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Eine „dramatische Wende“ sieht die „Irish Times“. Die Zeitung kommentierte damit die jüngsten Äußerungen von Boris Johnson, dem wahrscheinlichen neuen Vorsitzenden der britischen Konservativen und damit neuen Premierminister, äußerst pessimistisch. Der schließt inzwischen einen sogenannten Backstop aus, der ursprünglich zwischen der EU und der britischen Regierung vereinbart wurde, um eine neue Grenze zwischen Nordirland und Irland zu verhindern. Und er will auf keinen Fall eine Verlängerung der Verhandlungen über den 31. Oktober hinaus. „Das macht einen No-Deal-Brexit wahrscheinlicher“, folgert die „Irish Times“.
Und nicht nur sie. An den Finanzmärkten greift diese Befürchtung ebenfalls um sich – mit harschen Konsequenzen für das britische Pfund. Das befindet sich bereits seit Monaten im Sinkflug, doch jetzt hat es eine weitere Schwelle nach unten durchbrochen. Ein Euro kostet nun mehr als 90 Pence, umgekehrt kostet das Pfund nur noch knapp über 1,10 Euro. Und der Absturz dürfte noch weitergehen.
Johnson hatte sein Nein zu einem Backstop bei einer Fernsehdebatte mit dem Gegenkandidaten Jeremy Hunt geäußert. Und was das Ganze noch dramatischer macht: Auch Hunt, der eigentlich als gemäßigter im Hinblick auf den Brexit gilt, stimmte ihm zu. Gleichzeitig hat die EU jedoch immer wieder klargemacht, dass sie keinem Vertrag zustimmen wird, der nicht eine offene Grenze auf der irischen Insel vorsieht.
„Die Brexit-Debatte in Großbritannien bleibt selbstbezogen und ohne Bezug zur bestehenden EU-Position, dass das Austrittsabkommen nicht neu verhandelt wird“, kommentiert Kamal Sharma, Devisenstratege bei der Bank of America Merril Lynch, das Gezerre. Er werde daher vor genau den gleichen Problemen stehen wie seine Vorgängerin Theresa May.
Nur dass Johnson, und möglicherweise auch Hunt, gewillt zu sein scheinen, das alles abzuwerfen und Großbritannien eben ohne Abkommen aus der EU zu führen. Das jedoch hätte enorme Konsequenzen für die britische Wirtschaft. So geht Mark Phelps, Chef-Anlagestratege beim Asset-Manager Alliance Bernstein, davon aus, dass die britische Wirtschaft dann langsamer wachsen werde als die Konkurrenz.
Aber fast noch schlimmer: „In einer Welt von zunehmenden Zöllen und Handelskriegen hat Großbritannien als kleines Land außerhalb eines der großen Handelsblöcke möglicherweise nicht die stärkste Verhandlungsposition“, so Phelps. Sprich: Die britische Wirtschaft könnte zum Spielball eines Donald Trump oder anderer werden. Daher werde sich ein harter Brexit auch negativ auf das Pfund auswirken.
Davon geht auch Kit Juckes, Währungsexperte bei der Société Générale, aus, und er wird noch deutlicher: Ein No-Deal-Brexit werde die britische Währung auf ein Niveau von 0,91 bis 0,97 Pfund je Euro sinken lassen, also nahe an die Parität. Auch zum Dollar seien dann neue Tiefststände zu erwarten – hier hatte das Pfund schon vor einigen Tagen den tiefsten Stand seit Anfang 2017 erreicht.
Ein No Deal scheint immer wahrscheinlicher zu werden
Und die Investmentbank Morgan Stanley geht sogar noch weiter. Sie glaubt, dass das Pfund bei einem harten Brexit auf Parität sinken könnte – und zwar nicht nur zum Euro, sondern sogar auch zum Dollar. Derzeit das Pfund noch 1,25 Dollar.
Umgekehrt könnte die britische Devise aber auch stark zulegen, wenn es doch noch zu einem Soft Brexit kommt, also ein Abkommen zwischen der EU und Großbritannien den Austritt regelt. Dann könne es auf 0,82 bis 0,88 Pfund je Euro hochgehen, glaubt Juckes. Doch darauf setzen solle nur, wer daran glaubt, dass das britische Parlament einen No-Deal-Brexit noch verhindern kann.
Genau das scheint jedoch immer unwahrscheinlicher. Vor einer Woche hat der Sprecher des Parlamentes, John Bercow, im Parlament die Debatte über den Entwurf eines Gesetzes verhindert, das den neuen Premierminister daran gehindert hätte, einen No-Deal-Brexit mit einem Trick am Parlament vorbei möglich zu machen.