Stand: 26.06.2019 17:17 Uhr - Lesezeit: ca.6 Min.
Grenzen der Satire? Der MDR und Uwe Steimle
von Nadja Mitzkat
Der MDR hat ein Problem. Es heißt Uwe Steimle. Der Schauspieler und Kabarettist, vielen noch bekannt als Kommissar Jens Hinrichs aus dem Schweriner Polizeiruf, eckt immer wieder an. Mal sind es verleumderische Gerüchte über Geflüchtete, die er in seiner Sendung "Steimles Welt" (MDR) zum besten gibt. Mal, wie jüngst, ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Kraft durch Freunde" - eine Abwandlung des NS-Slogans "Kraft durch Freude". Und obwohl es viele weitere Äußerungen Steimles gibt, die zwischen Verschwörungstheorie, Antisemitismus und Rechtspopulismus changieren, tut sich der MDR schwer mit einer klaren Positionierung. Denn beim Publikum ist Steimle beliebt. Der gebürtige Dresdner gilt als einer, der die Dinge beim Namen nennt, auch wenn es unbequem ist.
Geschichten aus der Heimat - inklusive fremdenfeindlicher Gerüchte
Seit 2013 reist der selbsternannte Volkskundler mit einem alten Wartburg für den MDR durch die mitteldeutsche Provinz. In "Steimles Welt" sammelt er Geschichten aus der "Heimat" - auch wenn es fremdenfeindliche Gerüchte sind, wie in der Sendung vom 29. Oktober 2017:
"Und hier ist es wirklich passiert, dass ich rein wollte in den Dom. Und da haben die gesagt: 'Nein, ist nicht möglich'. Ich sage: 'Moment mal, wir haben Lutherjahr. Ich möchte zu meinem Herrn. Ich möchte beten.' […] Dann sagt die: 'Dann sage ich Ihnen was hier los ist: Die ♥♥♥n hintern Altar.' 'Na, wer denn?' 'Na, wer wohl?!'
Gemeint sind, das wird im Kontext deutlich: Geflüchtete. Und in derselben Sendung wird gleich noch ein zweites Gerücht verbreitet, von Steimles Reisepartner Michael Seidel: "Ich habe ja gehört, in Mülsen ham die Syrer alle Forellen aus dem Fluss geklaut. Was das für Blüten treibt manchmal." - "Wahnsinn", findet Steimle.
Fernseh-Unterhaltungschef spricht von Einzelfall
Drei bis vier Mal im Jahr produziert der MDR die Sendung. Insgesamt schon 20. Die beanstandete Sendung sei ein Einzelfall, meint Fernseh-Unterhaltungschef Peter Dreckmann. "Zunächst mal, glaube ich, ist relativ klar: Er erzählt, was die Leute ihm erzählt haben. Wir haben dann gesagt, dass das möglicherweise auch missverständlich ankommen könnte. Und dass man da dann in Zukunft stärker drauf achten muss."
"Missverständlich", das ist Uwe Steimle gelegentlich auch auf der Bühne. Anfang der 90er Jahre erfindet er Günther Zieschong. Die Figur des rechthaberischen Ex-Brigadeoffiziers erfüllt die Sehnsucht seines Publikums nach einer anderen DDR-Erzählung - jenseits von Unrechtsstaat, Stacheldraht und Stasi. Steimle tauft dieses Gefühl "Ostalgie".
Steimle sieht sich als "Seismograph meiner Zeit"
Kabarettist Uwe Steimle als Günther Zieschong in der Intensiv-Station © NDR / Christian Spielmann Kabarettist Uwe Steimle als Günther Zieschong in der NDR Info Intensiv-Station im November 2010.
"Ich fahre ja rum und bin Seismograph meiner Zeit", sagt Steimle 2009 dem NDR. "Ich nehme das auf, was die Leute sprechen. Und das verdichte ich dann und bringe es auf die Bühne. Und dann kommt noch meine Haltung dazu. Also erkennbar sind wir schon, wofür und wogegen." Doch das "wofür" und "wogegen" ist mittlerweile ein anderes. Mit dem Aufkommen von Pegida und AfD hat sich die Stimmung gedreht. Und auch Günther Zieschong hat sich verändert.
Ende 2015 wettert Steimle alias Zieschong in der MDR-Satire-Sendung "Kanzleramt D": "Ist das nicht Wahnsinn, was hier alles her rammelt? Manche reden schon von einer Völkerwanderung … Aber Leute, was ich nicht verstehe, die wollen alle hierher - ich will doch och nie zu die. Wenn ich nen Ausländer sehen will, fahr ich dorthin. Früher nannte man sowas Urlaub."
Steimle bediene Marktlücke, so Friedrich
Jesko Friedrich ist Satiriker mit Doktortitel. Er hat zur Frage "Was darf Satire?" publiziert. Steimle, so glaubt er, bediene auch eine Marktlücke: "Provokation verkauft sich gut. Deswegen unterhalten wir uns ja über ihn, weil er provoziert. Und ich glaube, das ist sein Unique-Selling-Point, dass er Satire macht, die halt nicht linksgrün ist wie die meiste Satire." Zieschong, das ist nun der Sachse, ders Maul aufmacht. Der ostdeutsche Wutbürger.
