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Ostsachsen.TV
Was soll diese Differenzierung, die schon nach Rechtfertigung klingt? Der Redaktion ist offenkundig bereits bewusst, dass sie mit ihrem Interviewpartner eine Grenze überschreitet. 40 Minuten lang interviewt David Vandeven einen Kader der rechtsextremen “Identitären Bewegung Bautzen”, Maximilian Thorn, gibt ihm also eine Bühne und normalisiert seine Ideologie, als wäre sie demokratisch und verhandelbar.
Es ist auch nicht das erste Mal, dass Rechtsaußen-Akteure hier Raum erhalten, sich zu entfalten: 2018 interviewte Vandeven etwa auf der Buchmesse den neu-rechten Publikzisten Jürgen Elsässer („Compact-Magazin“). In diesem Jahr waren bereits der rechtsextreme „Reichsbürger“ Peter Fitzek, der sich „König von Deutschland“ nennt, zu Gast, und zuletzt nahm AfD-Sachsen-Chef Jörg Urban auf Vandevens Sofa Platz – und „Ostsachsen.tv“ freut sich auf seinem Facebook-Kanal: „Sommertalk mit Jörg Urban in Bautzen bei Ostsachsen TV. Volles Haus mit vielen Medienpartnern, Bild, PI News, Arte, MDR, DPA und einigen anderen Gästen. Es war mal echt was los bei uns.“ Über die Person des islamfeindlich-rechtsradikalen Desinformations-Internetmediums „PI News“ wurde sich dabei offenkundig genauso gefreut wie über die Journalist*innen von Medien, die professionell und gemäß journalistischen Standards arbeiten.
Ostsachsen.TV wird nach eigenen Angaben teilfinanziert durch den Bautzender Bauunternehmer Jörg Drews („Hentschke Bau“). Der möge „unzensierte Nachrichten“ (vgl. NDR). Drews kandidiert gemeinsam mit Ostsachsen-TV-Chef David Vendeven für ein Bautzner Bürgerbündnis im Stadtrat. Der „Zeit“ sagt Vendeven dazu: „Uns eint die Heimatliebe. Bei der multikulturellen Ausrichtung der Gesellschaft sind wir allerdings verschiedener Meinung. Ich denke, es tut der Gesellschaft gut, dieser Entwicklung nicht nur ablehnend gegenüberzustehen. Außerdem bin ich kein Nationalist.“
Der IB-Gesprächspartner Maximilian Thorn
Sein Gesprächspartner Maximilian Thorn tritt als Aktivist der „Identitären Bewegung Bautzen“ auf und hat als solcher zumindest eine lokale Berühmtheit erlangt – spätestens, seit er am 17. Juni 2019 bei „Pegida“ in Dresden als Redner auf der Bühne stand und die Polizei nach seiner Rede wegen des Verdachts der Volksverhetzung ermittelt. Thorn hatte hier Rassismus und Islamfeindlichkeit verbreitet und am Ende seiner Rede in die Menge gerufen: „Es ist Jagdzeit.“ (vgl. Sächsische Zeitung). Das klang in Wirklichkeit weniger harmlos als geschrieben:
Der 21-jährige Bauwesen-Student war in Bautzen zuvor bei der flüchtlingsfeindlich-rechtspopulistischen Gruppierung „Wir sind Deutschland“ (WsD) aktiv und pflegt Kontakte zum flüchtlingsfeindlichen „Verein Mündige Bürger“ in Bautzen und tritt als IB-Aktivist seit Gründung der Ortsgruppe „IB Bautzen“ seit 2017 auf.
Das Interview
Erstaunlich ist das Interview, dass aus dieser Grundkonstellation entsteht. Offenbar nimmt Maximilian Thorn „Ostsachen.tv“ als der IB gewogen genug wahr, um die Chance zur Publikumsindoktriantion zu nutzen und sehr zutraulich über seinen politischen Werdegang und seine Ideologie zu sprechen. Interviewer David Vandeven verwendet zwar manchmal rechts konnotierte Sprache, interviewt aber andererseits inhaltlich sachlich und hart, und lässt Thorn wenig Ausflüchte durchgehen.
