Sachsen
10.04.2019 08:45 Uhr
Wie Bautzen in die Schlagzeilen kamEin ungeklärter Brand, schwere Krawalle, ein schwieriger Flüchtling und eine Wächterin der Demokratie: Diese vier Ereignisse prägen das Bürgertum von Bautzen.
Mehr als drei Jahre nach dem Brand in dem als Aslyunterkunft vorgesehenen Hotel Husarenhof in Bautzen sind die Täter noch immer nicht gefasst. © dpa
Von Ulrich Wolf 5 Min. Lesedauer
1. Der Brand des Husarenhofs: Im Februar 2016 geht das ehemalige Hotel Husarenhof in Flammen auf. Es sollte zu einer Asylunterkunft umgebaut werden. Klar ist: Es war Brandstiftung.
Vor allem in überregionalen Medien ist man schnell mit der Vermutung bei der Hand, hinter dem Brand könne nur ein fremdenfeindliches Motiv stecken. Genährt wird diese Verdachtsberichterstattung durch Polizeiangaben, nach denen mehrere Personen die Löscharbeiten behindert und demonstrativ Applaus gespendet haben sollen. Kurz nach dem Brand filmt ein Dachdecker den ausgebrannten Dachstuhl und spricht dabei ins Handy: „Kameraden, Sieg Heil! Gute Arbeit geleistet.“ Das Video gelangt ins Internet.
Monate später stellt ein Gericht fest, drei betrunkene junge Männer hätten zwar während der Löscharbeiten Polizisten attackiert – aber nicht aus rassistischen Motiven, sondern weil sie sich gegen die Anweisung, den Gefahrenbereich zu verlassen, Widerstand geleistet hätten. Deshalb und wegen weiterer Taten erhalten sie Gefängnis- und Bewährungstrafen. Die Ermittlungen gegen den Urheber des Dachstuhl-Videos werden eingestellt. Ihm kann die bewusste Verbreitung des Films im Internet nicht nachgewiesen werden.
Im Herbst 2018 behauptet der Chef der Hentschke-Bau GmbH, Jörg Drews, in einem Fernsehinterview, der Husarenhof-Brand habe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen politischen Hintergrund gehabt. Das wisse er aus zuverlässiger Quelle. Die Generalstaatsanwaltschaft verhört Drews daraufhin als Zeugen. Danach teilt die Behörde mit, dessen Aussagen hätten zu keinen neuen Erkenntnissen geführt, man ermittle weiterhin in alle Richtungen. Der Brandfall ist immer noch nicht aufgeklärt.
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© Christian Essler/xcitepress.com
2. Die schweren Ausschreitungen am Kornmarkt: Im Spätsommer 2016 kommt es in der Innenstadt zu Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen und Einheimischen. Vor allem rund um den Kornmarkt gibt es immer wieder Schlägereien.
Ihren traurigen Höhepunkt finden die Krawalle Mitte September, als rund 80 Deutsche auf etwa 20 Asylbewerber losgehen. Die Polizei spricht von einem „Pulverfass“ und „wechselseitigen Provokationen“. Meist sei dabei Alkohol im Spiel. Überregionale Medien berichten erneut über die Stadt. Tenor: Rechte und Flüchtlinge gehen aufeinander los. Erst vom Sommer 2018 an stuft die Polizei den Kornmarkt nicht mehr als gefährlich ein, zeigt aber nach wie vor dort verstärkt Präsenz.
Der Platz, der Bautzen veränderte: Vom Spätsommer bis in den Herbst 2016 hinein war der Kornmarkt immer wieder Schauplatz teils schwerer Krawalle zwischen Flüchtlingen und Deutschen.
© Archivfoto: Robert Michalk
3. King Abodes Tanz mit dem Rechtsstaat: Seit seiner Ankunft Ende 2014 hält ein Flüchtling aus Libyen, der sich im Internet als „King Abode“ ausgibt, die Stadt Bautzen auf Trab. Die Polizei ermittelt mehrfach gegen den jungen Mann: Ladendiebstahl, Drogenhandel, gefährliche Körperverletzung, Beleidigung, Sachbeschädigung, Verstoß gegen das Waffengesetz, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Bei den Schlägereien am Kornmarkt soll er einer der Anführer gewesen sein. Seinetwegen kommuniziert der stellvertretende Landrat mit dem ehemaligen NPD-Chef von Bautzen.
