In der Tat könnten die tatsächlich so denken. Mir fällt es nicht leicht, mich in diese Denke hineinzuversetzen, aber Dir scheint das zu gelingen.
Spoiler
Tom W.: "Heil Hitler!"
Rainer S.: "Jo, Sieg Heil, mein Freund. Du, pass mal off, wir haben jetzt ... so 40 Mann hier am Busbahnhof, und ungefähr 20, 30 Mann sind noch im Anmarsch. Die Zecken (Szene-Jargon für alternative oder linksorientierte Jugendliche und Punks - Anm. d. Red.) sind jetzt vor allem noch in der Stadt. ... Da warten jetzt welche am Ortsausgang, die wollen die Autos abfangen."
Tom W.: "Wie sieht's denn mit Bewaffnung aus?"
Rainer S.: "Wir ham jetzt erst mal rausgekramt, was wir noch da ham. Was die Bullen nich' gefunden ham. Paar Knarren ham wir."
Tom W.: "Ich hab och noch paar Knarren. Ich komm mit. Ich ruf noch paar Leute an, ich denk mal, 60 Mann kriegen wir zusammen. Die Leute, die mir kriegen, die treten wir zusammen, und vielleicht könn' wir paar Schuss in die Beene setzen."
Rainer S.: "... Wir ham och noch bissel was vom Bauhof mitgebracht, paar Werkzeuge."
Tom W.: "Ja und das Zeug, das wir im Kühlschrank versteckt hatten. Klar, die Schweine knalln wir ab."
Abgeknallt wurde damals niemand. Doch verbreiteten die Kameradschaft "Sturm 34" und ihr Vorläufer "Division Sächsischer Sturm" ab 2004 noch bis in die Zeit nach ihrem Verbot von einem Hauptquartier am Mittweidaer Bauhof aus Angst und Schrecken. In Schlägertrupps trat die Gruppe in Erscheinung, im Stil einer gleichnamigen örtlichen SA-Truppe der Nazi-Zeit. Sie zog aus, im Chemnitzer Land "national befreite Zonen" zu schaffen, "zeckenfrei und braun", wie Mitglieder sagten. Stadtpatrouillen gab es und Überfälle auf Jugendklubs, arglose Camper sowie ein Dorffest, generalstabsmäßig geplant. Den Kern der Gruppe bildeten etwa 30 Neonazis. Zum Umfeld zählten die Ermittler rund 150 schnell mobilisierbare Rechtsextreme.
Nach dem Verbot wurden Mitglieder in verschiedenen Prozessen belangt, soweit man ihnen Beteiligung an einzelnen Überfällen nachweisen konnte. Dass es sich bei "Sturm 34" um eine Bande handelte, im Justizjargon um eine kriminelle Vereinigung mit einem von allen getragenen Gruppenwillen, das sahen Richter am Landgericht Dresden zunächst nicht so. Anders als später der Bundesgerichtshof. Dessen Staatsschutzsenat hob die ersten Urteile gegen die fünf Rädelsführer der Gruppe 2009 auf und verlangte einen neuen Prozess. Dabei sei sehr wohl das Bestehen einer kriminellen Vereinigung zu erwägen, für deren Taten jedes Mitglied Verantwortung trage.
Zum zweiten Prozess in Dresden kam es erst 2012. Zwar wurde die kriminelle Vereinigung da bestätigt, die fünf als Anstifter Angeklagten jedoch - allen voran Tom W. - kamen mit Bewährung davon: Strafrabatt wegen der langen Leitung der Dresdner Justiz. Die sei nicht den Angeklagten anzulasten, hatten die Verteidiger betont, als sie Milde forderten. Auch sah die Jugendgerichtshilfe bei keinem der Angeklagten mehr "schädliche Neigungen". Sozialprognose positiv! Hatte Tom W. wegen einiger seiner Überfälle zuvor über ein Jahr absitzen müssen, kam er wegen der Bandengründung mit zwei Jahren auf Bewährung davon. Dass bei ihm auch nach seiner Haft noch ein Angriff auf ein Polizeifahrzeug aktenkundig geworden war, machte niemanden stutzig.
Auch bei dem aus Chemnitz stammenden Rädelsführer Nico T. wurde die gute Sozialprognose nicht hinterfragt. Der damals 23-Jährige, der für "Sturm 34" und eine zugehörige Rechtsrockband Hetzlieder getextet hatte, bekam ein Jahr und drei Monate - auf Bewährung. Um nur zwei Jahre später wieder aufzufallen. In der Verfügung des Verbots der Kameradschaft "Nationale Sozialisten Chemnitz" (NSC) tauchte Nico T.s Name erneut als einer der 14 Rädelsführer auf. Aus dem Kreis der NSC gab es Verbindungen zum Unterstützer-Netz des "Nationalsozialistischen Untergrundes" (NSU).
