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Sie leugnen die Republik und pfeifen auf Gesetze: In Österreich wächst die Szene der Staatsleugner - mit unbehaglichen Konsequenzen.
"Ihr habt alle zehn Milliarden Euro", sagt Monika Unger und sorgt für Aufhorchen. Gut 80 Zuhörer lauschen ihr an diesem Dezember-Abend in einem Landgasthof im niederösterreichischen Purgstall. Die stämmige Mittdreißigerin, braune Haare, enges Shirt, erklärt den Besuchern, dass sie "souveräne" Menschen seien und keinen staatlichen Verpflichtungen folgen müssten. Sie behauptet: Für jeden Erdenbürger gäbe es ein Treuhandkonto mit zehn Milliarden Euro, nur werde dies der Bevölkerung verschwiegen. Und Monika Unger ist hier, um ihrem Publikum die Augen zu öffnen. "Dann müssen wir ja nie wieder arbeiten", ruft eine Frau aus dem Publikum. "Genau", sagt Unger.
Bezahlte Flüchtlingssöldner. UN-Diktat. Bürgerkrieg. Im Stakkato handelt Monika Unger eine Verschwörungstheorie nach der anderen ab. "Alle Steuern gehen über den Zoll nach Washington", poltert sie gegen "das System":"Wir sind Melkkühe. Dabei bräuchten wir das Geld für unsere eigenen Leute." Niemand widerspricht. In den Sesselreihen wird genickt und applaudiert. "Die stecken da also auch mit drinnen", flüstert ein Mann seiner Frau zu, als Unger den Vatikan der Verschwörung bezichtigt. Junge, Alte, in Trachtenjankern und bunten Leinenhemden - sie alle hängen Unger an den Lippen.
Die Steirerin, einst in der FPÖ aktiv, ist selbst ernannte Präsidentin des Staatenbundes Österreich. Die Gruppierung lehnt die Republik und ihre Autoritäten ab - von Richtern, Polizisten bis zur Regierung. Was vor Monaten mit kruden Videobotschaften im Netz begann, hat sich zu einer österreichweiten Sekte mit Ablegern in allen Bundesländern ausgewachsen. Unger tourt mit Entourage durch die Lande und sucht Mitstreiter für ihren Pseudostaat.
Das Versprechen des Staatenbundes ist schnell erklärt: Steuern, Abgaben und Strafmandate bräuchten die Mitglieder nicht mehr zu bezahlen. "Der Staatenbund hat das Tor zur Freiheit aufgemacht", sagt Monika Unger ins Mikro. In einem Separee des Gasthauses in Niederösterreich sind zwei Drucker aufgestellt, eine Frau hantiert am Laptop. Überall liegen Formulare herum: Zehn Euro für den Beitritt zum Staatenbund, 50 Euro für einen Diplomatenpass. Unger versichert, das Geld fließe "ausschließlich in die Staatskassa" - wo genau es liegt und was damit passiert, verrät sie nicht. Nur so viel: "Es ist sicher bei keiner Bank."
800 Anhänger zählt die Szene in Österreich bereits, schätzt das Justizministerium. Tendenz: rasant steigend. Dass allein 80 Zuhörer ins kleine Purgstall kommen, legt nahe, dass die Zahl der Sympathisanten deutlich höher sein könnte, als die Behörden vorsichtig vermuten. Auch anderswo haben die vermeintlichen Staatsaussteiger regen Zulauf, etwa in den USA. Sie sind nicht nur für sich selbst und ihre Angehörigen eine Bedrohung: In Deutschland erschoss unlängst ein Staatsleugner einen Polizisten. Wie gefährlich ist die Bewegung in Österreich?
Halbwahrheiten und viel Fantasie
Das Weltbild der Staatsleugner stützt sich auf abstruse Halbwahrheiten und viel Fantasie. Sie glauben etwa, die Republik Österreich sei ein Unternehmen und kein Staat, schließlich führe sie eine UID-Nummer zur Umsatzsteuer-Identifikation. Tatsächlich ist es so: Um Straßen zu bauen oder Schulen zu errichten, schließt der Staat mit Privatunternehmen Verträge ab, für die bezahlten Dienstleistungen führt er Umsatzsteuer ab. Das ist rechtlich völlig korrekt und alles andere als eine Verschwörungstheorie. Doch Fakten lassen die Staatsverweigerer nicht gelten. Sie wechseln meist das Thema, wenn sie argumentativ in die Defensive geraten, und trumpfen gleich mit der nächsten Verschwörungstheorie auf. Der Erfolg der Bewegung basiert auf Vielseitigkeit: Sie tritt sowohl gegen das Geldsystem als auch gegen Banken und Migranten auf - ein wilder Mix, der linke und rechte Systemkritik vereint und viele Anknüpfungspunkte bietet.
