Es gibt einen freundlichen Artikel über Steimle.
Kann ein intelligenter Mensch so eingestellt sein, nicht daran denken zu können, seine Worte, die man auch von anderer Seite
Da ich unterstelle, Steimle sei einigermaßen intelligent, ist die Antwort klar.
scheint mir der Kern zu sein: Da kann einer sein Ego nicht so ausleben wie Trump, Macron oder BJ.
Spoiler
Ein Foto von Steimle, der dieses Hemdchen trug, war vor Wochen auf dem Facebook-Account eines Meißner CDU-Politikers aufgefallen. Das Bild erntete Kritik, Steimle zusätzlich Bestrafungsphantasien. So war es ihm zuletzt öfters ergangen: Man wirft ihm Verharmlosung des Nationalsozialismus vor, fordert Bildschirmverbot im MDR. In manchen Ecken der sozialen Medien ist Steimle sogar Staatsfeind Nr. 1. Hier im Kraftwerk bringt ihn das nicht in Verlegenheit. Uwe Dziuballa, der Gastgeber des Abends, ist sein Freund. Gemeinsam reisen sie dieser Tage durch Israel. "Ich habe dir das Nicki damals mitgebracht", sagt Steimle zu Dziuballa, der nickt. "Du hast es sofort angezogen. Ich habe es auch Walter Niklaus gezeigt, Schauspieler, 94 Jahre, der noch Kriegsteilnehmer war und zu mir sagte: Das kann man machen. Wir haben darüber gelacht. So, wie es richtig ist."
Er habe dem belasteten Spruch durch Hinzufügung eines Buchstabens eine neue, andere Bedeutung geben wollen. Das ist es, was Wortkünstler tun, mal gut, mal weniger gut. Inmitten der Aufregung, sagt Steimle, habe er dann erfahren, dass ein ausgewiesener Nazigegner, der Kabarettist Werner Finck, diesen Spruch als Lebensmotto führte: Kraft durch Freunde.
Finck hatte unter Hitler in einem Konzentrationslager gesessen, ein legendärer Spötter und Individualist. Ein Poltergeist und Querkopf, wie Steimle sie laut Selbstauskunft mag - so Leute wie den Torwart Sepp Maier, der den Stimmungssänger Achim Mentzel einmal vor laufenden Kameras als "volksdümmlich" abgekanzelt hat, oder den Kabarettisten Gerhard Polt, der mitten in der BSE-Krise zu Protokoll gab: "Rindfleisch schmeckt". Nicht um Gefahr zu verharmlosen. Sondern weil auch Hysterie gefährlich ist.
Als das beleumdete Nicki-Foto herum war, so Steimle, habe ihm ein Journalist erklärt, das was er mache, sei "Scheinsatire". "Wort des Jahres!" ruft er im Kraftwerk. "Dann war das ein Scheinjournalist in einer Scheindemokratie, wo der Schein das Bewusstsein bestimmt!" Applaus.
Es ist jetzt ein paar Jahre her, dass Uwe Steimle in seiner eher komfortablen Nische den gemütlichen Sachsen, den ewigen Ossi und, an der Seite des großen Kurt Böwe, einen ziemlich nervösen "Polizeiruf"-Kommissar verkörpert hat, ohne Hasstiraden auf sich zu ziehen. In jenen Jahren führte der frühere "Junge Welt"-Chefredakteur und tiefgründige Interviewer Hans-Dieter Schütt mit Steimle mehrere Gespräche, aus denen dann ein Buch wurde: "Mich fragt ja keener". Damals sagte Steimle: "Ich dreh halt Dinge, die zur Gewohnheit werden, gerne um. Ich will, dass man stockt in einem Gedankengang, der zur Mechanik, zur Phrase geworden ist. Aufstand der Anständigen! Gesicht zeigen! Das sind diese Parolen, die Eindruck machen, das sind Losungen, die wie Lösungen daherkommen, aber die rutschen doch schnell ins routinierte Mund-Werk ab. Das ist über den Weg eines moralisch ehrenwerten Impulses die beste Art, wiederum eine schweigende Mehrheit zu schaffen." Und die schweigende Mehrheit, das hat Steimle für sich erkannt, braucht eine Stimme. Seine.
