In der Fantasie geht das ganz leicht: Man erklärt sich einfach mal für unabhängig und teilt der EU mit, dass man bei ihr bleiben will. Punkt. In der Praxis handelt es sich um langwierige Vorgänge.
Schottland hätte auch nach einer Sezession von GB vor dem Brexit die Mitgliedschaft in der EU neu beantragen und erwerben müssen. Da Schottland aber bis zur Unabhängigkeit ja schon Mitglied der EU gewesen wäre, wäre eine Prüfung der Beitrittsfähigkeit wohl eher symbolischer Natur gewesen. Wird aber der Brexit vollzogen und ist GB einige Jahre nicht Mitglied der EU, bevor Schottland sich doch noch abspaltet und flugs die EU-Mitgliedschaft beantragt, sieht es völlig anders aus. Schon wenige Jahre eigener Entwicklung könnten zu erheblichen Abweichungen in der Rechtsetzung, der praktischen Handhabung wichtiger Kernthemen der EU usw. führen. Das Problem, dass sich ein EU-Mitgliedsstaat einem Beitritt widersetzt, ist dabei noch gar nicht berücksichtigt.
Was aber hinzu kommt, ist der Vollzug der Sezession. Die neuere Geschichte hält ja eine ganze Reihe Beispiele von Staaten bereit, die sich von anderen abgespalten haben oder die zerfallen sind. Dabei stellen sich ähnliche Probleme wie beim Brexit: Was geschieht z. B. mit den Engländern, Walisern oder Iren, die in Schottland leben, aber keine Schotten werden möchten? Was geschieht umgekehrt mit Schotten, die im übrigen GB leben? Wie werden ehemals gemeinsame Institutionen aufgelöst, staatliche Vermögenswerte geteilt usw.? Im Grunde ist dies eine ähnliche Problematik wie bei einer Scheidung: Wer bekommt was? Wer übernimmt welche Schulden und Verpflichtungen? Was geschieht mit den Kindern (im Fall von Staaten: Staatsangehörigen)? Schon bei "einfachen" Scheidungen werden die Scheidungsfolgen gern unterschätzt. Bei einer Aufteilung GBs kämen neben der Regelung der "Scheidungsfolgen" die bereits vom Brexit her bekannten Probleme hinzu, etwa das Grenzregime zwischen einem EU-Schottland und einem Nicht-EU-Rest-UK, zudem die bereits erwähnten Anforderungen an einen Wieder-Beitritt zur EU.
Gewiss sind alle diese Probleme mit Zeit und gutem Willen irgendwie lösbar. Der einfachste Weg wäre allerdings, den Status quo beizubehalten.
Gerade was Sezessionen angeht, finden sich in der neueren Geschichte auch Beispiele dafür, dass solche zu Gewalt geführt haben. Der Nordirlandkonflikt ist ja u. a. eben gerade die Folge einer Sezession.