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Das Tor zum Schießplatz am Rand von Güstrow steht weit offen, eine Einladung soll das aber nicht sein. Schilder warnen vor Lebensgefahr durch Munitionsreste. Eine klapprige Windmühle wie aus einem Western steht auf einem Hügel, in den Flügeln sind Einschusslöchern zu sehen. „Presse unerwünscht“, verkündet ein Schild, ein anderes droht jedem, der unerlaubt Fotos macht, 30 000 Euro „Konventionalstrafe“ an.
Gereizte Stimmung
Die Stimmung auf der abgelegenen Anlage ist anscheinend ziemlich gereizt. Möglicher Anlass: Gegen Polizisten der Spezialeinsatzkräfte (SEK) des Landeskriminalamtes, die hier trainierten, wird ermittelt. Die Schweriner Elitepolizisten sollen Munition aus Landesbeständen beiseite geschafft und gehortet haben. Einer von ihnen, Marko G., sitzt in U-Haft. Er wird zudem in den Ermittlungen gegen die Prepper-Gruppe Nordkreuz als Zeuge geführt. Deren Mitglieder, angesehene Bürger, Anwälte, Bundeswehrreservisten, sollen Listen geführt haben, um Linke und andere politische Gegner an einem „Tag x“ zu liquidieren.
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Kündigung auch aus NRW
Vor einigen Wochen durchsuchten Polizisten bei einer Razzia den Güstrower Schießstand. Ziel war die Sicherung möglicher Beweise. Gegen die Betreiber wird aber nicht ermittelt, so die Schweriner Staatsanwältin Claudia Lange. Das Land reagierte prompt: Vergangene Woche verkündete Innenminister Lorenz Caffier (CDU) im Landtag das Ende der Zusammenarbeit zwischen Schießstand und Polizei. Andere Länder, die ihre SEK-Kräfte ebenfalls in Güstrow trainieren ließen, zogen nach.
Das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen stellt wegen „der laufenden Ermittlungen“ alle „Trainings und Fortbildungen bis auf Weiteres ein“, so eine Sprecherin. Jahrelang hatten Polizisten aus anderen Bundesländern in Güstrow geübt. Der Grund dafür war die „außergewöhnliche Expertise des Firmeninhabers im Bereich des taktischen Schießens“, so die Sprecherin des Düsseldorfer Ministeriums. Die Bedingungen auf der Güstrower Anlage seien zudem besonders „realitätsnah“.
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Schützenchef sieht sich als Bauernopfer
Der Firmenchef heißt Frank Thiel. Er ist Co-Vorsitzender des Schützenvereins, der den Platz betreibt und Chef des Unternehmens Baltic Shooters, das hier Spezialausbildungen anbietet. „Ich bin ein Bauernopfer“, sagt Thiel am Telefon. Er räumt ein, das er die verdächtigten SEK-Polizisten kenne. Von einem rechtsextremen Hintergrund will er aber nichts mitbekommen haben. Solche Leute hätten bei der Polizei nichts verloren, sagt der Sicherheitsexperte.
40 000 Schuss an drei Tagen verballert
Bei dreitägigen Workshops wurden auf der Anlage schon mal 40 000 Schuss verballert. Dabei könnten sich die SEK-Beamten die Munition beschafft haben, weil bei dieser Menge ein paar Hundert oder Tausend verschwundene Patronen vielleicht nicht auffallen, lautet ein Verdacht. Thiel relativiert. 40 000 sei gar nicht viel. „Auf jeden Teilnehmer gerechnet sind das 200 bis 300 Schuss“, sagt er. Dieselbe Begründung nannte Caffier im Landtag. Der Minister war jahrelang Schirmherr der SEK-Workshops, Fotos zeigen ihn gemeinsam mit Thiel. Im Internet finden sich noch Bilder von den Veranstaltungen. Die dazugehörigen Webseiten sind inzwischen vom Netz, auch die von Baltic Shooters. Auf anderen Bildern schießen martialisch aussehende Polizisten mit schweren Waffen. Ein Teilnehmer trägt ein T-Shirt mit lachendem Totenkopf und gekreuzten Maschinenpistolen, darüber steht der Name der Veranstaltung: „Special Forces Workshop“.
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Verachtung für NSU-Opfer
Auf der Güstrower Anlage sollen auch der Rostocker Anwalt Jan H., der vermeintliche Todeslisten führte, und weitere Nordkreuz-Mitglieder Schießtrainings absolviert haben. Kann sein, meint Thiel. Er wisse es nicht und kenne H. auch nicht. Es herrsche viel Betrieb auf dem Schießplatz „Um herauszufinden, wer hier alles geschossen hat, müsste man Tausende Protokolle aus den letzten Jahren durchsuchen“. Nach Medienberichten soll H. unter seinen Prepperfreunden einen eigenen Wettbewerb ausgelobt haben, den „Mehmet-Turgut-Pokal“, jedes Jahr am 25. Februar. An diesem Datum wurde 2004 Turgut in Rostock vom Terrortrio NSU ermordet. Mit dem Pokal soll H., bis 2017 Abgeordneter der Rostocker Bürgerschaft, angeblich seine Verachtung über das Mahnmal für die Tat ausgedrückt haben.
Elitepolizist mit lachendem Totenkopf
Der SPD-Landtagsabgeordnete Dirk Friedriszik fordert: „Es muss genau hingeguckt werden, ob das, was auf dem Güstrower Schießplatz geschah, noch rechtsstaatlich war.“ Mit der Kündigung habe Caffier allerdings Fakten geschaffen, noch bevor etwas aufgeklärt ist. „Der Betreiber hat sein Einkommen verloren“, so der Abgeordnete.
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Halbautomatische Waffen für 14-Jährige
Der Schießstand wird von Vereinen und Sportschützen genutzt. Sogar 14-Jährige durften hier unter Aufsicht mit halb automatischen Waffen schießen, warb Baltic Shooter bis vor Kurzem im Internet. Durch die Kündigung der Verträge werde die Schießausbildung der Polizei nicht gefährdet, sagt der Schweriner Innenministeriumssprecher Michael Teich. Landesweit trainieren die Ordnungshüter auf drei eigenen Schießständen, 13 weitere werden bei Bedarf angemietet.
Vorwürfe gegen Schweriner Schützen
Auch in Schwerin steht zurzeit ein Schützenverein in der Kritik. Die „Smoking Guns“ (rauchende Waffen) soll laut einem NDR-Bericht von einem AfD-Politiker mitgegründet worden sein. Mehrere aktive Mitglieder sind demnach zugleich in der AfD, darunter drei Landtagsabgeordnete. Einer der Schützenbrüder, die vor allem mit großkalibrigen Pumpguns schießen, stehe den Reichsbürgern nahe. Der Verein weist die Vorwürfe zurück. Man sei nicht AfD-nah, sondern unpolitisch. Der vermeintliche Reichsbürger-Sympathisant sei bisher nicht negativ aufgefallen, von der Haltung dieser Bewegung distanziere man sich, schreibt das Präsidium der Schützen auf der Vereinswebseite.
Gerald Kleine Wördemann