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Wie kann man sich diese Gruppierung vorstellen. Sind da alle weiß? Oder gibt es da auch Menschen mit Migrationshintergrund, beispielsweise People of Colour?
Prinzipiell schon. Das ist das Spannende. Es gibt aber nicht sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund. Doch es gibt eine Herkunft, die erwünscht ist und als sehr hochwertig gilt: Menschen aus dem slawischen bzw. russischen Raum. Frank Ludwig und andere Vertreter der Bewegung sprechen auch nicht von Ariern, sondern von slawisch-arischen Weden oder Brudervölkern. Menschen wie Oleg Pankow aus Russland, der meines Wissens kein Wort Deutsch spricht, sind gern gesehene Gäste.
Afrodeutsche sind mir nicht begegnet. Sie wären wahrscheinlich auch sehr seltsam angeguckt worden. Wobei auf den Kennenlerntreffen, wenn man in diese Szene einsteigt, wohl niemand weggeschickt oder angegriffen werden würde wegen seines Aussehens oder seiner Herkunft. Da gibt es dann eher andere Möglichkeiten, diese Leute sanft wieder herauszubekommen – ohne, dass sie Verdacht schöpfen. Man würde sie vermutlich nicht offensiv involvieren. Ich war allerdings auf einem Seminar in Hessen, da war eine Familie mit türkischem Background und da gab es überhaupt kein Problem. Die wollten allerdings auch einen Familienlandsitz in der Türkei aufbauen.
Szenefoto aus Kontraste - Die Reporter - Bio, braun und barfuß | rbb/Frank Ludwig
Szenefoto aus Kontraste - Die Reporter - Bio, braun und barfuß | Bild: rbb/Frank Ludwig
Das Thema Familie und Kinder scheint ja eine große Rolle zu spielen. Wie leben die Kinder im Rahmen der Bewegung?
Ich hatte nicht die Gelegenheit, Kinder über einen längeren Zeitraum zu erleben. Aber was ich gefährlich finde, ist, dass die Bewegung zum großen Teil medizinischer Versorgung ablehnend gegenübersteht und alles versuchen wird, Kinder mit den absurdesten Alternativmethoden zu behandeln. Ich sehe ein großes Risiko, dass gesundheitliche Gefahren entstehen für Kinder, weil ihnen die medizinische Versorgung vorenthalten wird. Ein zweites starkes Konfliktpotenzial beinhaltet das Thema Schule. Die Anastasia-Bewegung hat in Deutschland noch keine eigene Schule gegründet. Die Anhänger gehen mit diesem Thema, je nachdem wie dogmatisch sie sind, unterschiedlich um. Ich weiß, dass es Kinder gibt, die auf genehmigte Alternativschulen wie Waldorfschulen, Montessorischulen und so weiter gehen. Es gibt aber auch Anastasia-Anhänger, die behaupten, dass ihre Kinder nicht zur Schule gehen.
ZUR PERSON
Silvio Duwe (Quelle: rbb)rbb
Silvio Duwe
Der rbb-Mitarbeiter Silvio Duwe hat für das Magazin Kontraste verdeckt bei der Anastasia-Bewegung im "Goldenen Grabow" recherchiert.
Wie machen die das, es gibt ja in Deutschland eine Schulpflicht?
Es gibt eine gewisse Schnittmenge zur "Schulverweigerer-Szene. Die kennt Kniffe, wie man es schafft, unter dem Radar der Behörden durchzukommen. Sei es, dass man sich im Ausland meldet oder ein paar wilde Wohnortwechsel macht. Dann "vergisst" man irgendwann, sich anzumelden, zieht in irgendeinen Wohnwagen ein oder in irgendeine Gartenlaube. Es kann tatsächlich sehr viele Jahre klappen, Kinder nicht anzumelden - ohne, dass es den Behörden auffällt. Bei Anastasia hat die Schulverweigerung auch damit zu tun, dass die Bewegung sagt, die Kinder wüssten ab ihrer Geburt schon alles und könnten aus ihrem unendlich vorhandenen Wissen schöpfen - und das sollten sie ungestört tun können. Das wird als eine Art Freiheit verkauft: dass man nichts aufgezwungen bekommt. Die eigentliche Idee dahinter ist jedoch, die Kinder innerhalb der eigenen Ideologie zu erziehen und sie von anderen Ansichten abzuschirmen.
