Wobei ich aber solche Elogen auf den Niedergang wenig hilfreich finde. Da werden alle nur denkbaren Probleme aufgelistet und aus der jeweils ungünstigsten Perspektive dargestellt.
Es werden sehr wahrscheinlich auftretende Probleme aufgelistet und es stimmt auch nicht, dass diese aus der "ungünstigsten Perspektive" dargestellt werden würden.
Das UK kann China nicht die Stirn bieten? Das ist null überraschend und gewiss nicht dem Brexit geschuldet.
Selbstverständlich ist das dem Brexit geschuldet. Die wesentliche Art, wie aktuell in den internationalen Beziehungen Macht projeziert wird, ist durch Handelsmaßnahmen. Hier ein paar Zahlen: GDP China: 13.61 trillion USD, GDP European Union: 18.292 trillion USD, GDP UK: 2.855 trillion USD.
Deswegen kann die EU (und damit die einzelnen Mitgliedstaaten) China sehr wohl die Stirn bieten, das UK kann dies wegen des Brexit nun nicht mehr.
Das starke EU-Deutschland kann es übrigens noch viel weniger!
Natürlich kann Deuschland dies, nämlich dank der EU, siehe die Zahlen oben.
Das UK kann keine 3 Millionen Flüchtlinge aus Hongkong aufnehmen? Was wieder nichts mit dem Brexit zu tun hat und ohnehin eine absurd hypothetische Vorstellung ist, die nie eintreten wird.
Wenn als einer der Hauptgründe für den Brexit der Wunsch des Wahlvolkes des UK nach weniger Zuwanderung ins UK genannt wird, dann darf man sich wohl über die Absurdität der Aussagen des Premierministers des UK wundern, dass man 3 Millionen "Überseebürgern" aus Hongkong möglicherweise ein volles Aufenthaltsrecht inklusive Arbeitsgenehmigung für das UK einräumen möchte. Das wäre dann wohl kaum im Sinne seiner Wähler, denen gerade er selbst den Brexit schmackhaft gemacht hat. Daher hat dieser Punkt sehr wohl etwas mit dem Brexit "zu tun".
Das UK wird keinen guten Deal von den USA unter Trump bekommen? Natürlich. Aber das mittlerweile wahrscheinliche Szenario, das Trump in vier Monate nicht mehr zu sagen hat, wird vollständig ausgeblendet.
Wenn Trump ab Januar 2021 nichts mehr zu sagen hat, dann wäre das für das UK gerade kein vorteilhaftes Szenario. Das würde nämlich bedeuten, dass aller Wahrscheinlichkeit nach der Demokrat Joe Biden Präsident der USA wird.
Trump hat ja zumindest rhetorisch immer für den Brexit geworben und dem UK im Falle eines möglichst glatten Bruches mit der EU vorteilhafte Handelsverträge in Rekordzeit versprochen. Natürlich ging es ihm nur darum, dass die Europäische Union geschwächt wird, weil er der Ansicht ist, dass eine schwächere - weil ohne UK wirtschaftlich kleinere - EU der USA handelspolitisch weniger entgegenzusetzen hat, was ja auch stimmt.
Die Demokraten sind nun aber mit Masse gegen den Brexit und schon Obama hat als Präsident gesagt, dass es im Falle eines Brexit ein Handelsabkommen USA-UK erst geben werde, wenn die USA zuvor ein Handelsabkommen mit dem größeren Akteur, nämlich der EU, erfolgreich abgeschlossen haben. Er hat auch gesagt, dass das UK "am Ende der Warteschlange" (bezüglich eines Handelsvertrages mit den USA) stehen würde. (Quelle:
https://www.theguardian.com/politics/2016/apr/22/barack-obama-brexit-uk-back-of-queue-for-trade-talks)
Wenn Biden Präsident werden sollte, sehe ich nicht, warum er nicht den selben Kurs wie Obama verfolgen sollte. Für die Demokraten war eine gute Beziehung zur EU immer wichtiger als den Brexiteers zu helfen. Noch einen Nachteil hätte es für das UK, wenn Biden Präsident werden sollte: Selbst wenn das UK im nächsten halben Jahr beginnen sollte, ein Handelsabkommen mit der Regierung Trump zu verhandeln, wäre dies mit dem Amtsantritt Bidens komplett hinfällig und bestenfalls könnte man ab Januar 2021 anfangen, ein komplett neues Abkommen auszuverhandeln.
Noch blöder könnte es für das UK kommen, wenn Trump zwar Präsident bleibt, aber die Demokraten den Senat gewinnen, oder anders herum, Biden Präsident wird, die Republikaner aber die Mehrheit im Senat behalten. Beim derzeitigen politischen Klima in den USA sehe ich nämlich nicht, wie ein von Trump ausgehandeltes Handelsabkommen mit dem UK es durch einen demokratischen Senat schaffen sollte oder umgekehrt, wie ein von Biden ausgehandeltes Handelsabkommen mit dem UK es durch einen republikanischen Senat schaffen sollte.
Die "ungünstigste Perspektive" für das UK, die eben gar nicht so unrealistisch ist, ist eben, dass es auf Jahre überhaupt kein Handelsabkommen mit den USA gibt.
Es gibt so viel, dass man konkret und gut begründet am Brexit kritisieren kann. Da braucht man keine derart allumfassende Listen, die alles, teils doch sehr fragwürdig, in den schwärzesten Farben pinseln.
Wie gesagt, an den im Artikel genannten Punkten ist gar nichts "sehr fragwürdig" und definitiv nichts "in den schwärzesten Farben" gepinselt.