Über das lukrative Geschäft mit falschen Presseausweisen (von unserer Klientel hat ja so ziemlich jeder einen), die Hintermänner und das Geschäftsmodell an sich.
Spoiler
Pressefreiheit: Betrug mit dem Journalistenausweis
Ein deutsches Netzwerk verkauft falsche Pressedokumente. Betrüger und Rechtsextreme profitieren davon. Die Masche ist legal, gefährdet aber die Demokratie.
Eine Analyse von Henrik Merker
12. Februar 2019, 16:21 Uhr
Pressefreiheit ist in der Demokratie ein hohes Gut. Um sie zu schützen, stellen Journalisten- und Verlegerverbände beglaubigte Presseausweise aus. Mit ihnen kommen Journalistinnen durch Polizeiabsperrungen, können Einsätze begleiten und stehen unter besonderem Schutz. Wer den Journalistenausweis hat, kann problemlos von Messen und Parteitagen berichten. Die Ausweise sollen eine freie Berichterstattung ermöglichen. Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz bürgt mit seiner Unterschrift dafür, dass nur seriöse Journalisten das Dokument erhalten.
Betrüger und Rechtsextreme versuchen, von diesen besonderen Rechten zu profitieren. Mit falschen Behauptungen und großen Versprechen verkaufen Geschäftemacher selbst gemachte Ausweise. Auf den Dokumenten steht in großen Lettern "Presseausweis" und das Design ähnelt dem Original. Zahlreiche Websites bieten solche falschen Dokumente an. Recherchen von ZEIT ONLINE haben ergeben, dass hinter all diesen Angeboten ein von drei Menschen aufgebautes Netzwerk steckt, das seit mehr als 15 Jahren das Geschäft mit den Fantasieausweisen organisiert.
"Holen Sie sich jetzt den begehrten VIP-Status der Pressebranche", heißt es auf einer der Seiten. Der Standardausweis kostet dort einmalig 127 Euro, dazu kommt ein Jahresbeitrag von 36 Euro. Andere Websites bieten eine "Ambassador"-Klasse für 197 Euro, drei Jahre soll das Dokument international gültig sein. Für 48 Euro pro Jahr und eine Ausstellungsgebühr von 117 Euro wird man von einem weiteren Unternehmen zur Journalistin gemacht. Zum Ausweis gibt es dort eine Pressefotografenkarte, zahlreiches Zubehör und ein Zertifikat mit blauer Ziermappe dazu.
All diese Plastikkarten sind wertlos. Als Nachweis journalistischer Arbeit wird hierzulande nur der von Presserat und Innenministerkonferenz beglaubigte Ausweis akzeptiert.
Falsche Presseausweise aus dem Internet
Das Geschäftsmodell erweckt den Eindruck, als gäbe es viele Wege zu einem Presseausweis und als würden verschiedene Anbieter miteinander um den besten konkurrieren. Doch bei den Nachforschungen zeigte sich, dass alle Anbieter letztlich zu drei Kapitalgesellschaften gehören: General News Service (GNS), Reichstein Research Group und Deutscher Verband der Pressejournalisten (DVPJ). Vor 16 Jahren haben drei Deutsche die Gesellschaften GNS und Reichstein Research in Florida gegründet. Der DVPJ entstand erst später aus einer größeren Aktiengesellschaft. Einer der drei Verantwortlichen ist bereits 2017 gestorben, der zweite sagt, er sei aus den Geschäften ausgestiegen. Der dritte Mann ist bis heute im Geschäft.
Hauptverantwortlich für DVPJ, GNS und Reichstein Research ist heute Rudolf Walter. Anscheinend versucht er, seine Identität zu verschleiern. Dorothee Riedel, die nicht unter ihrem richtigen Namen genannt werden will, kennt Walter seit Jahren persönlich. Sie sagt, dass Walter für seine Geschäfte verschiedene Vornamen benutze. Auf den Websites des Netzwerks gibt es Walter als Rudolf, Lorenz und Helmut. Unter den verschiedenen Namen verantwortet er Websites, Kapitalgesellschaften und Vereine, die zwielichtige Angebote rund um Journalismus verkaufen. Richtig heißt er laut einer Registerauskunft Rudolf Walter, er soll seinen Wohnsitz in einem Einfamilienhaus in Ingolstadt haben. Zu dem Grundstück am Rande Ingolstadts führen alle Verbindungen des Netzwerks. Alle Websites, Gesellschaften und Vereine sind dort registriert. Und auch Riedel geht davon aus, dass Walter dort wohnt.
Neben Walter war ein Ingolstädter Vermögensberater in das Netzwerk involviert. Dieter S. ist im Gegensatz zu Walter leicht zu finden, es gibt Fotos von ihm und Informationen zu seinem Beruf. Über Jahrzehnte arbeitete er für die Allfinanz, eine Zweigstelle der Deutschen Vermögensberatung. Bis März 2018 ist seine Tätigkeit für die Regionaldirektion in Ingolstadt dokumentiert. Auf eine Nachfrage zu seiner Rolle im Netzwerk antwortet S., er stehe in "keinerlei Geschäftsbeziehung zu Herrn Rudolf Walter". Für GNS und Reichstein Research war er bis 2006 als Direktor tätig, Geschäftsberichte aus den USA belegen das. Nach seinem Ausstieg als Direktor lief der Kontakt zum Netzwerk weiter. Für seine Arbeit wurde Dieter S. 2008 ausgezeichnet, er bekam einen Finanzberater-Award. Verliehen wurde ihm die Auszeichnung vom DVPJ.