Der Einstieg
Wie werden Menschen Teil einer rechtsextremen Gruppierung? Neben der inhaltlichen Nähe, die sich bereits aus Thorns Aktivitäten im Vorfeld der IB erkennen lässt, war für Maximilian Thorn „YouTube“ der Katalysator der Ideologie: „Ich war auf einem Dorffest und ein Freund von mir hat mir die Bewegung ans Herz gelegt. Da gibt es so einen sympathischen, charismatischen Menschen aus Wien, der macht immer Videos, und dann hat er mir so das Zeichen gezeigt und die Klamotten von ‘Phalanx Europa ‘und mich so heiß gemacht auf die ganze Sache. Ich hab mir dann bestimmt ein Jahr lang die Videos vom Sellner angeguckt (…). Er war immer eine der Gallionsfiguren der Bewegung im deutschsprachigen Raum (…) Er hat damals 2012, 2013 so genannte V-Logs gemacht und die identitäre Idee erklärt. (…) Das habe ich mir lange angehört und dann habe ich mir gesagt, ja, das will ich auch, ich will aktiv sein und den großen Austausch verhindern.“ (zur Verschwörungserzählung des „Großen Austauschs“ siehe BTN). Auch die Art der Mitgliederbindung beschreibt Thorn: Man habe dann mit einer Gruppe Freunde die IB in Dresden besucht und „Pegida“, und dann wären IBler aus Dresden nach Bautzen gekommen und hätten die Gründung der Ortsgruppe verkündet, ohne dass die Bautzener davon wussten: „Da waren wir ganz schön überrascht.“ Dann hätte sich aber „nach Anlaufschwierigkeiten“ eine Gruppe gegründet. Sie gilt mittlerweile als eine der aktivsten in Deutschland.
Die „bösen“ Themen
Der erste Seitenhieb des Interviewers kommt schon früh im Gespräch, als Thorn davon spricht: „Ich geh auf die Straße, mache Aktionen (…) es ist auch viel im Hintergrund zu tun, man telefoniert rum, man muss Leuten hinterher rennen…“. Zwischenfrage Vandeven: „Im Sinne von ‘Ich brauch Informationen’? Oder wir hatten ja auch die Flüchtlingsjagd in Bautzen“? – Thorn reagiert überrumpelt: „Natürlich nicht! Wir rennen doch nicht Flüchtlingen hinterher…“
Vandeven fragt auch nach der Unterstützung des Christchurch-Attentäters für Martin Sellner und den Ermittlungen gegen die IB in Österreich. Hier muss Maximilian Thorn nun tief in die Rhetorik-Kiste greifen, aber er hat seine IB-Lektionen gelernt: Der habe natürlich mit der IB nichts am Hut, nein, er habe ihr sogar schaden wollen: „Wenn man sein Manifest […] anguckt, er war gewaltbereit eingestellt, er war gegen friedliche Gruppierungen, er wollte die zerschlagen, weil er fand, das bringt alles nichts, wir brauchen einen Umsturz – er hat an Sellner gespendet, um uns da mit reinzuziehen, uns das mediale Problem aufzubürden, um dem friedlichen Widerstand zu schaden.“
Diese Sicht verbreitet die IB exklusiv: Der Attentäter hatte Kontakt zu mehreren IB-Aktivisten in Österreich und Frankreich, spendete Geld und berief sich auf das gleiche Grundkonzept des „Großen Austausches“ (vgl. BTN).
„Friedlich“ bleibt Maximilian Thorns Lieblingswort. Wenn er über IB-Social-Media-Aktivitäten spricht, klingt das so: „Wir wollen doch nur das linksliberal dominierte Meinungsspektrum erweitern um eine patriotische Stimme!“ So rührend geht es weiter zum Thema Nationalsozialismus: „Das ist uns völlig fremd! Wir sind keine Nationalsozialisten, wir sind nicht mal Nationalisten!“
Aber dann kommt das Gespräch auf den „Großen Austausch“ und Maximilian Thorn nutzt Endzeit-Bilder und Bürgerkriegs-Narrative: „Wir müssen aufhalten, dass wir ausgetauscht werden! Wir müssen den großen Austausch aufhalten. Es hat immer Wanderungsbewegungen gegeben, was hier stattfindet, ist zahlenmäßig ein historisch nie da gewesener Prozess! Wir müssen den jetzt kritisieren, denn in einigen Jahrzehnten können wir das nicht mehr demokratisch kritisieren oder umkehren. Es ist eine Schicksalsfrage, die letzte Chance!“ Der Interviewer stellt die interessante Frage, wer denn den Austausch steuert. Dazu Thorn: „Es ist keine eingeschworene Gruppe, kein Klüngel von Leuten, die Europa islamisieren wollen. Es ist der Ausdruck vom Liberalismus, Zeitgeist, Effekt der Moderne, Globalisierung.“ Hiermit wird ein antisemitisches Stereotyp (eingeschworene Gruppe, Klüngel) durch ein anderes (Liberalismus, Moderne, Zeitgeist, Geld) ersetzt. Klingt doch ein bisschen nach Nationalsozialismus.