Und nicht nur ins NSU-Umfeld reichten Kontakte. Auch hatte die Kameradschaft NSC zu einer Facebook-Gruppe namens "Revolution-Chemnitz-ANW" Verbindung (das Kürzel ANW steht für "Alternativer Nationaler Widerstand"). Die damals noch nicht identifizierten Betreiber der Facebook-Gruppe warben "mit besonders aggressiver Wortwahl" für Aktionen der Nationalen Sozialisten und für die Volkstod-Kampagne, wie die NSC-Verbotsverfügung 2014 festhielt. Inzwischen gilt die damalige Facebook-Gruppe Ermittlern als Vorläufer der aktuell unter Terrorismus-Verdacht stehenden Chat-Gruppe "Revolution Chemnitz", deren Mitglieder und Anhänger man Anfang Oktober nach Ermittlungen der Bundesanwaltschaft auf Beschluss des Bundesgerichtshofs in Haft nahm.
Da sind der 28-jährige Sten E. aus Nossen, der bei Facebook seine Nähe zur Fanszene von Dynamo Dresden ebenso betont wie zur Neonazi-Bewegung "Autonome Nationalisten", Martin H. (20) aus Flöha, der öffentlich schon mal als Fahnenträger der Neonazi-Partei "Der Dritte Weg" in Pose tritt, Marcel W. (30), der Rechtsrockfestivals frequentiert wie das im thüringischen Themar, und Sven W. (27), der mit Schwarze-Sonne-Tattoo am Arm seine Huldigung für die SS zur Schau trägt. Hardy Christopher W. (28) hält die Bundesanwaltschaft zwar nicht für ein Mitglied der Gruppe, aber für einen Helfer. Auch er ging in Haft. Ebenso wie Maximilian V. (28), dessen Freundesliste bei Facebook sich liest wie ein Who-is-who der rechtsextremen Kameradschafts- und Parteiszene, mit mehreren Ex-NPD-Landtagsabgeordneten, einem früheren NPD-Bundesvorsitzenden, dem Gründer der 2001 verbotenen Kameradschaft "Skinheads Sächsische Schweiz" und gleich mehreren Kontakten zum früheren "Sturm 34"-Kern.
Letzteres ist wohl kein Wunder, denn der eingangs beschriebene "Sturm 34"-Chef Tom W., inzwischen 30 Jahre alt, gehört auch zum Kreis der am 1. Oktober in Haft Genommenen. Als Kopf der Gruppe "Revolution Chemnitz", in der die Bundesanwaltschaft eine "rechtsterroristische Vereinigung" ausmacht, schätzt man Tom W. diesmal aber nicht ein.
Als Wortführer der aktuellen Gruppe trat der 31-jährige Chemnitzer Christian K. auf. Dieser sitzt bereits seit Mitte September 2018 in Haft, seit er mit Sten E., Martin H., Marcel W., Sven W. und rund zehn weiteren offenbar nicht aus der Chat-Gruppe stammenden Personen auf der Insel im Chemnitzer Schlossteich junge Leute teils ausländischer Herkunft angriff. Seine Gruppe gebärdete sich als Streife laufende Bürgerwehr, wollte Ausweise kontrollieren, wurde handgreiflich. Ein junger Mann aus dem Iran wurde verletzt. Bewaffnet war die Gruppe mit einem Elektroschockgerät, mit Flaschen und taktischen Handschuhen, wie manche Spezialeinsatzkräfte sie tragen. Es handelt sich um Lederhandschuhe mit Quarzsand-Polsterung. Diese verteilt beim Zuschlagen die Energie und schützt die Hand. Dasselbe Utensil gehörte schon zum Arsenal der Sturm-34-Patrouillengänger. Auf der Schlossteich-Insel wurden am 14. September sechs Leute festgenommen. Christian K. ging prompt in U-Haft, da er unter Bewährung stand. Sein Strafregister reicht fast so weit zurück, wie das von Tom W. Vor 13 Jahren hatte auch Christian K. Sturm-34-Kontakte, wenngleich man ihn nicht zum harten Kern der Gruppe zählte. Sein Name tauchte als Beschuldigter bei einem überfallartigen Einbruchsversuch auf.
Dafür scheint er seither Kontakte in andere Netzwerke geknüpft zu haben. Eine der jüngsten Adressen, unter denen er gemeldet war, stand in Verbindung mit dem früheren Betreiber des Chemnitzer Rechtsrock-Labels "PC Records". Unter dessen Regie wurde im Jahr 2010, also noch vor Auffliegen des NSU, eine CD mit dem NSU-Opfer verhöhnenden Lied "Döner-Killer" produziert. Den "Nationalsozialistischen Untergrund" selbst bezeichnete Christian K. allerdings im Chat als "Kindergartenvorschulgruppe", wie die Wochenzeitung "die Zeit" berichtete. Sie konnte Chat-Protokolle einsehen.