Berlin, tief im Westen am Heussplatz, wo Dieter Hallervordens Kabarett-Theater "Die Wühlmäuse" steht, in dem Steimle regelmäßig gastiert und das Haus ausverkauft: Es ist Vorweihnachtszeit, das Programm verkündet harmlos "Hören Sie es riechen", Steimles "Stollenprogramm". Wer sich am Stollen überfrisst, weiß, wie schwer der im Magen liegt. Steimle legt los: "Jeder, der nicht mit Merkel einverstanden ist, ist ein Nazi, ein Rechter oder kommt aus Dresden!" Er reicht Pulmotin zum Beschnüffeln herum und erklärt, statt von "Poschmerzen" zu reden, sage er lieber: "Mir brummt der Arsch!" Den Dresdener Fernsehturm solle man zum Minarett umbauen, von dem "der Muezzin zur Arbeit ruft". Weiter: "Wir sind mit der DDR in Würde gescheitert. Das steht der Bundesrepublik noch bevor." Und fragt: "Darf ich eigentlich noch ,Sultanine' sagen?" - Steimles vielleicht geschmackloseste Witze: Gebt den Friedensnobelpreis dem Mittelmeer, das die meisten Flüchtlinge "aufgenommen" hat (aus "Steimles Welt"). Und das Schauerstück von der angeblichen Notdurft eines Zugewanderten hinterm Domaltar in Freiberg, das Menschenverachtung mit Ekel verknüpft. Das hat er auch in den "Wühlmäusen" gebracht.
Der Schriftsteller Thomas Brussig schrieb 2009 über ihn, bevor die Flüchtlingsankunft die gesellschaftlichen Brüche offensichtlich machte: "Dass Steimle nicht zum Vorzeigesachsen wurde, liegt daran, dass er es vorzieht, hin und wieder auch Ärgernis zu sein." Dieses Muster zieht sich durch Steimles Biografie. Am Staatsschauspiel in Dresden, kurz nach der Wende, erzählte Steimle in Schütts Buch, endete sein Engagement, weil es "zu schwer" gewesen sei, mit ihm zu arbeiten. Das zwang ihn in die Selbstständigkeit. Steimle erfand Günther Zieschong und "Ostalgie", seit 1994 spielte er im "Polizeiruf" mit. Er hatte Auftritte in Edgar Reitz' "Heimat 3" und im Fernsehkabarett neben Georg Schramm und Urban Priol; 2009 wurde er von der Linkspartei zur Wahl des Bundespräsidenten entsandt.
Im selben Jahr endete sein Engagement beim "Polizeiruf". Steimle, offenbar persönlich tief verletzt, zeterte von "Dolchstoß" und "Berufsverbot". Sein letzter Spielpartner, Felix Eitner, hielt das für eine Überreaktion. Steimle verlangte ein öffentliches Streitgespräch mit dem ARD-Programmdirektor auf dem Sendeplatz von "Anne Will". Einen "Querulanten" habe ihn der ARD-Chef genannt, steht in Steimles Buch "Heimatkunde", in dem er dessen Ausdrucksweise mit der Sprache der Nationalsozialisten oder der eines NVA-Politoffiziers verglich. Da war wenig Selbstbeherrschung, wenig Frage nach der eigenen Verantwortung. Schütt gegenüber hatte er immerhin zugegeben, dass er selbst Leute "nur ungern ausreden" lasse.
