In den letzten Tagen habe ich mir nahezu die gesamte Debatte im Unterhaus angeschaut/angehört - schlimmer als andere hier Rüdi-Videos gucken - und es war wirklich erschreckend.
Die ganze Diskussion war ein einziger Kreis und bestand zu weiten Teilen nur aus "ad hominem". Opp fragt nach Transparenz und wie denn die Lösung aussehen aussehen soll, Regierung antwortet: "Wir werden eine Lösung finden, wir werden sicherstellen, wir sind die Geilsten überhaupt. Es wurde keine einzige Frage beantwortet, immer nur mantraartig wiederholt: "Wir werden sicherstellen dass..." + 20.000 Polizisten und all die altbekannten Brexiteers-Lügen. Alles wird soooo toll, es wird keinerlei Probleme geben, wir werden sicherstellen, dass... "Ja, aber wie wollt ihr das genau machen?" "Wir werden sicherstellen, dass/Wir werden eine Lösung finden... - und außerdem seid ihr alle doof!"
Interessant war die immer wiederkehrende Frage: "Mr. Prime Minister, will you act wie es das Gesetz verlangt?" "Ja aber natürlich, aber ich werde niemals nach Brüssel gehen und um Aufschub bitten!"
Ebenso häufig kam die Frage danach, was die Regierung denn der EU vorgelegt habe. Antwort: "Wir haben der EU neue Ideen vorgelegt, die wir auch durchkriegen." "Ja, aber welche Ideen?" "Wir haben der EU Ideen vorgelegt...aber die sind geheim. "Schön, aber wir haben nachgefragt: Es wurde gar nichts vorgelegt, hier die Beweise..." "Wir haben der EU Ideen vorgelegt, die geheim sind..." "Mr. Prime Minister, wir glauben ihnen nicht!"
Überhaupt wurde regelmäßig deutlich gemacht: "Mr. Prime Minister, we don´t trust you!"
Als legendär dürften die Schlachten zwischen BJ und dem SNP-Meister Ian Blackford in die Geschichte eingehen. Während Blackford immer wieder auf die autonomen Rechte Schottlands hinwies und sich kampfbereit gab, kam als Erwiderung seitens der Regierung eigentlich nichts weiter als "Fuck you Schottland, ihr in eurem verrottetem Drecksland könnt hier einfach mal gar nichts und eure Meinung interessiert uns einen feuchten Kehricht!"
Wenn man mich fragt, könnte das noch richtig heiß werden, auch Gewalt würde ich nicht mehr ausschließen.
Stichwort Gewalt: Seitens der Regierung fand sich zumeist Kriegsrhetorik. Kapitulation, Unterwerfung, Zurückeroberung der schottischen Fischgründe - als wäre die EU ein mächtiges Imperium wie das alte Rom, dass GB in einem (militärischen) Würgegriff hält. Viel lieber wolle man mit guten Freunden wie Trump ganz tolle Deals abschließen, das wird GB wieder groß machen und alles wird ganz großartig! Es fehlten eigentlich nur Hitler-Vergleiche.
Befremdlich auch, mit welcher ökonomischen Perspektive die meinen ein Land regieren zu können. Da wurde doch tatsächlich ein so komplexes Unterfangen mit dem Kauf eines Gebrauchtwagens verglichen - sei ja das Gleiche. Das eine entwickelte Volkswirtschaft eventuell etwas komplizierter sein könnte, ist für die intellektuell nicht mehr greifbar, das geht über deren Verständnis weit weit hinaus. Tragisch eigentlich, erinnert aber irgendwie an unsere Reichis, die meinen, dass die wichtigste Aufgabe eines Staates darin besteht, Frei-Führerscheine zu erteilen. Es scheint, als wären die wirklich zu dämlich.
Corbyn hat wiederum Sternstunden gehabt - seine Redebeiträge waren hart, präzise, gut vorbereitet und sachlich schlüssig, er hat BJ regelmäßig regelrecht zerlegt. Antwort: Ad hominem. Nichts anderes.
Insgesamt wirkte das wie Realsatire. Die Brexiteers haben keinerlei Argumente, sie sind ausschließlich emotional, voller Wut, Verachtung und Dummheit unterwegs, zu denen dringt gar nichts durch, nichts. Das ist wie in einer Sekte - oh, kennen wir sowas evtl. von hier? Durch die Johnson-Regierung wird hier so dermaßen das Parlament miss- und verachtet - ja, eigentlich wie damals im Kaiserreich, völlig aus der Zeit gefallen. Naja, wohl eher die Vorboten einer neuen Zeit.
Es scheint mir nicht unmöglich, dass die Johnson-Regierung zu handfesten Mitteln greifen wird um das HoC zu entmachten, wenn sie ihre Neuwahlen nicht kriegt. Die sind so wahnsinnig fürchte ich, die schrecken vor gar nichts zurück. Auch ein Austritt Schottlands aus dem UK dürfte nun im Bereich des Hochwahrscheinlichen liegen. Und wenn sich die Spaltung der ganzen Gesellschaft durch nochmal weiter polarisierende Wahlkämpfe fortsetzt, dürften sogar die Grundlagen für einen Bürgerkrieg geschaffen werden. Auf der einen Seite fanatisierte Johnson-Anhänger in rasender Wut, auf der anderen Seite die jüngeren und gebildeteren Leute. Wenn das militärisch werden sollte, wird das ein kurzer Kampf, den die Doofen sehr schnell gewinnen werden. Und damit ist dann die nächste große Demokratie tot.