Das Gutachten wurde, wenn ich das richtig gelesen habe, zu dem Zweck in Auftrag gegeben, die Gefährlichkeit der Waffe zu ermitteln. Für das Vorgehen eines SEK oder MEK spielt die Art der Waffe zunächst keine Rolle: Was wie eine Waffe aussieht, wie eine Waffe geführt wird und nicht nach Aufforderung niedergelegt wird, wird sicherheitshalber als scharfe und möglicherweise tödliche Waffe angesehen. Das rechtfertigt dann auch eine Schussabgabe, um den Waffenträger unschädlich zu machen.
Ich kann mir auch nur schwer vorstellen, dass es eine Gutachtens bedarf, um herauszufinden, ob es sich um eine prinzipiell scharfe Waffe oder um eine Schreckschusswaffe handelt. Wenn man eine Waffe erst einmal in Händen hält und sie genau betrachten kann, ist dies sehr schnell erkennbar. Zudem gibt es Typ-Tafeln und Verzeichnisse von Waffen, die auch den entsprechenden Kategorien des Waffenrechts zugeordnet sind oder damit leicht diesen zugeordnet werden können.
Wozu also dieses Gutachten? Die Antwort werden wir spätestens beim Prozess erhalten.
Ich sehe - spekulativ - vorerst zwei Gründe:
Erstens kann es sich um die übliche Ballistische Untersuchung handeln, die u. a. auch sicherstellen soll, welche Geschosse aus welchen Waffen abgefeuert wurden. Das dürfte hier, unter Beobachtung der Öffentlichkeit und gerade angesichts der Behauptungen, es seien sieben Schüsse auf Ursache abgegeben worden, durchaus sinnvoll sein, um jeden Zweifel auszuschließen. Ich sage hierzu nur: Bad Kleinen. Das unabhängige Ballistische Gutachten bestätigte entgegen der Absicht der Familie, dass das tödliche Geschoss aus der eigenen Waffe stammte und dass nach Lage der Waffe und des aufgesetzten Schusses nur ein Selbstmord in Frage kam.
Zweitens ist denkbar, worauf ich bereits in früheren Beiträgen hinwies, dass Ursache eine Waffe verwendet hat, die zwar nicht "scharf" war, aber trotzdem gefährlich sein könnte. Auch eine scharfe Waffe, die mit Platzpatronen oder mit einer für diese Waffe nicht vorgesehenen Munition geladen war, ist denkbar. Wenn das Kaliber und die äußeren Abmessungen einer Patrone einigermaßen stimmen, kann auch eine an sich nicht passende Munition verschossen werden. Je nach dem kann aber z. B. ein erheblicher Gasdruckverlust eintreten, der Schussweite, Durchschlagskraft und Zielgenauigkeit stark mindert. Selbst eine Eigengefährdung ("Rohrkrepierer") ist denkbar. Platzpatronen stellen je nach Modell ebenfalls eine Gefährdung dar. Zum Beispiel gibt es Patronen, die einen "Deckel" an der Stelle haben, an der bei scharfer Munition das Geschoss säße. Solche "Deckel" können u. U. einige Meter weit fliegen und erhebliche Verletzungen verursachen. Natürlich kann auch an der Waffe etwas verändert worden sein. Selbst eine Gaspistole oder reine Schreckschusswaffe kann, je nach Art und der Entfernung zum Gegenüber, noch gefährlich sein, zumindest zu Verletzungen führen. Ich habe mir selbst einmal den Luxus geleistet, eine Berloque zu kaufen, die angeblich kleinste Pistole der Welt, die noch nicht einmal waffenerwerbsscheinpflichtig ist. Aber ja, auch eine Berloque kann noch gefährlich sein.
Das deutsche Recht unterscheidet zwischen Körperverletzung, gefährlicher und schwerer Körperverletzung. Weiter könnte auch eine Tötungsabsicht bestanden haben. Hinzu kommt die Frage, ob es sich um einen Versuch handelte oder um einen untauglichen Versuch. Jemanden mit einem vom Baum abgebrochenen Ast zu erschießen, stellt sicherlich einen untauglichen Versuch dar. Verwendet jemand aber eine Waffe, die irgendwas zwischen bloßer Anscheinswaffe und scharfer Waffe ist, muss natürlich geklärt werden, welche Schadwirkung sie tatsächlich erzielen kann. Nur so ist die damit versuchte Tat dann in die nach der Gefährlichkeit eingestufte Skala der Straftatbestände einzustufen.