Wer keinen Gesetzeskodex griffbereit hat, kann den Staatsleugnern schon mal auf den Leim gehen. Auf einem Treffen des Staatenbundes vor drei Wochen in Wien erklärt einer der Teilnehmer selbstsicher: "Jede Amtsperson muss stets die Genfer Menschenrechtskonvention dabeihaben. Das steht in den Artikeln 141 und 144." Allerdings: Eine "Genfer Menschenrechtskonvention" existiert nicht; und weder die Europäische Menschenrechtskonvention noch die Genfer Flüchtlingskonvention weisen einen Artikel 141 oder 144 aus.
Man mag es unterhaltsam finden, wie sich die selbst ernannten "souveränen Menschen" ihre widersprüchliche Weltanschauung zusammenbasteln. Doch die pseudo-juristischen Behauptungen stiften Verwirrung und Verunsicherung: Vor Silvester kursierte ein Schreiben, wonach ab 1. Jänner 2017 jeder Eigentümer sein Haus "an die EU" verliere. Unger und ihr Staatenbund sprangen auf den Zug auf: Sie propagierten das sogenannte Landbuch, in das jeder seine Besitztümer eintragen könne, um sie vor Enteignung zu schützen. Das war natürlich blanker Unsinn, zog jedoch weite Kreise. Verängstigte Bürger riefen bei den Behörden an; das Justizministerium sah sich schließlich gezwungen, ein Dementi abzugeben: "Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass das Eigentumsrecht unverändert aufrecht bleibt. Das Ministerium rät, die Aufforderungen der Absender zu ignorieren und verdächtige E-Mails dieser Art ungelesen zu löschen."
"Querulative oder fanatische Persönlichkeiten"
Wer schließt sich solchen Gruppierungen an? Ein Teil der Akteure lässt sich aus medizinischer Sicht als Querulanten einstufen. "Nur in seltenen Fällen handelt es sich wirklich um Menschen mit einer psychischen Krankheit. Weit häufiger sind Persönlichkeitsstörungen, also querulative oder fanatische Persönlichkeiten", sagt Psychiater Reinhard Haller, der einzelne Fälle begutachtet hat. Sein Fazit: Diese Charaktere seien ungeheuer aufdringlich: "Untersuchungen zeigen, dass schwere Querulanten 0,1 Prozent der Bevölkerung ausmachen, aber 16 Prozent der justiziellen Arbeit verursachen."
Der Staatenbund ist nicht die einzige obskure Strömung in diesem Bereich: Joe Kreißl, einer der prominentesten Staatsaussteiger des Landes, sagte sich 2012 mit einem offenen Brief vom "Sklaven-System" los. Er wolle fortan als "Freeman" leben. So nannte er auch seine Bewegung. Auf Schloss Walchen in Oberösterreich, im Besitz einer seiner Mitstreiterinnen, gründete Kreißl sein eigenes Refugium: "Erlösterreich". Doch die Vergangenheit holte ihn ein: Inzwischen hat er ein Konkursverfahren über mehrere Hunderttausend Euro am Hals. Als Reaktion kündigte Kreißl an, von der Republik 225 Millionen Euro einzufordern. In seiner Parallelwelt ist er frei von Schulden, er muss sich sein Scheitern nicht eingestehen.
"Diesen Bewegungen schließen sich oft Selbstständige an, die mit ihren Betrieben sehr am Kämpfen oder schon im Konkurs sind", erklärt Psychologin Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen: "Ihr Hass richtet sich gegen die Gewerbeordnung, gegen Banken und das Finanzamt - denen gibt man die Schuld für das eigene Scheitern." In solchen Notsituationen bieten die staatsleugnenden Gruppen ein bestechendes Angebot: Sie versprechen ein Leben frei von Schulden und Steuerzwang und treiben die Leichtgläubigen noch weiter ins Unglück. Im Einzelfall werden Existenzen vernichtet, weil Bürger nicht mehr ihre Steuern zahlen und irgendwann tatsächlich ihr Haus gepfändet wird.
Die Bewegung der "souveränen Bürger" stammt aus den USA. Seit den 1970er-Jahren gibt es dort rechtsextreme und antisemitische Gruppierungen, die den Staat ablehnen und keine Steuern zahlen wollen. Die "Sovereigns" glauben, dass die rechtmäßige Regierung der amerikanischen Gründungsväter irgendwann von einer dunklen Verschwörung abgelöst wurde und der heutige Staat keine Legitimation habe. Immer wieder kam es in den vergangenen Jahrzehnten zu Gewalttaten gegen Beamte. 1983 wurden zwei US-Marshalls von Vertretern der Szene ermordet. Im Mai 2010 brachten ein Vater und sein Sohn zwei Verkehrspolizisten um, die sie aufgehalten hatten. 2014 attackierte ein "Sovereign Citizen " ein Gerichtsgebäude im US-Staat Georgia mit einem Sturmgewehr, Tränengas und Rauchgranaten; er wurde von der Polizei erschossen. Das Southern Poverty Law Center, eine Antirassismus-Organisation, schätzt, dass es im Jahr 2011 in den USA 100.000 "Hardcore-Souveräne" gibt und 200.000 weitere Sympathisanten der Szene.