Wie weit rechts steht denn die Anastasia-Bewegung?
Im Zuge meiner Recherchen habe ich den russischen Guru Oleg Pankow besucht. Er kam in die "Gedächtnisstätte Guthmannshausen" in Thüringen. Das ist ein Schulungszentrum, wo Neonazis ein- und ausgehen. Frank Rennicke, Liedermacher und NPD-Mitglied, war beispielsweise an dem Tag auch da. Er hat, als ich schon weg war, auf seiner Gitarre Musik gemacht. Da kommen dann auch "Stiefelnazis". Und dieser russische Guru war nicht zum ersten Mal da - er ist als regelmäßiger Gast und Redner in dieser Gedächtnisstätte vorgestellt worden. Da merkt man schon, dass Anastasia-Anhänger Kontakte ins richtig harte Nazi-Spektrum haben. Ansonsten würden Anastasia-Vertreter wie Pankow nicht in dieser Gedächtnisstätte verkehren. Oleg Pankow ist auch derjenige, der den Brandenburger Anastasia-Siedler Frank Ludwig stark inspiriert hat. Ludwig tritt unter dem Namen "Urahnenerbe Germania" auf.
Blutweiderich zieht sich entlang eines Seeufers in Templin. (Quelle: imago/blickwinkel)
Ein Familiensitz für Anastasia-Anhänger braucht einen See und ein WäldchenBild: imago/blickwinkel
Anastasia agiert offensichtlich vor allem im ländlichen Raum. Warum nicht in der Nähe von Städten?
Natürlich gibt es Anastasia-Anhänger auch in Städten. Aber Kern der Anastasia-Ideologie ist zu sagen, die Städte seien dekadent und verkommen und es sei keine natürliche Lebensweise. Sie glauben, dass Menschen dort nicht gesund und glücklich werden können. Deshalb sollen sie mit ihrer Familie auf einem Hektar Land leben und diesen selbst gestalten. Es gibt sogar Gestaltungselemente, die vorgeschrieben und welche, die verboten sind. Es ist zum Beispiel verboten, einen toten Zaun – aus Metall, Holz oder eine Mauer - um das Grundstück zu ziehen. Dann ist vorgeschrieben, dass ein See auf dem Gelände sein muss und ein Wäldchen. Dort soll die Familie begraben werden, damit die Ahnen immer in der Nähe sind und man mit ihnen in Kontakt treten kann. Der Familienlandsitz dient als Mittelpunkt der Familie – Mutter, Vater, Kinder - und der Selbstversorgung. Ziel ist es, alles was man zum Leben braucht selbst anzubauen, herzustellen oder auszutauschen. Letztendlich läuft es darauf hinaus, auf technisches Gerät, Strom und fließendes Wasser zu verzichten. Komposttoiletten einzurichten ist ganz wichtig für Anastasia-Anhänger, um einen Stoffkreislauf auf dem Grundstück zu haben.
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Siedler-Spaziergang in Grabow auf Wiese beim Frühlingsfest 2019 (Quelle: Lisa Wandt)Lisa Wandt
Anastasia-Bewegung in Brandenburg
Rechte Siedler hinter Hippie-Fassade
Vier von 17 Anastasia-Familienlandsitzen in Deutschland sind in Brandenburg. Sind die Brandenburger in der Regel froh, dass da überhaupt Menschen kommen oder gibt es auch Skeptiker?
Natürlich es gibt auch kritische Brandenburger. Das Problem ist tatsächlich, dass man - durch diese Öko-Fassade und dadurch, dass sich die Anhänger der Bewegung nach außen hin möglichst wenig politisch äußern - auf den ersten Blick leider nicht mitkriegt, was da tatsächlich passiert. Man muss ein kleines bisschen recherchieren und kritisch bohren. Dann merkt man, dass man auf bestimmte Fragen keine richtige Antwort bekommt oder vielleicht eine, die entsprechend politisch ausfällt.
Sind denn für Brandenburg noch mehr Familienlandsitze geplant?
Die Traumvorstellung von Anastasia ist, dass alle selbstversorgerisch auf Landsitzen leben. Denn dann wäre die Erde im allerbesten Zustand und wieder heile.
Der Alltag bestünde dann darin, dass man sein Feld umgräbt, Gemüse erntet und die Kuh melkt?
