Ein schöner Artikel über das zwischenzeitlich ja geschlossene Viethaus. Leider werden Stoll, Mario und der Rest der Truppe nur am Rande erwähnt.
Spoiler
Beim BR macht man sich Gedanken um das Grundgesetz. Da scheint ein äußerst fähiger Journalist tätig zu sein.
14.01.2019, 13:35 Uhr
Was das Grundgesetz eher braucht als Updates
70 Jahre wird das Grundgesetz dieses Jahr – und fast jede Partei oder Initiative hat Verbesserungsvorschläge. Gerade angesichts der Digitalisierung könnte es tatsächlich ein Update gebrauchen. Wichtiger wäre aber etwas anderes.
Seit fast 70 Jahren gibt es das Grundgesetz nun schon, und genauso lang wird daran herumgezupft und manchmal auch richtig gezerrt. Die Grünen wollen den Klimaschutz ins Grundgesetz aufnehmen, die SPD Kinderrechte, Tierschützer Tierrechte, die FDP eine "Schuldenbremse 2.0", die identitäre Bewegung den "Erhalt der ethnokulturellen Identität" und der Verein der Deutschen Sprache will als Verfassungs-Update on top Deutsch als Staatssprache implementen. Viele fordern mehr direkte Demokratie im Grundgesetz, darunter auch Die Linke, die zudem noch das Recht auf Bildung, das Recht auf politische Streiks, das Recht auf gesundheitliche Leistungen und das Recht auf Arbeit ins Grundgesetz schreiben möchte. In Bezug auf das Grundgesetz, da wird eben gerne mal Bims gefordert und natürlich auch mal Bums, mal soll Kultur zum Staatsziel erhoben werden und dann wieder Sport.
Forderungen nach Updates in Sachen Diskriminierung
Die AfD möchte Artikel 4 ändern, der die "ungestörte Religionsausübung gewährleistet". Anti-Rassisten wiederum möchten, dass in Artikel 3, in dem es heißt, dass niemand wegen "seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt" werden darf, das Wörtchen "Rasse" verschwindet, das sei nämlich selbst rassistisch. Und Schwulen und Lesben-Aktivisten möchten, dass in die Liste möglicher Diskriminierungstatbestände auch die Diskriminierung aufgrund der "sexuellen und geschlechtlichen Identität" aufgenommen wird.
Überhaupt die Sprache: Reichsbürger beispielsweise finden, dass im Grundgesetz das Wort "Geschäft" zu oft vorkomme. Immer wieder ist von einer "Geschäftsordnung" die Rede oder von "Geschäftsbereich", und über den Bundesrat heißt es in Artikel 53, er sei von der Bundesregierung über die Führung der "Geschäfte" auf dem Laufenden zu halten. Ganze 13 Mal findet sich das Wort "Geschäft" im Grundgesetz, für Reichsbürger ein untrügliches Indiz dafür, dass Deutschland in Wirklichkeit keine Bundesrepublik ist, sondern eine GmbH.
Andere stören sich daran, dass manche Artikel zu wolkig formuliert sind und nicht so recht klar ist, was überhaupt gemeint ist. Nehmen wir nur mal den berühmten Artikel 1: "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Anders, als vielleicht der ein oder andere Fußballpräsident glauben mag, garantiert dieser Paragraf heute vor allem ein gewisses Existenzminimum, ist also mehr oder weniger zu einem sozialen Grundrecht mutiert.
Charta der digitalen Grundrechte in Arbeit
Das Grundgesetz lässt eben vieles offen, es ist wie ein Gefäß, das mit Inhalt gefüllt wird. Genau diese Flexibilität war eigentlich immer eine Stärke des Grundgesetzes. Unsere Verfassung ist zwar in bestimmten Punkten durchaus deutlich und unnachgiebig, in vielem unterliegt sie aber der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts. Die Karlsruher Richter haben sogar schon ganz neue Grundrechte geschaffen, um auf technologische oder gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren, die die Mütter und Väter des Grundgesetzes nicht vorhersehen konnten. 2008 etwa entstand das "Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme", womit die Richter für den Zugriff des Staates auf beispielsweise Emails oder Chats hohe rechtliche Hürden definierten.
Die Digitalisierung stellt das Recht allgemein, aber natürlich auch das Grundgesetz im Besonderen vor neue Herausforderungen. Auf europäischer Ebene wird seit 2016 an einer Charta der digitalen Grundrechte gearbeitet. Hier werden die Teilhabe an der digitalen Sphäre gefordert aber auch betont, dass die Menschenwürde im Zeitalter der Digitalisierung ganz neuen Gefahren ausgesetzt sei, etwa durch Big Data oder Massenüberwachung, aber auch durch die Machtkonzentration bei privaten Unternehmen. Die Charta richtet sich ausdrücklich nicht nur an staatliche Stellen sondern auch an private. Grundrechte in der digitalen Gesellschaft können eben nicht mehr nur klassische Abwehrrechte gegen den Staat sein, sondern müssen den Bürger auch vor Privatunternehmen schützen. Übrigens: Laut dem Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freie Wähler sollen "digitale Rechte und digitale Teilhabe" auch in der Bayerischen Verfassung verankert werden.
Vielleicht könnte sich die Politik von solchen Initiativen ein klein wenig inspirieren lassen für ein Grundgesetz 2.0. Wichtiger wäre aber etwas anderes: Zu oft musste der Gesetzgeber in den letzten Jahren aus Karlsruhe zurückgepfiffen werden, weil Gesetze nicht grundgesetzkonform waren. Wichtiger als die Dauerdiskussionen darüber, was noch alles mit ins Grundgesetz gehört, wäre also: Sich endlich einmal daran zu halten.