Wieder mal zwei Vorzeigedeutsche.
Das Strafmaß wird schon angemessen sein, nur frage ich mich, was soll bei einer Verurteilung nach drei Jahren da noch an pädagogischer Wirkung bleiben?
Spoiler
Rudolstadt/Saalfeld. Als Mario Thomas am 23. April mitten im Industriegebiet Rudolstadt-Schwarza aufschlug, schwante ihm schon nichts Gutes. Vor dem Ausweichquartier des Amtsgerichtes in einem schmucklosen Plattenbau protestierten ein Dutzend junger Menschen gegen rechte Gewalt. In einer „sitzungspolizeilichen Anordnung“ beschrieb Richter Andreas Spahn auf zehn Seiten, wie der ordnungsgemäße Ablauf der Hauptverhandlung gewährleistet werden soll. Vor dem und im Gebäude wimmelte es nur so vor Polizei, die ersten beiden Reihen im Saal 1 waren für Pressevertreter reserviert.
Dabei war der smarte Anwalt aus Leipzig nur mal eben eingeflogen, um seinen Mandanten Christian L. vor einer Haftstrafe zu bewahren, dem bei einer Demonstration drei Jahre zuvor in Saalfeld ein bisschen die Hand ausgerutscht war.
Mal wieder, muss man nach Verlesen des Vorstrafenregisters der beiden Angeklagten sagen. Schon 2009 war L. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Gemeinsam mit anderen Neonazis hatte er in Dresden einen Fotografen aus Tschechien zusammengeschlagen, der ihnen bei seiner Arbeit zu nahe gekommen war. Später verprügelte er – wieder in der Gruppe – den Zeugen eines Gerichtsverfahrens. Die jüngste Verurteilung erfolgte wegen des Besitzes eines Schlagringes.
Der mitangeklagte Andreas M. stand L. in dieser Hinsicht kaum nach. Der heute 33-Jährige hat bereits Hafterfahrungen. Unter anderem verbrachte er eine Silvesternacht damit, zum „Sieg-Heil-Rufen“ den Hitlergruß zu zeigen und anschließend einen Schwarzafrikaner ins Krankenhaus zu prügeln.
Zeugin aus der rechten Szene sagt vor Gericht aus
In Saalfeld kamen beide Rechtsextremisten am Vormittag des 1. Mai 2015 mit dem Zug an. Und mit Verspätung. Denn der Aufzug der Partei „Der dritte Weg“ sollte eigentlich bereits begonnen haben. „Wir haben angerufen und unsere Verspätung angekündigt“, schilderte gestern eine Zeugin, die zur „Reisegruppe 44“ aus Dresden gehörte. Als man am Bahnhof ausstieg, sei da niemand gewesen. „Keine Polizei, keine Zivilisten, niemand“, so die 28-Jährige, die sich gerade selbst vor dem Landgericht Dresden wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung verantworten muss. Unbehelligt sei die Gruppe über die Saalebrücke Richtung Innenstadt gelaufen, als ihr in der Saalstraße „drei Linke mit bunten Haaren“ entgegen kamen. Dann sei alles sehr schnell gegangen. „Ein paar von uns sind auf die drauf.“ L. sei an der Auseinandersetzung beteiligt gewesen, wer genau zugetreten habe, könne sie nicht sagen. Erst als jemand aus dem Fenster schrie, habe man von den Punkern abgelassen und sei weitergezogen. Sie habe sich gewundert, dass die Polizei, die sie auf dem weiteren Weg begleitete, die Gruppe weder auf den Vorfall ansprach, noch die Personalien erhob.
Nach Neonazi-Angriff in Saalfeld: Verbindung zu Dresdner Kameradschaft
Reizgas-Einsatz aus „Überlastung“ und „Versehen“: Bericht zu 1. Mai-Demo in Saalfeld
Neonazi-Angriff am 1. Mai in Saalfeld: 2 Verdächtige angeklagt - 25 Personen bleiben straffrei
Nachdem am ersten Verhandlungstag die Opfer und ein Polizeibeamter als Zeugen gehört wurden, wurde gestern eine Saalfelderin in den Zeugenstand gerufen, die womöglich Schlimmeres verhindert hat. Die 43-Jährige, die durch den Lärm unter ihrem Fenster aufmerksam wurde, berichtete von einer massiven Attacke der Neonazis, die zu fünft auf einen Punker eintraten. „Ich hatte das Gefühl, wenn ich jetzt nichts mache, endet es böse“, sagte sie vor Gericht. Deshalb schrie sie aus dem Fenster „Verpisst euch!“
Vervollständigt wurde die Beweisaufnahme durch ein Gutachten des LKA Thüringen, in dem per DNA-Test nachgewiesen wird, dass das Büschel Haare, das einer der Punker nach der Auseinandersetzung in seiner Hand hielt, Barthaare des Angeklagten M. waren.
In Würdigung aller Zeugenaussagen und Beweismittel zeigte sich das Gericht, zu dem neben Richter Andreas Spahn auch zwei Schöffen gehörten, überzeugt, dass es sich bei dem Überfall auf die Punker am 1. Mai 2015 um eine gefährliche Körperverletzung handelte.
Es verurteilte Christian L., bei dem noch eine versuchte Körperverletzung gegen einen Polizeibeamten am selben Tag in der Sonneberger Straße hinzukommt, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Auch Andreas M. muss abermals hinter Gitter. Für den Vorfall in der Saalstraße hielt das Gericht zwei Jahre und sechs Monate für angemessen.
Die Anwälte beider Angeklagten kündigten noch im Gerichtssaal Rechtsmittel an.
Vier Sichten auf einen Fall:
Der Staatsanwalt
Staatsanwalt Martin Zschächner hielt die gemeinschaftlich begangene gefährliche Körperverletzung für erwiesen. Er forderte für die mehrfach einschlägig vorbestraften Angeklagten Haftstrafen von zwei Jahren und drei Monaten (Christian L.) beziehungsweise einem Jahr und zehn Monaten (Andreas M.). Die Nebenkläger hielten dies für zu niedrig bemessen.
Die Verteidigerin
Rechtsanwältin Susanna Weber erkannte keine strafbare Handlung ihres Mandanten Andreas M. und beantragte folgerichtig Freispruch. Der 33-Jährige sei bei der Demonstration am 1. Mai 2015 in Saalfeld in eine Auseinandersetzung hineingeraten, bei dem ihm ein Büschel Haare herausgerissen wurden. Es gebe keinen Nachweis, dass M. geschlagen oder getreten habe.
Der Verteidiger
Mario Thomas räumte ein, dass sein Mandant einen der Punker geschlagen und später eine Holzstange gegen einen Polizeibeamten erhoben habe. Die beiden Taten seien mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten zu ahnden, ausgesetzt zur Bewährung, denn Christian L. weise eine positive Kriminal- und Sozialprognose auf. Der 28-Jährige wird demnächst Vater.
Der Richter
Andreas Spahn sah in seiner Urteilsbegründung keine mildernden Umstände für einen der Angeklagten. L., den er zu den Rädelsführern der Aktion zählt, habe mit seinem Faustschlag das Signal zum Angriff auf die Gruppe der Punker gegeben. Das Urteil: drei Jahre und neun Monate Haft für Christian L, zwei Jahre und sechs Monate für Andreas M. – jeweils ohne Bewährung.