Ein wie ich finde wirklich gelungener Bericht zum Themar-Konzert, mit vielen kleinen Videos.
Spoiler
06.07.19
Thüringen
Rechtsrock-Festival nach Lübcke-Mord – Neonazis unter Druck
Theresa Martus, Kai Mudra und Christian Unger
Nach Themar kommen offenbar deutlich weniger rechtsextreme Fans als zuvor. Das hat verschiedene Gründe.
Themar.. Marko Gottschalk tut, was er kann, um ein bisschen Stimmung zu machen: „Frei, sozial und national“ stimmt der Sänger der Rechtsrock-Band Oidoxie von der Bühne an, ein bekannter Neonazi-Slogan. Das Publikum antwortet im Chor, viele haben den rechten Arm ausgestreckt, die Faust geballt. Nach ein paar Wiederholungen verebbt der Slogan. „Hört sich an wie 2000“, sagt Gottschalk, „geil.“
Doch von 2000 Menschen sind sie weit entfernt beim Rechtsrock-Festival an diesem Freitagabend im thüringischen Themar. Nur rund vierhundert Menschen zählt die Polizei am Freitag. Oidoxie ist die letzte Band des Abends. Zwei weitere hat die Polizei früher am Abend schon von der Bühne geholt.
Auch die ersten Besucher sind schon lange auf dem Heimweg. Wenige Meter von der Bühne entfernt lichten sich die Reihen der Zuschauer schnell. Statt Bierdunst und Schweiß riecht es im Festzelt an diesem Abend nach plattgetretenem, trockenen Gras. Staub hängt in der Luft.
2017 kamen 6000 Rechtsextreme nach Themar
Eigentlich hatten sie „die Erde zum Beben bringen“ wollen, wie die Veranstalter im Voraus angekündigt hatten. Doch von einem Beben ist Themar an diesem Wochenende weit entfernt. Grund sind unter anderem die harten Auflagen der Versammlungsbehörde: Nur Leichtbier und Radler am Freitag, gar kein Alkoholausschank am Samstag. Die Tankstelle neben dem Gelände hat die Polizei kurzerhand gepachtet und dort ein Einsatzquartier eingerichtet. Dass damit auch die Tankstelle als Bierquelle wegfällt, sei ein positiver Nebeneffekt, sagt ein Sprecher.
Das Ergebnis: Gerade einmal 800 bis 1200 Neonazis erwarten die Veranstalter für den Samstag. Vor zwei Jahren waren es rund sechsmal so viel: 6000 Neonazis feierten damals auf der Wiese in Themar. 2018 waren es immerhin noch 2200. Mit der Aktion „Kein Bett für Nazis“ hatte sich Themar gegen das Festival gewehrt. Doch rund vier Wochen nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, mutmaßlich durch den Neonazis Stephan E., zeigt sich in diesem Jahr eine Szene, die unter Druck steht.
Die NPD weist die Verantwortung von sich
Organisiert hat das Festival die NPD. Das Gesicht der Partei in Themar ist Sebastian Schmidtke. Als Veranstaltungsleiter streunt der „Bundesorganisationsleiter“ der NPD in kurzen Jogginghosen, T-Shirt und Käppi über das Gelände, weist seine Leute an, spricht mit Journalisten und Polizei.
Fragt man Schmidtke, ob man sich in der Szene, zu der E. jahrzehntelang gehörte, irgendwie verantwortlich fühlt für den Mord, den E. begangen haben soll, stößt man auf demonstratives Unverständnis. Er sei „für nichts verantwortlich“ und spreche für niemanden, sagt der Mann, der an diesem Wochenende die Verantwortung für die gesamte Veranstaltung trägt. Er sehe auch nicht, warum irgendjemand dem Mord an Lübcke eine besondere Bedeutung zumessen sollte. „Es sterben jeden Tag so viele Leute.“
• Hintergrund: Organisierter Rechtsextremismus – Das ist das Netz der Nazis
Thema ist der Mord trotzdem. Von dem Entsetzen, dass die Tat anderswo ausgelöst hat, ist hier allerdings erwartungsgemäß nichts zu merken. Stattdessen ein Tenor, der nahelegt, dass das wahre Opfer nicht der ermordete CDU-Politiker, sondern die Szene ist.
