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Hass gegen Politiker
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Bedroht zu werden, gehört zum Mandat
Beschimpfungen, Hassbriefe und Angriffe gegen Lokalpolitiker werden immer häufiger. Besonders ernst ist die Lage in Ostdeutschland, zeigt eine Umfrage.
Von Tina Groll
25. Juni 2019, 13:43 Uhr 128 Kommentare
Der 2017 bei einer Messerattacke verletzte Bürgermeister von Altena, Andreas Hollstein, vor der Burg in Altena. © Oliver Berg/dpa
Andreas Hollstein, der Bürgermeister aus Altena, Henriette Reker, die Oberbürgermeisterin von Köln – sie sind prominente Beispiele für gewaltsame Angriffe auf Kommunalpolitiker. Sie sind kein Einzelfall. Wie normal Hass und Gewalt besonders durch Rechtsextreme und Rechtspopulisten gerade gegen Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker geworden sind, zeigen nicht nur neue Drohnachrichten, die kurz nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke an viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister versandt worden sind. Nun bestätigt auch eine repräsentative Umfrage des Magazins Kommunal im Auftrag des ARD-Politmagazins "Report München". Die Zeitschrift für Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitiker sowie kommunale Verwaltungsfachkräfte kommt zu dem Ergebnis, dass Hass, Beschimpfungen und Bedrohungen schon fast zum Mandat dazugehören.
Demnach sind schon in jeder zwölften Stadt oder Gemeinde Politikerinnen und Politiker sowie Beschäftigte der kommunalen Verwaltung körperlich angegriffen worden. Insgesamt stieg die Zahl der Attacken binnen zwei Jahren um 25 Prozent.
Mindestens 220 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Gemeinderäte hätten bereits Gewalt von rechts in der Ausübung ihres Mandats erlebt, ermittelte das Magazin. Das heißt, in mehr als 900 Städten und Gemeinden haben Menschen in ihrer Tätigkeit für die kommunale Verwaltung körperliche Gewalt erfahren. In Deutschland gibt es über 12.000 Städte und Gemeinden sowie rund 11.100 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister.
Noch verbreiteter als tätliche Gewalt sind verbale Angriffe: Rund 40 Prozent aller Kommunen haben schon Hassmails und Beschimpfungen erhalten. Dabei spielen, anders als möglicherweise erwartet, soziale Netzwerke keine größere Rolle als andere Kommunikationswege. Kommunalpolitikerinnen und -politiker berichten, dass sie sowohl in persönlichen Briefen und E-Mails beleidigt, bedroht und beschimpft werden, als auch in sozialen Netzwerken offen oder per Direktnachricht solche Hassnachrichten erhalten. Und sie sagen, verbreitet seien auch Pöbeleien und Drohungen im direkten Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern, die einfach ausrasten.
Damit ist das Klima viel roher geworden als noch vor zwei Jahren, lautet ein Fazit der Umfrage. Damals berichteten viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister noch, dass Hassnachrichten häufig anonym versandt würden.
Anonymität spielt kaum noch eine Rolle
Mehr noch: Heute scheint es den Absendern zunehmend egal zu sein, wen sie mit ihrem Hass eigentlich treffen. Ehrenamtliche werden ebenso angegangen wie Hauptamtliche. Auch vor Beschäftigten in der Gemeindeverwaltung macht der Hass keinen Halt, zeigt die Umfrage.
Allerdings gibt es immer noch regionale Unterschiede: Während in Bayern 28 Prozent der lokalen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger von Angriffen berichten, scheint das Klima in Ostdeutschland viel aufgeheizter zu sein. In Brandenburg berichten 60 Prozent der befragten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister von Stalking. In Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern verzeichnet jede zweite Gemeinde solche Attacken, im Westen sind es dagegen nur 41 Prozent.
Auch sogenannte Reichsbürger sind in den ostdeutschen Kommunen ein größeres Problem als im Westen: 81 Prozent der ostdeutschen Städte und Gemeinden haben bereits Erfahrungen mit diesem Phänomen gemacht, in Brandenburg sind es sogar 90 Prozent aller Kommunen. Deutschlandweit liegt der Wert bei 65 Prozent. Jedoch berichten die Befragten auch, dass in fast jedem dritten Rathaus die oft bewaffneten Reichsbürger persönlich vorstellig wurden.
Die Autorinnen und Autoren der Untersuchung kommen zu dem Schluss, dass "die Radikalisierung der sprachlichen Auseinandersetzung der Wegbereiter für körperliche Gewalt gegenüber Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen" sei. Das ist dramatisch, denn in einem solchen politischen Klima dürften immer weniger Bürgerinnen und Bürger, die für weltoffene und demokratische Kommunen kämpfen wollen, bereit sein, sich zu engagieren und für ein kommunalpolitisches Amt zu kandidieren.
Für die Untersuchung wurden im Juni mehr als 1.055 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister befragt. Die Stichprobe ist ein repräsentatives Abbild der Gesamtheit aller Bürgermeister.