Der angebliche Journalistenverband DVPJ ist ein wichtiger Teil des Handelsnetzwerks. Am DVPJ zeigt sich exemplarisch, wie die Betreiber arbeiten. Man sei eine Interessenvertretung für Journalisten, heißt es auf der Website, bei der jeder Interessierte Mitglied werden könne. Beide Aussagen stimmen so nicht. Der DVPJ ist keine Interessenvertretung für Presseleute, sondern eine profitorientierte Aktiengesellschaft (AG). Auch kann dort niemand Mitglied werden. Wer den sogenannten Mitgliedsantrag ausfüllt, schließt einen Nutzungsvertrag mit der Gesellschaft ab. Das steht zwar auch in den allgemeinen Geschäftsbedingungen, doch die liest Umfragen zufolge nicht einmal jeder Zehnte.
Die Aktiengesellschaft DVPJ wurde ursprünglich unter dem Namen Diligentia Hundertsechsundsiebzig Vermögensverwaltungs-AG gegründet. Dem Informationsportal North Data zufolge wurde der Name der Gesellschaft 2008 geändert – als Rudolf Walter zum Vorstand berufen wurde. Unter dem Namen Diligentia gibt es weitere Aktiengesellschaften, durchnummeriert bis Zweihundertzwanzig.
Neben der DVPJ AG wurde 2005 ein gleichnamiger Verein ins Leben gerufen, der im Lobbyregister des Bundestags steht. Nach eigenen Angaben will der Verein 12.400 Mitglieder vertreten. Über den Verein rühmt sich die AG angeblicher Verbindungen zum Bundestag. Zwar steht dieser Verein in der Lobbyliste des Deutschen Bundestages, aber dort kann sich jeder eintragen lassen. Geprüft werden die Angaben nicht. Claus Hinterleitner von der Bundestagsverwaltung sagt, Vertreter vom DVPJ seien noch nie offiziell im Bundestag gewesen.
Über die beiden Gesellschaften, GNS und Reichstein Research, werden bis heute neue Geschäftszweige registriert. So betreibt Reichstein Research vermeintliche Presseagenturen, die für Möchtegernjournalisten Tätigkeitsbestätigungen ausstellen. An prominenter Stelle verlinken die Websites auf GNS und DVPJ. Interessierte sollen dort die falschen Dokumente kaufen.
Wer den echten Presseausweis bekommen will, muss nachweisen, dass er hauptberuflich als Journalist arbeitet, er muss Arbeitsproben einreichen oder Bestätigungen von Redaktionen. Das Netzwerk liefert alles, um diese Beschränkung zu umgehen.
"Leider lässt sich der Begriff Presseausweis nicht schützen", sagt Hendrik Zörner vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV). Deshalb habe man als Verband auch keine Möglichkeit, juristisch gegen das Geschäft mit dem Presseausweis vorzugehen.
Betrüger und Rechtsextreme profitieren
Dabei sind die falschen Presseausweise ein Problem. Auf Demonstrationen und Veranstaltungen fallen Rechtsextreme mit Ausweisen der Organisationen DVPJ und GNS. auf. Sie geben sich als Journalistinnen aus, fotografieren und provozieren politische Gegner und werden von überforderten Polizisten an Absperrungen vorbeigelassen. So bewegten sich Rechtsextreme in Chemnitz mit den Ausweisen an Polizeiabsperrungen vorbei. Der Neonazi Sven L. aus Halle kam mit einem Presseausweis von GNS auf die Leipziger Buchmesse, dort provozierte er bei einer Protestkundgebung gegen rechte Verlage, bis Sicherheitsleute einschritten.
Auch in der Reichsbürger-Szene finden die Fake-Ausweise Verbreitung. In einem Video hält der selbst ernannte König von Deutschland, Peter Fitzek, seine DVPJ-Dokumente in die Kamera. Zuletzt traten Reichsbürger vor dem Bundestag auf – unter ihnen vermeintliche Journalisten mit falschen Pressedokumenten vom Netzwerk.
2017 versuchte ein Schweizer Ex-Politiker, mit dem gekauften DVPJ-Equipment gratis in Fußballstadien zu kommen. Er scheiterte dabei am Pressesprecher und den Mitarbeitern vom Sicherheitsdienst. Doch oft genug scheint die Masche zu funktionieren.
Mit den Dokumenten ist auch das Versprechen enormer Rabatte verbunden. Wird man Mitglied, winken angeblich bis zu 34 Prozent Nachlass beim Kauf eines Luxusautos von Porsche oder Maserati. Mit der umstrittenen Advanzia Bank macht das Netzwerk ebenfalls Geschäfte. Advanzia ist dafür bekannt, eine Kreditkarte mit hohen Verzugszinsen von über 19 Prozent anzubieten. Die Kreditkarte bekommen Käufer zum Presseausweis dazu. Von DVPJ, GNS und Reichstein Research profitieren offenbar auch Versicherungsmakler. Als Nutzerin des Presseausweises soll man eine Beratung in Anspruch nehmen und sich über die Partner der Gesellschaften versichern lassen, werben die Websites.
Wie groß der wirtschaftliche Schaden durch die falschen Presseausweise ist, lässt sich kaum ermitteln. Ein Schaden für die Demokratie aber sind sie bestimmt. Die falschen Ausweise entwerten das Original und gefährden Berichterstatterinnen.
Übrigens sind die sogenannten Presserabatte in den meisten deutschen Redaktionen nicht gern gesehen. Auf Nachfrage schreiben mehrere große Verlage, dass bei ihnen die private Nutzung von Presserabatten als Vorteilsnahme untersagt ist. Auch bei ZEIT ONLINE dürfen Journalisten keine solchen Rabatte in Anspruch nehmen.