Es müsse „Schluss sein mit der widerlichen Instrumentalisierung des Lübcke-Attentats“, fordert am Freitag Sascha Krolzig in einer Rede, in der er eine rechtsextreme Demonstration vor dem Kasseler Regierungspräsidium ankündigt. „Wir ducken uns nicht weg“, sagt Krolzig, der aus Nordrhein-Westfalen stammt und Chef der rechtsextremen Kleinstpartei „Die Rechte“ ist. „Wir zeigen Gesicht.“
Rechtsrock-Festival in Themar – Neonazis zeigen ihre Ansichten
Viele hier nehmen das wörtlich. Einige halten sich zwar die Arme vors Gesicht oder ziehen T-Shirts über die Nase, wenn sie an den wartenden Journalisten und ihren Kameras vorbei müssen. Doch die allermeisten gehen offen, sogar stolz an dem Spalier vorbei. Manche winken, reißen Witze. Hin und wieder hält einer den Mittelfinger hoch.
Auch die T-Shirts sprechen eine eindeutige Sprache: „Wehrmacht wieder mit?“ trägt ein Besucher als Slogan auf der Brust, dazu das Bild eines Reichsadlers, der ein eisernes Kreuz in den Klauen hält. Wenn er sitzt, verdecken Bauch und Biertisch den größten Teil des Motivs. Dann steht da nur noch „Wehrmacht“.
Andere tragen T-Shirts mit Aufschriften wie „I <3 HTLR“ oder „HKNKRZ“ (für Hakenkreuz). Einige Besucher sind mit Fanartikeln des „Schild und Schwert“-Festivals in Ostritz ausgestattet. In der sächsischen Kleinstadt finden, ähnlich wie in Themar, immer wieder Rechtsrock-Events statt, zuletzt vor zwei Wochen. Auch dort waren deutlich weniger Besucher gekommen als im Vorjahr.
Die Besucherzahlen in Themar seien für die Rechtsextremen „absolut ernüchternd“, sagt auch Romy Arnold. Arnold ist Projektleiterin der „Mobilen Beratung in Thüringen“ (Mobit), die rechtsextreme Aktivitäten im Freistaat dokumentiert und analysiert. Finanziell würden die Veranstalter mit so wenigen Besuchern starke Einbußen einfahren, „die Machtdemonstration von 2017 ist es auch nicht“, sagt Arnold. Damit würde das Festival zwei wesentliche Funktionen solcher Events nicht erfüllen.
„Und mal ehrlich: Wer möchte auf ein Festival gehen, bei dem man auf sehr engem Raum auf dem Trockenen sitzt?“ Die Hoffnung sei, sagt sie, dass sich die Rechtsextremen daran im nächsten Jahr erinnern und nicht mehr nach Themar kommen.
„Walk of Shame“ an der Gegenveranstaltung vorbei
Arnold sitzt auf einer Wiese neben dem Gelände im Schatten, während sie erzählt, im Bereich der Neonazis-Gegner. Rechts und links vom Gelände des Rechtsrock-Festivals sind Gegenveranstaltungen angemeldet. Gewerkschaften sind hier vertreten, zivilgesellschaftliche Bündnisse, es gibt einen Gottesdienst, eine Trommelgruppe tritt auf, ein Posaunenchor. Wer zum Festival will, muss zwangsläufig am Protest dagegen vorbei.
Die Demonstranten machen daraus am Sonnabend einen „Walk of Shame“: Jede neue Gruppe der Festival-Besucher wird am frühen Nachmittag begrüßt mit lautem Gelächter aus den Boxen der Gegendemonstranten, bis die Polizei sie auffordert, das zu lassen – nicht unnötig provozieren, ist die Ansage. Danach kommt das Lachen nicht mehr vom Band, sondern live von den Gegnern der Neonazis.