Hier sagt ein Bürger kurz und in höflicher Form, was er von seinem Premierminister hält:
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5. September 2019, 19:53 Uhr
Brexit
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Auch Großbritannien kann unter die Wölfe fallen
Boris Johnson beschädigt seine Partei, das Parlament und auch die Queen. Er will die Macht, und zwar die ganze. Das Parlament hat ihm eine Waffe gegeben, die schärfer nicht sein könnte.
Kommentar von Stefan Kornelius
Die größte Gefahr besteht darin, in alldem nur ein Spiel zu sehen. Ein großes, unterhaltsames, gelegentlich ins Extreme schwappendes Spektakel, das nicht wirklich Schaden anrichten kann. Die Briten haben ja nach Jahrhunderten der Erfahrung mit Parlament und Demokratie nicht ganz zu Unrecht den Eindruck, dass ihre Institutionen unverwüstlich seien, historisches Erbe, ausgestattet mit Ewigkeitsgarantie. Ein Land, das der größten totalitären Bedrohung seit Menschengedenken getrotzt hat, so ein Land wird doch den Tagesstürmen der Politik trotzen. Sollte man meinen.
Diese Woche hat gezeigt, dass auch Großbritannien unter die Wölfe fallen kann. Der Premierminister hat sein Schafsfell abgelegt und in der Herde gewütet, sodass auch den größten Spielernaturen im Parlament die existenzielle Bedeutung des Augenblicks klar geworden sein muss (vermutlich bis auf Jacob Rees-Mogg, den lümmelnden Snob von der ersten Bank, für den Politik immer ein Spiel und Zeitvertreib bleiben wird).
Dem Harvard-Literaturwissenschaftler Stephen Greenblatt ist die sehr zeitgemäße Studie über die Figur des Tyrannen in Shakespeares Werken zu verdanken. Darin macht er erstens klar, dass Politik schon immer und gerade in Shakespeares England ein tödlicher Kampf um Macht und die Verführung der Massen war. Und zweitens postuliert er als ein Grundgesetz menschlichen Daseins, dass die Figur des Despoten, Populisten und Autokraten seit der Antike und bis heute lebt und lauert, dass sie mit immer gleichen Methoden arbeitet und davon profitiert, unterschätzt zu werden. Wird schon ein paar Vernünftige im Raum geben. Wird doch keine Mehrheit finden. Wird schon nicht so schlimm kommen. Dann aber herrscht und wütet der Tyrann, plötzlich und mit aller Wucht.
Die Johnson-Episode hat ihren Höhepunkt vermutlich noch nicht erreicht
Die Wahrheit ist: Erstens finden sich immer willige Helfer, zweitens ist die Furcht vor dem Despoten schnell übermächtig, drittens sind Institutionen leicht zu biegen und zu brechen und viertens entscheidet der Souverän an der Urne nicht mithilfe einer ausgeklügelten Matrix der Argumente, sondern er folgt oft seinem Instinkt, einem Zeitgeist, einer Wunschvorstellung.
Wenn sich also seit Shakespeare Politik und Verführbarkeit nicht grundsätzlich geändert haben, dann ist die Johnson-Episode weder zu ihrem Ende gekommen, noch hat sie vermutlich ihren Höhepunkt erreicht. Zu beobachten ist ein quälender Kampf zwischen den Institutionen der britischen Demokratie - dem Parlament, der Regierung und zunehmend auch den Gerichten. Und zweitens ein Kampf um Gestalt und Charakter der ältesten Partei der Welt, der Tories.
Der Premier Boris Johnson hat es geschafft, durch eine Serie geradezu manischer Entscheidungen Zerstörung, Verwirrung und Hass in die Politik zu tragen. Der von ihm womöglich beabsichtigte Effekt: Beim Souverän wuchert nun der Abscheu vor diesem Staats-, Parlaments- und Regierungstheater, das die Wähler mit ansehen müssen und nicht mehr verstehen.
Johnson hat die Queen in einem perfiden Machtspiel benutzt
Es könnte also sein, dass der Nachwuchstyrann Johnson nur die Grundlage für einen populistischen Coup gelegt hat, indem er in einem Akt größtmöglicher Brutalität Institutionen und Akteure beschädigte. Die Partei: gespalten, radikalisiert, ihre mächtigsten Fürsten aus der Fraktion geworfen, die Tradition zu Winston Churchill gebrochen, nahezu unwählbar in nicht-englischen Regionen, vor allem in Schottland. Das Parlament: gedemütigt und suspendiert wie seit dem Krieg nicht mehr, beschimpft und beleidigt. Und selbst das Staatsoberhaupt, die Queen: benutzt in einem perfiden Machtspiel, preisgegeben für Taktierereien, ausgesetzt dem Zorn der Opposition.