Der Interviewer will wissen, ob denn nur Bautzen noch die zu verteidigende „Heimat“ sei oder auch vielfältigere deutsche Großstädte. Der Rassismus nimmt seinen Lauf: „Ich war in Berlin im Wedding, ich war in Frankfurt am Bahnhof Ich habe die Viertel des großen Austauschs gesehen. Man hört keine deutsche Sprache mehr, man sieht keine europäischen Geschichtszüge mehr, das sind alles fremdländische Gebärden, man kann kaum noch ein Schild lesen.“
Das möchte Maximilian Thorn alles nicht. Deshalb der Aufruf zur „Jagdzeit“ (siehe oben). Der Interviewer möchte nun wissen: Wie passt denn das Jagen zur proklamierten Friedlichkeit der IB?
Thorn: „Naja, wir müssen in die Offensive gehen, aus der Defensive hervorbrechen. Es ist ja die letzte Chance, die wir haben. Wir müssen jagen. Wir müssen uns bewaffnen – nicht mit Schwert und Schild, sondern mit Kamera und Pinsel, Schreibstift und Block. Wir müssen unsere Gedanken, unsere Kreativität, unsere Intelligenz einsetzen für politische Änderung. (…) Wir müssen von den Gejagen zu den Jägern werden. Uns nicht mehr zurückdrängen lassen. Das ist unser moralisches Recht! Wir wollen uns nicht mehr unterkriegen lassen von der linken universalistischen multikulturellen Deutungshoheit!“
Ein Schelm, wer in so friedlichen Aussagen einen Gewaltaufruf versteht! Der Interviewer fragt trotzdem nach und erfährt: Friedlicher als die IB geht gar nicht („Mehr als die IB sich von Gewalt distanziert, kann man sich gar nicht von Gewalt distanzieren.“). Nur, dass in Bautzen die Erfahrung eine andere ist, wie der Interviewer berichtet. Erst hat die IB 2018 mit einer Aktion gegen “den Migrationspakt” fast das Dach eines lokalen Sportgeschäfts mit Bengalos in Brand gesetzt, dann wurde die Besitzerin per Mail bedroht, weil sie deshalb die Polizei gerufen hatte – sie wolle wohl vor ein Sharia-Gericht, und Patrioten sollten dort nicht mehr einkaufen. Da hat Maximilian Thorn nur eine Erklärung: „Die [E-Mail] kommt nicht von uns, neee!“
Vollends entlarvend wird das Gespräch, als die Rede auf Kreuze kommt, die die IB für „Opfer von Multikulti“ aufgestellt hatte. Gibt es nicht auch Opfer rechter Gewalt? „Unsere Opfer [gemeint sind die „Opfer von Multikulti“] sind Opfer, die hätten vermieden werden können durch geschlossene Grenzen und die Festung Europa.“ Die Opfer von rechter Gewalt gehören aber offenkundig für Thorn in Deutschland dazu. Wobei: „Natürlich gibt es auch Gewalt von rechts, aber das sind keine hausgemachten Probleme.“ Hier fragt der Interviewer leider nicht mehr nach.
Wenn Rechte mit Rechteren reden
Es gibt in dem 40-minütigen Interview etliche Passagen, in den Maximilian Thorn „identitären“ Rassismus, Desinformation und völkische Ideologie unkommentiert verbreiten darf. Auch der Interviewer verwendet abwertende Begriffe über Geflüchtete und stellt verdrehte Behauptungen nicht gerade. Das Gespräch ist insofern kein Beispiel gelungener Interview-Kunst, gibt aber trotzdem erhellende Einblicke in die Weltsicht des „identitären“ Kaders.
Interessant ist allerdings auch der „Distanzierungstext“ der Redaktion von Ostsachsen.TV. Hier heißt es [Fehler im Original]: „Wir möchten ausdrücklich darauf hinweisen das wir nicht die Ansichten bewerben wollen, oder uns mit dem Inhalt der Identitären Bewegung solidarisch zeigen. Wir zeigen euch ausdrücklich nur die Möglichkeit sich eine eigene Haltung und eine eigene Meinung dazu zu ermöglichen. Wir stehen für Meinungsfreiheit und zeigen euch auf diesem Kanal diverse Meinungen und sorgen für eine Vielzahl an Themen. Für die eigene Meinung sind unsere Zuschauer selbst verantwortlich.“
Das klingt argumentativ ähnlich wie die Gewalt-Distanzierung der „Identitären“: Wir verbreiten nur Ideen, was die Öffentlichkeit damit macht, dafür sind wir nicht verantwortlich.