"Schneller als die Polizei (erlaubt)" und leider wird wohl in den meisten Fällen auch nur ein "Außer Spesen nichts gewesen" rauskommen. Man muss ja nicht nur in Pforzheim die Staatsanwälte letztendlich "zum Jagen tragen".
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Kriminalität im Netz:"So schnell kann kein Polizist reagieren"
Im Kampf gegen Hasskriminalität im Internet kooperieren Hessens Strafverfolger auch mit Aktivisten wie Jan Böhmermanns Reconquista Internet. Trotzdem scheitert die Verfolgung der Täter oft.
Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe
Man konnte im vergangenen Jahr einen regelrechten föderalen Wettbewerb um die beste Idee beobachten, wie sich Hass und Hetze in Netz am wirkungsvollsten bekämpfen lassen. Vereinfachte Meldeplattformen wurden geschaffen und Kooperationen mit Medienhäusern geschlossen, um volksverhetzende Posts und beleidigende Tweets dorthin zu befördern, wo sie hingehören: in den Maileingang der Staatsanwälte statt nur in den digitalen Papierkorb. Denn allmählich hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Demokratie Schaden nimmt, wenn der Diskurs in den sozialen Medien von Drohungen und verbalen Angriffen überschwemmt wird.
Ein besonders unkonventioneller Ansatz findet sich in Hessen. Die Generalstaatsanwaltschaft, die über ihre Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) bereits Kompetenz in der digitalen Welt aufgebaut hatte, hat das getan, was man von Staatsanwälten eher nicht erwartet. Seit November 2019 kooperiert die ZIT mit der Zivilgesellschaft, und zwar mit den drei Organisationen hassmelden.de (dahinter steht die Bewegung Reconquista Internet des TV-Moderators Jan Böhmermann) sowie HateAid und der Verein ichbinhier. Nach den ersten Monaten der Zusammenarbeit zeigt sich, dass die Strafverfolger vom Erfolg regelrecht überrollt worden ist.
17 000 Meldungen haben die eifrigen Aktivisten den Ermittlern bis Anfang April zugeleitet. "Das können wir gar nicht so schnell abarbeiten", sagt Benjamin Krause, stellvertretender Leiter des ZIT. "Es ist, als hätte die Zivilgesellschaft geradezu darauf gewartet." Was ihn vor allem beeindruckt hat, ist die Geschwindigkeit, mit der die Netzwelt reagiert. Oft lassen aktuelle Anlässe wie der Anschlag von Hanau die Hasskurve nach oben schnellen. Aber die Aktivisten sind nicht minder reaktionsschnell - und liefern den Ermittlern Unmengen von Anzeigen. "So schnell kann kein Polizist reagieren", sagt Krause.
Tatsächlich gibt das hessische Modell eine Ahnung davon, was bundesweit auf die Staatsanwälte zukommen könnte, wenn die Meldepflicht für Hassposts Gesetz wird. Nach einem Gesetzentwurf der Bundesregierung sollen soziale Netzwerke bestimmte strafbare Posts künftig nicht nur löschen, sondern auch dem Bundeskriminalamt melden, etwa bei Volksverhetzung und Bedrohung. Wenn auch nur ein nennenswerter Teil dessen erfasst wird, was so alles durchs Netz gespült wird, dann wird der Kampf gegen Hass und Hetze zum Massengeschäft. Das ZIT hat bereits die Zusage für zehn neue Stellen - und die Hoffnung, dass Corona dem Stellenaufbau keinen Strich durch die Rechnung macht. Bis Anfang April sind durch die Zulieferung der Nichtregierungsorganisationen mehr als 140 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, hinzu kommen weitere 120, die über eine zentrale Meldeplattform ("hessengegenhetze.de") angestoßen wurden. Hätte man mehr Personal, wären die Zahlen noch höher. Zeigt Hessen also, wie man das Phänomen Hassrede bewältigt?
Verdächtige können auch als Donald Duck aus Entenhausen registriert sein
Benjamin Krause zieht hier eine eher ernüchternde Bilanz. "Nur in sehr wenigen Fällen können wir die Urheber identifizieren." Das liege vor allem an der mangelnden Kooperationsbereitschaft der Plattformbetreiber. Facebook gebe nur in Ausnahmefällen die Bestandsdaten der Nutzer heraus, bei Youtube und Google funktioniere das besser, bei Twitter so gut wie gar nicht. Und dies, obwohl in anderen Kriminalitätsfeldern die Zusammenarbeit ganz gut funktioniere. Beim Thema Kinderpornografie, einem Schwerpunkt der ZIT-Ermittlungen, kooperierten die Unternehmen zu hundert Prozent, sagt Krause.
Zwar soll nun ein Auskunftsanspruch ins Gesetz aufgenommen werden. Krause zweifelt aber, ob damit viel gewonnen werden kann. Denn die Strafprozessordnung endet an der Grenze, die Ermittler sind also auf Rechtshilfe angewiesen, um Ansprüche gegen Unternehmen mit Sitz im Ausland durchzusetzen - ein bürokratisches und oft aussichtsloses Unterfangen, um an Beweismittel zu kommen. Und selbst wenn es gelingt, erhalten die Staatsanwälte nicht unbedingt den richtigen Namen des Nutzers; er kann auch als Donald Duck aus Entenhausen registriert sein.