Aussagen wie ein Reichsbürger
Was zunächst nur Zieschong sagte, sagt jetzt auch Steimle. Im Juli 2018 gibt er der rechten Zeitung "Junge Freiheit" ein Interview. Darin behauptet er: "Die Wahrheit ist eben, dass wir keine eigene Politik haben, weil wir ein besetztes Land sind." Angela Merkel ist für ihn "eine Marionette". Eine Aussage, die klar den so genannten Reichsbürgern zuzuordnen ist. Und weiter: "Glauben Sie bitte nicht, wir hätten einen staatsfernen Rundfunk. […] Inzwischen weiß jeder, dass […] Claus Kleber der Karl-Eduard von Schnitzler der BRD ist, zusammen mit seiner Marionetta Slomka."
MDR reagiert, zieht aber keine Reißleine
Diesmal reagiert der MDR. Schreibt auf Twitter:
MDR Presse
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@MDRpresse
.@wilke_tobias @SvenIsHell @joahlen @immer_bereit @likedeeler3 @MDR_SN @mdrde Die Aussage von Uwe Steimle ist für den MDR nicht akzeptabel. Damit stellt er sich gegen alle, die täglich politisch unabhängiges Programm machen. Wir werden das mit Uwe Steimle persönlich auswerten
"Natürlich haben wir gedacht, wenn er dieses Haus in der Weise diskreditiert, wie er es da getan hat, dann müssen wir darüber nachdenken, ob es eine weitere Zusammenarbeit geben kann", sagt Unterhaltungschef Dreckmann im Interview mit ZAPP. Doch der MDR zieht die Reißleine nicht. Toleriert, dass Uwe Steimle schon lange eine Identifikationsfigur für viele aus dem Lager von Pegida und der Neuen Rechten ist. Das sei eine Sache des Privatmanns Uwe Steimle, heißt es.
Steimle distanziert sich von rechtem Gedankengut
Steimle will ZAPP kein Interview geben. Doch er schreibt: "Ich teile und befürworte rechtes Gedankengut nicht". Satire müsse ätzen und provozieren dürfen. Für ihn fällt all das unter "Gedankenfreiheit". In einem Interview mit dem MDR für das Format "Lebensläufe", gesendet im Mai diesen Jahres, erklärt Steimle sich so: "Es gibt kein, was ja manchmal suggeriert wird, 'rechtes' Kabarett. Gibt es nicht. […] Kabarett ist nicht nur immer gesellschaftskritisch und obrigkeitskritisch, sondern hält der Gesellschaft den Spiegel vor die Augen. Und geht immer gegen Ungerechtigkeiten vor. Und die Funktion des Kabaretts ist zu stören. Wie immer, ne?"
T-Shirt mit "Kraft durch Freude"-Slogan sorgt für Irritation
Steimles jüngste Störung: Am Pfingstwochenende posiert er mit einem AfD-nahen Meißner CDU-Stadtrat für ein Foto. Steimle im selbst entworfenen T-Shirt: "Kraft durch Freunde" - in Frakturschrift. Eine Abwandlung des NS-Slogans "Kraft durch Freude". Auf ZAPP-Anfrage schreibt Steimle: Das Foto mit dem Stadtrat sei rückblickend "ein Fehler", weil es genutzt wurde, um gegen politische Gegner zu sticheln. Er habe "aus einem belasteten Spruch etwas Neues, Positives" schaffen wollen, "aus einem rechten Spruch einen linken machen", mehr nicht. (
Steimles komplettes Antwortschreiben)
Doch diese Absicht sei kaum zu erkennen, kritisiert Jesko Friedrich: "Man hat als Satiriker keinen Freifahrtschein, um immer zu provozieren und damit durchzukommen. Man muss jede satirische Äußerung bewerten: Ist es überhaupt Satire? Hier zum Beispiel sehe ich die Kritik gar nicht so deutlich. Die muss man sich erst mühsam selber zusammenbasteln. Ist das jetzt Kritik an Neonazis? Man sieht es nicht."
MDR in der Zwickmühle: Sendeanstalt kann nur verlieren
MDR Fernseh-Unterhaltungschef Peter Dreckmann sieht für sein Haus keinen Grund, auf das T-Shirt zu reagieren. "Das hat der Privatmann Uwe Steimle gemacht. Meine Meinung ist, das ist nicht originell. Das ist auch nicht lustig. Aber darüber hinaus, wenn er als Privatmann solche T-Shirts anzieht, warum sollte ich dann Konsequenten ziehen?"
Zwei Monate vor den Landtagswahlen in Sachsen kann der MDR nur verlieren: Hält er an Uwe Steimle fest, wird er von dessen Kritikern mit Steimle zusammen in die rechte Ecke gestellt. Kündigt er die Zusammenarbeit auf, droht aus dem Lager der Steimle-Fans umso heftigere Kritik. Wohl niemand will Uwe Steimle in dieser Situation zum Märtyrer machen