"Meine Religion ist der Zweifel, meine Kirche ist der Mensch", so deklamiert es Steimle im Berliner "Stollenprogramm". Wegen solcher Reflexionen - berührend, wie er über die eigene Sterblichkeit und Friedhöfe spricht - nennt die Presse ihn gerne mal "Westentaschenphilosoph". Er liebe das Kleine, die Provinzen, das Volk. Problematisch nur, dass es nicht immer so herüberkommt. Wenn er "Frieden" wie eine Monstranz vor sich herträgt und im nächsten Moment fast schon Hassreden hält. Wenn er geifert und sich zum Opfer stilisiert. "Entschuldigen sie meine Echauvivation!"
Steimle sagte einst, dass er "einen Spagat zwischen einem gewissen Anspruch und Kalauern" versuche. Die Angst vorm Kalauer sei "das Grab vieler guter Witze". Man darf annehmen, dass viele der Konflikte um Steimle an jenem Publikum, das ihm ergeben ist, vorbeigehen und es nicht wirklich berühren. Steimle reagiert auf Vorhaltungen auch im Gespräch mit Uwe Dziuballa meist mit (echter oder gespielter?) Naivität, bedankt sich für jede Frage und posiert als Maskottchen der Redefreiheit, das nur "dem Volk aufs Maul schaut". Unersetzlich für die einen, unerträglich für die anderen.
Zuletzt hatte er sich über eine mutmaßliche Chemnitzer Terrorzelle lustig gemacht, die "mit einem Luftgewehr und zwei Cee-Deehs" den Staat hatte aus den Angeln heben wollen. Der Prozess gegen die Gruppenmitglieder wird in diesen Tagen eröffnet. "Hätten die noch zwei Wollmutzeln und zwei Luftballons mitgenommen, hätte ich gedacht, das wäre die Olsenbande", scherzte Steimle. Und der politische Mord am Regierungspräsidenten Walter Lübcke in Hessen? Es sei ihm um die "Umsturzhysterie" gegangen. Den Staat aus den Angeln zu heben, wie geschrieben wurde, habe nicht einmal die RAF geschafft.
"Mit Satire verhält es sich so", sagte Steimle im Kraftwerk: "Wer sich getroffen fühlt, ist gemeint!" Wo sich viele linke und aktivistische Künstler an die Seite der Schwachen und Minderheiten stellen, sieht sich Steimle an der Seite der Stimmlosen. Inzwischen lässt sich selbst ein Altmeister wie Bruno Jonas mit den Worten zitieren, der Meinungskorridor sei eng geworden, man sei "zu sehr auf Linie". Im oft sehr selbstgerechten Milieu linker Gesellschaftskritiker kann Steimle sich zugute halten, andere Akzente zu setzen. Dass er fehlbar ist, nimmt er in Kauf.
Nach dem "Kraft durch Freunde"-Skandal habe ihn die Vorsitzende der Dresdner jüdischen Gemeinde besucht und mit ihm gesprochen: "Sie gab mir auf den Weg, dass so etwas den Falschen in die Hände spielt, das will ich verinnerlichen." Ansonsten gelte auch die Regel: "Der Mensch beweist sich in der Tat."
Und da bezog Steimle bei Dziuballa Position. Der Chemnitzer Restaurantchef hatte ihn als Gesprächspartner zu Fragen des jüdischen Lebens auf die Bühne geholt, sodass Steimle auf Justin Sonder zu sprechen kam, den Auschwitz-Überlebenden aus Chemnitz. "Ich habe darüber nicht groß geredet, aber ich war seit langem der Meinung, dass man Justins Zeugnis aufzeichnen sollte, damit nicht später einer sagt, es habe Auschwitz nicht gegeben. Der Sender hatte kein Interesse, also habe ich das selber gemacht. Und über Umwege kam der Film dann doch zum Fernsehen."
Man müsse so etwas, wenn man sich mit ihm beschäftige, mit in die Waagschale werfen, sagt Steimle. Und sein Freund Dziuballa nickt.