Angesichts der zehn Morde und drei Sprengstoffanschläge, die man dem NSU zuschreibt, wird man Christian K.s verniedlichendes Urteil bei der Bundesanwaltschaft kaum teilen. Allerdings scheinen die NSU-Ankläger, die jetzt den neuen Terror-Verdächtigen auf den Zahn fühlen, hinter den Chat-Einträgen mehr als nur Großmäuligkeit zu sehen. Auch wenn bei "Revolution Chemnitz" außer den Schlossteich-Attacken bisher keine Überfälle bekannt sind, sollten diese Angriffe ein "Probelauf" für ein groß angelegtes Geschehen sein. Laut Bundesanwaltschaft war das für den 3. Oktober geplant. Razzien mit über 100 Beamten samt Festnahmen in Sachsen und Bayern unterbanden den Spuk. Ob die Anschläge auf ausländische Lokale, die seither in Chemnitz stattfanden, mit dem Umfeld der Gruppe zu tun haben, ist unklar.
Gegründet hatte Christian K. die Gruppe offenbar im Zuge der Proteste nach dem Tod eines Deutschkubaners in Chemnitz. Am Stadtfest-Wochenende in der Nacht des 26. August war dieser erstochen worden, mutmaßlich von irakischen oder syrischen Verdächtigen. Obwohl die Hintergründe des Vorfalls noch ungeklärt sind, verstanden die rechtspopulistische Bewegung Pro Chemnitz und die AfD es, die zuvor im Internet mit - soviel ist klar - bewusst falscher Darstellung des Tathergangs pogromartig aufgeheizte Stimmung für sich zu vereinnahmen. Bei den seither laufenden Demonstrationen wurden Tom W., Marcel W. und Christian K. gemeinsam gesichtet und fotografiert.
"Spätestens am 11. September 2018" schlossen sich die Beschuldigten dann laut Bundesanwaltschaft zur Gruppe "Revolution Chemnitz" zusammen - über den Messengerdienst Telegram. Rechtsextremer Gesinnung entsprechend, richteten sie ihr "revolutionäres" Ziel auf die "Überwindung des demokratischen Rechtsstaates". Auf Ausländer sollen sie gewalttätige Angriffe und bewaffnete Anschläge geplant haben und auf politisch Andersdenkende, zu denen laut Chat-Einträgen wie "Merkel-Zombies" und "Mediendiktatur und ihre Sklaven" Politiker und Journalisten zählten. Man kopierte den "Taten-statt-Worte"-Duktus des NSU. "Es ist an der Zeit, nicht nur Worte sprechen zu lassen, sondern auch Taten", stand im Chat.
Ob man bei den Razzien Listen mit Namen oder Anschlagszielen fand, immerhin sind "Schwarze Listen" in der Szene verbreitet, darüber macht die Bundesanwaltschaft auf Anfrage keine Angaben.
Klar scheint, dass sich die Gruppe anschickte, Schusswaffen zu besorgen. Bevorzugte Fabrikate wurden genannt: eine Walther P 99 oder eine Heckler & Koch SFP9M, wie sie von Spezialeinheiten genutzt wird. Über den hohen Preis von 800 Euro wurde beraten. "Preis mache ich nicht, gebe ich nur so weiter", schrieb laut der "Zeit" Tom W. Wenn die Bundesanwaltschaft ihn auch nicht als Rädelsführer sieht, so scheint er demnach mit der Waffenbeschaffung betraut gewesen zu sein. Angesichts des hohen Preises soll Tom W. argumentiert haben, immerhin sei dafür eine echte Pistole drin, nicht nur eine aufgebohrte Schreckschusswaffe.
Dass frei käufliche Schreckschusswaffen in aufgebohrtem Zustand ebenso tödliche Wirkung entfalten können, zeigte der NSU-Fall. Aufs erste Mordopfer gaben die Täter neun Schüsse ab. Sechs aus der Ceska-Pistole, die der Mordserie ihren Namen gab, drei aus einer umgebauten Schreckschusswaffe vom Typ Bruni. Der einzig tödliche Schuss beim ersten Mord stammte aus dieser umgebauten Waffe. Während der Razzien bei "Revolution Chemnitz" wurde neben Schlagwaffen und Pfefferspray angeblich nur ein Luftgewehr gefunden. Nicht überliefert ist, ob die Ermittler auch Tom W.s Gefrierfach inspizierten.