Der Flüchtling selbst droht mit Selbstmord und klettert auf das Dach seiner Unterkunft. Gleich zweimal wird „King Abode“ für je drei Monate der Stadt verwiesen. Der Libyer veröffentlicht ein selbstgemachtes Musikvideo im Netz und rappt darin zu Sätzen wie: „Polizei, ich habe keinen Respekt vor euch“ oder „Ich bleibe hier in Deutschland“. In seinem ersten Strafprozess wird er zu acht Monaten Haft verurteilt, bleibt aber wegen fehlender Rechtskraft auf freiem Fuß. Wenig später soll er wegen einer offenen Geldstrafe eine 40-tägige Ersatzhaft absitzen, wird festgenommen, kommt aber wegen unterschiedlicher Zuständigkeiten von Staatsanwaltschaften erneut frei.
Nach Verfahren durch mehrere Instanzen scheitert der Libyer im Oktober 2018 endgültig mit seinem Asylantrag vor dem Oberverwaltungsgericht. Da aber Libyen abgelehnte Asylbewerber nicht zurücknimmt, kann „King Abode“ weiter in Deutschland bleiben.
Der Flüchtling, der Bautzen veränderte: Im Oktober 2018 weist das Oberverwaltungsgericht Bautzen den Asylantrag des Libyers M. Y. Targi endgültig zurück. Der junge Mann ist als "King Abode" bekannt und gilt als Intensivtäter. Libyen nimmt ihn nicht zurück
© Archivfoto: Uwe Soeder
4. Annalena Schmidt und ihr Kampf gegen Rechtsextremismus: Die junge Frau aus Hessen verschlägt es Anfang 2016 beruflich nach Bautzen. Die Historikerin tritt eine befristete Stelle beim Sorbischen Institut an, engagiert sich beim Bündnis „Bautzen bleibt bunt“. Sie beginnt, über rechtsextreme Vorkommnisse in Bautzen zu twittern und einen eigenen Blog zu schreiben.
Die Krawalle am Kornmarkt, die sie selbst miterlebt, erschüttern sie nachhaltig. Sie intensiviert ihre Tätigkeit im Internet, will ermutigen, Alltagsrassismus und Menschenfeindlichkeit die Stirn zu bieten. Am 23. Mai 2018, dem Tag des Grundgesetzes, wird sie von der Bundeszentrale für politische Bildung zur „Botschafterin für Demokratie und Toleranz“ ernannt. Sie legt sich auch mit der in Bautzen starken AfD an, rückt dem einflussreichen Bauunternehmer Jörg Drews auf die Pelle. Ihre Kritiker, darunter auch der Oberbürgermeister, werfen der 32-Jährigen vor, sie stelle Bautzen zu pauschal als braunes Nest dar und müsse selbst noch „am Faktor Toleranz“ arbeiten.
Schmidt wird nahezu täglich im Internet beleidigt, mitunter bedroht, auch in der realen Welt. Der Staatsschutz ermittelt. Beim Bautzener Bürgerforum „Zurück zur Sachlichkeit“ Anfang Februar 2019 wird sie aufgefordert, die Stadt zu verlassen; ein Großteil des Publikums applaudiert. Wenige Tage später gibt Schmidt ihre Kandidatur auf der Liste der Grünen für die Stadtratswahl im Mai bekannt. Eine vom ehemaligen Bautzener NPD-Chef unterstützte Demonstration gegen diese Kandidatur wird kurzfristig abgesagt. Die Preisträgerin gerät Mitte März erneut in die Kritik, als ein Video auftaucht, das sie bei einer Anti-AfD-Aktion einer Antifa-Gruppe in Dresden zeigt.
Die Frau, die Bautzen veränderte: Annalena Schmidt ist Historikerin. Sie stammt aus Hessen und will für die Grünen bei der Kommunalwahl im Mai in den Stadtrat. Seit dem vergangenen Jahr ist sie Demokratie-Preisträgerin. Immer wieder prangert sie rechtsext...
© Foto: Uwe Soeder