Das Internet wirkt wie ein Katalysator; die abstrusen Thesen finden globale Verbreitung. "Es ist kein Wunder, dass sich die Idee der Staatsleugner rasch verbreitet. Querulanten spüren oft ein Gefühl der Bedeutungslosigkeit, Leere und Langeweile. Nun kursiert die Idee, dass sie den Staat ersetzen können. Dabei können sie ihre Pathologie total ausleben", meint Psychiater Haller.
Verfassungsschutz ist alarmiert
Bisher tritt die souveräne Szene in Europa bei Weitem nicht so gewaltbereit auf wie in den USA. Dennoch sei "aufgrund der ähnlichen Ideologien dieser Bewegungen auch in Österreich von einem erhöhten Sicherheitsrisiko auszugehen", sagt Christian Pilnacek, Sektionschef des Justizministeriums, zu profil. Die österreichischen Ermittler wissen, dass sich einige Staatsverweigerer inzwischen bewaffnen; der Verfassungsschutz hat schon länger ein Auge auf solche Gruppierungen.
Hierzulande traten die Staatsleugner zum ersten Mal im Sommer 2014 in Erscheinung: Auf einem Bauernhof im niederösterreichischen Waldviertel kamen etwa 50 Menschen zusammen, die sich über das Netz kennengelernt hatten. "Die Republik Österreich ist eine Firma", malten sie auf Transparente, die sie am Gartenzaun befestigten. Gemeinsam mit der teilbesachwalteten Hofbesitzerin gründeten sie den International Common Court Of Justice Vienna (ICCJV), einen Gerichtshof, der nach Naturrecht betrieben werden sollte. Das Ziel war Rache und Selbstjustiz; als erste Angeklagte wurde ausgerechnet die Sachwalterin der Hofbesitzerin geladen. Selbst ernannte Sheriffs fuhren gar auf das Grundstück, um die Sachwalterin abzuholen. Sie konnte sich noch rechtzeitig im Haus verschanzen. Die Polizei schritt mit Hundestaffeln ein und löste die Zusammenrottung auf. Der Bauernhof wurde inzwischen zwangsversteigert. Einzelne Mitglieder des selbst ernannten Gerichtshofes machten an neuer Adresse weiter.
Der Staatenbund ist die bisher erfolgreichste Strömung in der Szene der Staatenleugner. Anders als der elitäre Gerichtshof bietet die Bewegung ein massentaugliches Komplettprogramm: eine eigene Verfassung, interne Aufstiegsmöglichkeiten, selbst gestaltete Ausweise und Nummernschilder fürs Auto. Monika Unger etwa hat ein blaues Fantasie-Kennzeichen auf ihrem Auto angebracht. Gemeindevertreter erzählen, damit kurve sie auch herum. "Souverän 1" steht darauf. Eine eigene Währung ist in Planung. Und natürlich lässt die Möchtegern-Staatenlenkerin ihr eigenes Kind nicht mehr in die öffentliche Schule gehen. Unger meldete ihre zwölfjährige Tochter für den Heimunterricht an. Das Land Steiermark lehnte das Ansuchen jedoch ab.
Ein Gespräch mit profil verweigert die Mutter: "Kein Interesse." Mit dem Bundesheer hingegen würden die Staatenbündler gern zusammenarbeiten: Kurz vor Weihnachten prahlte Unger damit, sie habe Generalstabschef Othmar Commenda getroffen und ihn vor einem bevorstehenden Krieg gewarnt. Als Beleg postete sie auf Facebook ein Foto, das die Frau vor der Rossauer Kaserne in Wien zeigt. Was darauf nicht zu sehen ist: Unger wurde bereits an der Eingangstür vom Sicherheitspersonal abgewiesen. Für sie gilt ein österreichweites Betretungsverbot für Kasernen. Und Commenda war an jenem Tag gar nicht in seinem Büro.
Mit den derzeitigen gesetzlichen Bestimmungen ist der Bewegung schwer beizukommen. Die Vertreter der Szene wollen den Staat nicht wirklich gewaltvoll stürzen oder die Verfassung umschreiben. Sie akzeptieren lediglich alle staatlichen Bestimmungen nicht und legen sich quer.
Das Justizministerium plant nun einen neuen Straftatbestand der "staatsfeindlichen Bewegungen" einzuführen: Wer die "Hoheitsrechte der Republik" nicht anerkenne und auf "gesetzwidrige Weise die Vollziehung von Gesetzen" verhindere, könnte künftig bis zu zwei Jahre Haftstrafe erhalten. Justizminister Wolfgang Brandstetter möchte den Entwurf für die Gesetzesnovelle schnellstmöglich in Begutachtung schicken.
Den Staatsleugnern könnte schon bald mehr staatliche Strenge widerfahren. Haben sie diese auch verdient? Großteils handelt es sich bei dieser Bewegung um Querulanten und frustrierte Bürger, um Menschen, die ohnehin sehr weit unten auf der Leiter der sozialen Anerkennung angesiedelt sind. Der Psychiater Reinhard Haller meint, für herausragende Proponenten könnten Verschärfungen aber durchaus sinnvoll sein: "Das klare Aufzeigen von Grenzen ist das Einzige, was Menschen mit derartigen Persönlichkeitsstörungen verstehen."