… die Kuh eher nicht. Denn Tiere zu nutzen ist für Anastasia ein großes Problem. Die Tiere müssen einem im Prinzip freiwillig was bringen. So ist es auch bei Anastasia in den Büchern. Wenn sie Hunger hat, hält sie nur die Hand auf und die Tiere des Waldes legen ihr freiwillig ein paar Nüsschen rein.
FRAGEN UND ANTWORTEN ZUR ANASTASIA-BEWEGUNG
WAS IST DIE ANASTASIA-BEWEGUNG UND WOHER KOMMT SIE?
Die Bewegung kommt aus Russland und basiert auf einer zehnbändigen Buchreihe des russischen Autors Wladimir Megre. Er berichtet in diesen Büchern von der fiktiven Begegnung mit einer Frau namens Anastasia. Sie ist eine erfundene Person - aber er beschreibt alles so, als wäre es real. Als wäre Anastasia echt. Das geht so weit, dass er sogar mit ihr ein Kind gezeugt haben will. Russland ist also der Ursprungsort dieser Bewegung und es gibt dementsprechend auch einige russische Gurus, die neben dem Autor wichtig sind.
GIBT ES ANTISEMITISMUS UND RASSISMUS IN DEN ANASTASIA-BÜCHERN?
WIE GROSS IST DIE VERBREITUNG VON ANASTASIA IN BRANDENBURG?
WIE WERDEN ANHÄNGER GEWONNEN?
HAT ANASTASIA KONTAKTE IN DIE RECHTE SZENE?
WELCHE RECHTE STRATEGIE BETREIBT ANASTASIA?
KANN ES ANHÄNGER GEBEN, DIE DIE POLITISCHE AUSRICHTUNG NICHT MERKEN?
WARUM FUNKTIONIERT DIESE HARMLOSE FASSADE VON ANASTASIA SO GUT?
Ist der strukturschwache Osten perfekt für Anastasia-Anhänger?
Leere Gegenden sind für sie optimal, weil sie fernab von jeder Zivilisation siedeln möchten. Je weiter weg Strom-, Wasser- und Gas-Anschlüsse sind, umso besser. Handymasten mögen sie auch nicht. Da es ganz leere Landstriche aber kaum gibt, versucht man, neben einem Dorf noch ein Dorf anzulegen oder - wie in Grabow - das Dorf stückweise zu übernehmen - indem man gezielt Leute reinholt auf verlassene Grundstücke.
Und da legt sich dann jeder einen See und einen Wald an?
Ja, das ist die Idee. Prinzipiell ist es so, dass der eigene Schweiß, der da auf dem Grundstück fließt, wichtig ist. Durch den Schweiß, den man einbringt, wird – so heißt es - das Gemüse informiert, das da wächst. Dieses weiß dann über meinen Körper Bescheid, kennt mich als Besitzer und bildet die Nährstoffe, die ich brauche. Dadurch ist es auch meine Medizin. Und wenn der Nachbar von meinem Grundstück was klaut, dann weiß das Gemüse, dass es geklaut wurde und bildet Stoffe, die es unbekömmlich machen. Freiwillig weitergeben ist was anderes – das mag das Gemüse.
Allein der Name Anastasia klingt ja eigentlich ziemlich albern…
Die harmlose Fassade ist Teil des Konzeptes.
Da ziehen sich die Mitglieder der Bewegung also tatsächlich absichtlich den Schafspelz über ihr Wolfsfell?
Es kommt darauf an, wie ideologisiert die jeweiligen Leute sind. In der Anastasia-Bewegung sind sehr viele Menschen. Ein Teil davon sucht tatsächlich nur für sich eine heile Welt. Denen ist die große Politik egal. Und dann gibt es Menschen wie Frank Ludwig, der von Rassenmischung spricht. Diese Leute verfolgen ganz klar politische Ziele und arbeiten mit nazistischen und neonazistischen Strukturen zusammen. Sie brauchen aber auch Masse in der Bewegung. Von daher sind die gar nicht so unglücklich, wenn Unpolitische dabei sind, die das alles auch zu hören bekommen, dann aber die Schultern zucken und sagen, dass sie diese radikalen Ansichten nicht teilen. Die sagen, es gehe doch vor allem um die Siedlung. Da wolle man sich nicht darum streiten, wer den Zweiten Weltkrieg angefangen habe.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24