Es sind also die Strukturbedingungen des Netzes, die den Ermittlern die Arbeit erschweren - die mangelnde Identifizierbarkeit der Menschen hinter den anonymen Accounts und die juristische Flüchtigkeit der amorphen Digitalkonzerne. Hilfe könnte hier die sogenannte E-Evidence-Verordnung bringen, die auf europäischer Ebene diskutiert wird, also die grenzüberschreitende Erhebung elektronischer Beweismittel. Damit könnte man effektiver an Bestandsdaten herankommen als mit der deutschen Prozessordnung. Doch weil damit erhebliche Grundrechtsrisiken verbunden sind, kommt das Projekt nicht so recht voran. Den hessischen Ermittlern bleibt da oft nur der Rückgriff auf die Googlerecherche: Wer viel postet, der verrät vielleicht irgendwo seinen Wohnort oder legt ungewollt andere Spuren. Doch das passiert meist nur den Anfängern; die notorischen Hetzer wissen längst, wie man sich verbirgt.
Während im Landkreis Wesermarsch der "kleine Waffenschein" jetzt auch online erhältlich ist (mehr oder weniger) gibt es in Bremen gerade mal gar keine Waffen "fürs Volk". Wann da wohl die ersten (Youtube/Reichsbürger-affinen) Juristen klagen?
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Rechtsexperte über Verteidigungs-Bedürfnis
Bremen macht Pause bei Waffen-Anträgen
Patricia Brandt 16.04.2020 0 Kommentare
Die Corona-Krise führt zu Unsicherheit bei den Menschen. Führt das, wie in den USA, auch zu einem gestiegenen Interesse an Waffenscheinen? Wir haben nachgefragt.
Während einige US-Amerikaner bereits Waffen hamstern, bescheinigt der Bremer Rechtspsychologe Dietmar Heubrock seinen Landsleuten “preußische Disziplin“. Allerdings muss das nicht so bleiben: „Was man bedenken muss, ist die Wirkung von Katastrophenfilmen.“ Dietmar Heubrock denkt an Seuchen-Thriller wie „Contagion“. Steven Soderberghs Virus-Schocker von 2011 zeigt, wie rasant sich eine Krankheit in Zeiten der Globalisierung verbreitet.
Angesichts der steigenden Zahl von Todesfällen wird im Film der Ausnahmezustand dargestellt, ebenso Übergriffe sowie Plünderungen. Dietmar Heubrock: „Je mehr Leute sich solche Katastrophenfilme reinziehen – und viele Menschen haben im Moment sehr viel Freizeit, dann mag ich nicht ausschließen, dass sie sich irgendwann selbst verteidigen wollen.“
Ein Foto im Kurznachrichtendienst Twitter und auf der Internetseite vom Amnesty International zeigt, wie Menschen etwa bei einem Waffengeschäft in Los Angeles Schlange stehen. Die Schlange geht um den ganzen Block. Dahinter steckt die Angst vor den Folgen des Coronavirus.
Während es in den USA in vielen Bundesstaaten nicht schwierig ist, sich mit Waffen einzudecken, muss man hierzulande unterscheiden: Für das Führen von Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen reicht der Kleine Waffenschein aus. Um diesen zu bekommen, muss der Antragsteller volljährig sein. Überprüft wird zudem lediglich die persönliche Zuverlässigkeit und gesundheitliche Eignung des Antragstellers. Liegen keine Zweifel vor, wird der Kleine Waffenschein gegen Gebühr erteilt, heißt es aus der Verwaltung.
Beim Großen Waffenschein hingegen muss der Antragsteller nicht nur einen Sachkundenachweis erbringen, sondern auch ein Bedürfnis nachweisen. Dieses Bedürfnis weisen etwa Jäger, Sportschützen oder Personenschützer aus. Auch eine Haftpflichtversicherung wird fällig.
Mit der Corona-Krise sei es im Landkreis Wesermarsch nun neuerdings möglich, online einen Jagdschein oder Feuerwaffenpass zu verlängern, Schusswaffen an- und abzumelden sowie eine Waffenbesitzkarte zu beantragen, gab der Kreis kürzlich in einer Pressemitteilung bekannt. Auch Kleine Waffenscheine zum Führen von Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen könnten neuerdings online auf der Seite des Landkreises heruntergeladen werden.
Der Kreis habe auf die Corona-Krise reagieren wollen: Um den Publikumsverkehr im Kreishaus zum Schutz der Bürger und Mitarbeiter zu reduzieren, habe die Verwaltung das Antragsformular für den Kleinen Waffenschein online eingestellt, berichtet Pressesprecher Martin Bolte. „Um Missverständnissen vorzubeugen“ betont Martin Bolte jedoch, dass das Formular vom Antragsteller in Papierform zum Landkreis zurückzuschicken ist. Der Kreis würde die Unterlagen – wie bisher auch – prüfen. „Erst nach erfolgter und positiver Prüfung nach dem Waffengesetz (WaffG) wird der Kleine Waffenschein vom Fachdienst Sicherheit und Ordnung ausgestellt“, so Bolte weiter.
„Es ist nicht möglich, den Kleinen Waffenschein online zu beantragen oder gar online die Zusage zu erhalten“, betont Martin Bolte. Dies hänge mit diversen Sicherheitsvorkehrungen zusammen. Unter anderem werde eine Original-Unterschrift benötigt. Auch müsse der Schein persönlich und nach vorheriger Terminabsprache mit dem Sachbearbeiter im Kreishaus abgeholt werden. In einem Fall sei im März auch ein Antrag auf einen Kleinen Waffenschein abgelehnt worden, so Bolte, ohne Details zu nennen.
Insgesamt seien seit März 19 Kleine Waffenscheine beantragt worden. Die Anzahl der Kleinen-Waffenschein-Besitzer betrug zum Stichtag 1. April exakt 23. Eine durch die Corona-Pandemie gestiegene Nachfrage nach Waffenscheinen stellt der Kreis nach den Worten von Martin Bolte dennoch nicht fest. Von 2017 bis 2019 hat der Landkreis Wesermarsch insgesamt 156 Kleine Waffenscheine ausgegeben.
Während der Kreis Wesermarsch Anträge online zur Verfügung stellt, hat Bremen das Thema weitgehend ausgesetzt: „Die Antragsteller müssen persönlich erscheinen. Da zurzeit die Ämter für den Publikumsverkehr geschlossen sind, gibt es auch keine laufenden Anträge“, berichtet Karen Stroink vom Innenressort auf Anfrage unserer Zeitung. Die Zahl der ausgestellten Kleinen Waffenscheine ist nach ihren Worten von 2017 bis 2019 kaum gestiegen, nämlich von 2134 (2017) auf 2196 (2019).
„Dass aufgrund der Pandemie gesteigerte Sorgen bezüglich Kriminalität in der Bevölkerung bestehen“, glaubt Jana Lindemann, Sprecherin des Landkreises Osterholz, nicht. Es gebe zumindest aus Sicht der örtlichen Waffenbehörde keinen berichtenswerten Unterschied zwischen der Zeit „vor“ und „nach“ dem Pandemie-Ausbruch. Die Zahl der Waffenbesitzer im Kreis Osterholz sei weitgehend konstant. Mit Stand zum 31. Januar 2020 gab es im Landkreis Osterholz demnach 1935 Waffenbesitzer. Bis Anfang April 2020 wurden 20 Kleine Waffenscheine erteilt. Wie viele Bescheinigungen seit März nachgefragt wurden, ist laut Jana Lindemann statistisch bisher nicht erfasst. Von 2017 bis 2019 wurden hier 339 Kleine Waffenscheine erteilt.
Die Ausgabe Kleiner Waffenscheine sieht der Bremer Rechtspsychologe Dietmar Heubrock grundsätzlich mit Sorge. Er sei „kein Freund des Kleinen Waffenscheins“. Es gebe viele Gründe, warum Gas- und Schreckschusspistolen nicht zum Selbstschutz taugten. Einer sei, dass die Personen, die sich in Konfliktfällen verteidigen, unter Stress geraten und sich mit einer Waffe im Zweifel selbst verletzten. Zudem haben Heubrock und sein Team festgestellt, dass diese Waffen „de facto“ nicht für den Selbstschutz verwendet werden, „sondern für Überfälle, weil man leicht an sie rankommt“.
Dass mit der Corona-Krise die Zahl derer wächst, die eine Waffe mit sich führen wollen, glaubt der Sprecher des Bremer Instituts für Psychologie derzeit nicht: „Die Personen, die eine Affinität dazu haben, sich selbst zu verteidigen, haben ihren Waffenschein lange beantragt. Insofern werden die Anträge jetzt nicht mehr so stark ansteigen.“
Bei diesem Personenkreis gebe es eine Überschneidung mit der Prepper-Szene, die sich auf Notlagen vorbereiten, und mit der Reichsbürger-Szene. Es seien Menschen, die eine gewisse Ängstlichkeit verspürten und grundsätzliche Zweifel an Gesellschaft und Staatssystem hegten. „Es sind Leute, die nicht zu den Privilegierten gehören, die im Kopf haben: ‚Der Staat tut nix für uns. Wir sind egal.“ Dazu käme eine gewisse Aggressivität, gepaart mit dem Gefühl, verlassen worden zu sein. „Das sind die Personen, die einen Kleinen Waffenschein beantragen würden.“ Im Augenblick seien „Kloppereien um eine Tüte Mehl oder ein Paket Klopapier“ bis hin zu Reifenstechereien, "weil Besucher das falsche Nummernschild haben“, noch Einzelfälle.
Seinen Landsleuten bescheinigt der Mann, der sich mit der Prävention von Attentaten befasst und zum Thema Profiling forscht, ein hohes Maß an Disziplin. „Im Moment stehen wir das Ganze gut durch, doch je länger die Krise währt, desto mehr werden Konflikte zunehmen.“