Polizist zu ihr hinüber und flüstert ihr zu, sie müsse ruhig sein. Dann stellt er sich wieder an die Wand und verschränkt die Arme. Als die beiden Unterstützer trotzdem dazwischenrufen, reicht es dem Richter: «Wer das nächste Wort sagt, wird von der Polizei aus dem Gebäude verwiesen.» Zwei Minuten später muss die Frau den Saal verlassen. Der Polizist stellt sich vor sie hin und sagt: «Spatz, bitteschön.»
Fragen zu seiner Person beantwortet der Angeklagte nicht. Stattdessen versucht er es immer wieder mit Ge-genfragen. Als der Richter wissen will, seit wann er Hanf züchtet, fragt er zurück: «Ist Hanf verboten? Wissen Sie, was THC ist?» Der Richter antwortet: «Ich bin nicht hier, um Ihnen Fragen zu beantworten.» Er ist sichtlich bemüht, sich nicht auf Diskussionen einzulassen.
Nach der Befragung erhält Mathias B. das Wort. Er verliest eine mit Gesetzesartikeln gespickte Erklärung: «Mit einer kriminellen Organisation wird nicht verhandelt», sagt er. «Das Gericht wird in Ausstand gezwungen.» Dann ruft er: «Dem Kanton Glarus wird hiermit der Rechtsbankrott erklärt! Alles, was Sie sagen, hat keine Bedeutung mehr.» Dann schliesst Mathias B. die Verhandlung. Der Richter sagt: «Danke, Sie haben Ihre Aussage abgeschlossen.» Wenig später schliesst auch der Richter die Verhandlung. Der Polizist spricht in sein Funkgerät, weitere Polizisten kommen zur Türe herein.
Bei der Schleuse am Ausgang ist die Stimmung wieder besser. Draussen machen die wartenden Unterstützer noch Videointerviews für einen Prozessbericht, den sie auf Youtube veröffentlichen wollen. Zwei Frauen meditieren, andere plaudern noch mit ei-nem der Polizisten. Der «Prozessbeobachter» mit dem schwarzen T-Shirt packt eine grosse Schweizerfahne aus und schwingt sie. Er kann aus dem Kopf die Bundesverfassung zitieren. Auch die Frau, welche den Saal verlassen musste, wartet draussen. Dass die Verhandlung in einem öffentlichen Gebäude nicht öffentlich ist, findet sie schlimm. Aber ihre Störung des Gerichts sieht sie als Erfolg: Kleine Schritte seien es eben zur Befreiung der Menschen, sagt sie. Das Urteil wird schriftlich eröffnet.
*Name geändert
Die Ausgangslage zusammengefasst: