Die OB von Eisenach weigert sich weigert sich weiterhin, NPD-Leuten die Hand zu geben:
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Was den Fall, der demnächst noch einmal vor dem Bundesverwaltungsgericht verhandelt werden könnte, trotzdem so interessant macht, ist daher nicht die Frage der Gleichbehandlung der Ratsmitglieder, sondern die konkrete Handlung, die von der Bürgermeisterin durch Gesetz verlangt, von ihr aber verweigert wird. § 24 Abs. 2 der thüringischen Gemeinde- und Landkreisordnung schreibt nämlich vor, dass die Gemeinderatsmitglieder in der ersten nach ihrer Wahl stattfindenden öffentlichen Sitzung des Gemeinderats vom Bürgermeister auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Pflichten durch Handschlag zu verpflichten sind. Verweigert ein Gemeinderatsmitglied die Verpflichtung, so verliert es sein Amt. Für den umgekehrten Fall, in dem eine Bürgermeisterin den Handschlag versagt, trifft die Vorschrift hingegen keine Regelung. Unstreitig dürfte insofern nur sein, dass dies auf das Amt des Gemeinderatsmitglieds jedenfalls keine Auswirkung haben kann.
Diese Regelung, die an der Stelle eines Amtseides eine Verpflichtung durch Handschlag vorsieht, ist keine Thüringer Besonderheit. In das dortige Kommunalrecht ist sie wahrscheinlich nach der Wiedervereinigung durch das Partnerland Rheinland-Pfalz gelangt, das über eine entsprechende Regelung in seiner Gemeindeordnung verfügt. Darüber hinaus sieht auch das Richterwahlgesetz einen entsprechenden Handschlag des Bundesjustizministers für die Mitglieder des Richterwahlausschusses vor, ebenso wie die Bundesrechtsanwaltsordnung für die Protokollführer beim Anwaltsgericht gegenüber dem Vorsitzenden des Spruchkammer. Auch Notarassessoren müssen dem Präsidenten der Notarkammer ihre Hand auf die gewissenhafte Pflichterfüllung geben.
Trotzdem bleibt diese Pflicht zum Handschlag in zweifacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen verdient die symbolische Komponente Beachtung, die hier in das Recht transformiert wird. An die Stelle eines Eides, der bei der Übernahme verschiedener öffentlicher Ämter, inklusive desjenigen eines thüringischen Bürgermeisters, geleistet wird, tritt ein Händedruck. Der Gemeinderat „gibt seine Hand drauf“, dass er seine Pflichten ordnungsgemäß erfüllen wird, und bedient damit sehr alte gesellschaftliche Bilder des Ehrenworts, das per Handschlag besiegelt wird. Man kann trefflich darüber streiten, ob dieses Symbol einer zweiseitigen Abmachung passend ist für die Übernahme eines öffentlichen Amtes und die Zusicherung, die daraus resultierenden Pflichten gewissenhaft zu erfüllen. Denn Adressat einer solchen Zusage kann und soll nach demokratischem Amtsverständnis eigentlich nicht die konkrete Autoritätsperson sein, die den Handschlag entgegennimmt. Unabhängig davon ist die Pflicht zum Handschlag aber ein anschauliches Beispiel für die performativen Elemente des Rechts, die ihren Ursprung oft in vormodernen und teils noch von magischem Denken geprägten Rechtsschichten haben, aber ohne größere Reflexion oft bis heute fortwirken.
Neben dieser symbolischen Seite ist die Regelung aber zum anderen deshalb besonders interessant, weil hier in ganz besonderer Weise durch das Recht der Einsatz des Körpers des Amtsträgers verlangt wird. Indem die Norm den Handschlag durch die Bürgermeisterin vorschreibt und das OVG ihn rechtlich erzwingt, greift der Staat unmittelbar auf den Körper der Amtsträgerin zu. Aus diesem Grund unterscheiden sich die rechtlichen Maßstäbe hier auch grundlegend von anderen Fällen, in denen der (verweigerte) Handschlag in jüngerer Zeit zum Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen wurde: So hielt das OVG Koblenz jüngst die Entlassung eines Soldaten, der Frauen aus religiösen Gründen den Handschlag verweigerte, für rechtlich nicht beanstandenswert. Schon kurz zuvor hatte dasselbe Gericht den Widerruf einer Erlaubnis für den Betrieb eines Kindergartens unter anderem deshalb für rechtmäßig erachtet, weil das weibliche Betreuungspersonal aus religiösen Gründen männlichen Besuchern nicht die Hand reichen wollte. In beiden Fällen ging es gerade nicht darum, dass das Recht den Handschlag zwingend einfordern wollte. Vielmehr wurde lediglich die Verweigerung des Handschlags als Indiz dafür gewertet, dass grundlegende Wertfragen der Verfassung nicht respektiert werden – das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 2 GG etwa oder die Menschwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG.
Bei der Verpflichtung der Bürgermeisterin zum Handschlag ist dies nun anders. Denn hier kommt es rechtlich gerade darauf an, dass sie als Amtsträgerin die körperliche Handlung vollzieht. Die von Juristen sonst so vehement verteidigte Unterscheidung zwischen Amtsträger und Privatperson fällt an dieser Stelle daher plötzlich in sich zusammen. Zwar kann man die Handlung der Bürgermeisterin, die Ratsmitglieder auf eine gewissenhafte Pflichterfüllung zu verpflichten, ohne Weiteres ihrer Amtstätigkeit zuordnen. Der Handschlag hingegen lässt sich von der Körperlichkeit ihrer Person im höchst natürlichen Sinne nicht trennen. Im physiologischen Sinne gibt es keine zwei Körper der Bürgermeisterin. Wer die Bürgermeisterin zum Handschlag zwingt, zwingt auch die Privatperson Katja Wolf.
Auf diese Weise wird dann aber auch die sonst so klare Trennung zwischen Grundrechtsgebundenheit und Grundrechtsberechtigung der Amtsperson brüchig. Wenn der Staat auf den physiologischen Körper der Amtsträgerin zugreift, greift er in die körperliche Selbstbestimmung der Privatperson ein. Und damit stellt sich die Frage nach den rechtlichen Grenzen auf einmal ganz neu. Zwar darf die Bürgermeisterin die Stadträte der NPD grundsätzlich nicht anders behandeln als die Vertreter anderer Parteien. Aber darf der Staat die Privatperson Katja Wolf dazu zwingen, den NPD-Politikern die Hand zu geben?
Die Verfügungsgewalt über den eigenen Körper ist ein zentraler Baustein jedes menschenwürdegeleiteten Grundrechtsschutzes. Einschränkungen zulasten von solchen Personen, die im buchstäblichen Sinne ein öffentliches Amt verkörpern, bedürfen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, die insbesondere auch die Erforderlichkeit des Eingriffs in den Blick nimmt. Man muss nicht die symbolische und psychologische Wirkung einer öffentlichen Bekräftigung der Pflichtenstellung kleinreden, um die Erforderlichkeit des Handschlags hier zu verneinen. Gerade aufgrund der fehlenden eindeutigen Symbolkraft des Händedrucks würden vielmehr andere rituelle Formen wie etwa ein entsprechendes Gelöbnis oder ein Amtseid die Funktion genauso gut erfüllen, ohne einen unmittelbaren Körpereinsatz der Amtsträger zu verlangen.
Damit fehlt es aus grundrechtlicher Perspektive an einer Rechtfertigung für die Regelung in der thüringischen Gemeinde- und Landkreisordnung. Die Grundrechte von Katja Wolf schützen daher auch die Bürgermeisterin von Eisenach davor, den NPD-Stadträten die Hand geben zu müssen. Insofern ist es zwar richtig, dass eine Unterscheidung der Bürgermeisterin bei der Behandlung der NPD-Stadträte gegen die verfassungsrechtlich garantierte Gleichheit der Parteien verstoßen. Eine Verpflichtung Katja Wolfs dazu, Körperkontakt mit den Stadträten der NPD herzustellen, verletzt allerdings umgekehrt ihre Grundrechte. Wenn das Bundesverwaltungsgericht die Revision gegen das Urteil des OVG Weimar zulässt, sollte es daher die Regelung des thüringischen Kommunalrechts dem Bundesverfassungsgericht vorlegen und auf seine Vereinbarkeit mit den Grundrechten hin überprüfen lassen. Der körperliche Einsatz, den gerade Kommunalpolitiker angesichts zunehmender Drohungen mit und Ausübung von Gewalt für ihr demokratisches Engagement aufbringen, ist schon hoch genug, an vielen Stellen auch schlicht zu hoch. Er darf nicht auch noch rechtlich eingefordert werden.
(Die zwei Körper des Königs), in der er die Sicht des natürlichen Körpers des mittelalterlichen Königs und des übernatürlichen Körpers der Öffentlichkeit vorlegte.