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Das alles hat viel zu tun mit einem Video aus Chemnitz vom 26. August 2018 und dem damals 22-jährigen Afghanen Alihassan Sarfaraz. Nur drei Sekunden lang ist Sarfaraz in dem Video zu erkennen, dann sieht man ihn nur noch von hinten. Er rennt weg vor aggressiv auftretenden Männern aus einem Demonstrationszug, die ihn und seinen Freund wüst beschimpfen und auf sie losgehen wollen, während eine Frauenstimme im Hintergrund energisch mahnt: "Hase, du bleibst hier."
Dieses 19-Sekunden-Video aus Chemnitz hat vor fünf Jahren Deutschland gespalten. Es wurde damals am Rande eines Wutmarschs aufgenommen, nachdem Asylbewerber einen Deutschen im Streit erstochen hatten. Die einen sahen darin den Beleg für eine "Hetzjagd", wie auch die Bundesregierung die Szenen in Chemnitz später bezeichnete.
Andere fanden, dass dort gar nichts passiert sei. Für die wurde Verfassungsschutzchef Maaßen zur Galionsfigur: Er sagte der "Bild", es lägen "keine belastbaren Informationen" vor, dass in Chemnitz Hetzjagden auf Ausländer stattgefunden hätten und sprach von möglicherweise gezielter Falschinformation. Maaßen stellte damit Mutmaßungen und Behauptungen auf, die nicht einmal durch Recherchen seines Amts geprüft waren.
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"Es liegen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist. Nach meiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken."
HANS-GEORG MAASSEN AM 7. SEPTEMBER 2018 IN DER "BILD" ZUM "HASE"-VIDEO VOM 26. AUGUST 2018.&NBSP
t-online hat das berühmte Video und wenig bekanntes Videomaterial ausgewertet und zu einem Mosaik zusammengesetzt. Für Alihassan Sarfaraz war es eine große Überraschung, dass es überhaupt weitere Aufnahmen gibt. Sie zeigen die Fortsetzung der 19 Sekunden, und sie beweisen, was Sarfaraz wusste: Seine Verfolger hatten nur kurz abgedreht und waren dann doch wieder losgerannt, sie hatten auf ihn Jagd gemacht. In der Kombination ergeben die drei Videos fünf Jahre nach dem Geschehen ein Mosaik, das klar zeigt: Es gab Szenen, die man kaum anders nennen kann als Hetzjagden. Sie sehen Sie oben im Video.
Die Vorgeschichte – der Tod von Daniel H.
Der 26. August, an dem das "Hase"-Video entstand, ist nicht nur der Tag, an dem eine Protestwelle mit bundesweiter Mobilisierung losbrach. Es ist auch der Todestag von Daniel H. Am 25. August wurde in Chemnitz das Stadtfest gefeiert. Der 35-jährige H., der von einem kubanischen Elternteil seine etwas dunklere Hautfarbe hatte, war nach dessen Ende noch in der Stadt unterwegs. Er geriet in einen Streit, bei dem er mit mehreren Messerstichen getötet wurde, zwei seiner Begleiter wurden verletzt.
Daniel H. : Der 35-Jährige lebte mit Freundin und Kind in Chemnitz.
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Daniel H.: Der 35-Jährige lebte mit Freundin und Kind in Chemnitz. (Quelle: Screenshot Facebook)
Die Nachricht von seinem Tod verbreitete sich schnell – und auch, dass die Tatverdächtigen als Asylbewerber nach Deutschland gekommen waren. Die Erzählung schon kurz nach der Tat lautete, dass ein mutiger deutscher Vater sterben musste, weil er sich lüsternen Ausländern in den Weg stellte. Denn das Lokalmedium tag24.de und die "Bild" hatten am Morgen des 26. August verbreitet, Daniel H. und seine Freunde hätten Frauen helfen wollen, die von Ausländern belästigt worden waren.
Täter wegen Totschlags verurteilt
Fast genau zum ersten Jahrestag der tödlichen Messerstiche auf Daniel H. wurde im August 2019 ein Täter verurteilt. Der zum Tatzeitpunkt 23-jährige Alaa S. hatte seine Unschuld beteuert und es gab keine DNA-Beweise, aber belastende Zeugenaussagen. Wegen Totschlags erhielt er eine Strafe von neuneinhalb Jahren. Ein ebenfalls beschuldigter Iraker wird weltweit gesucht.
Das stellte sich ebenso als falsch heraus wie die über Tage verbreitete Behauptung, es gäbe zwei Tote. Doch die Darstellung schürte den Zorn zusätzlich in einer 250.000-Einwohner Stadt, in der Vorbehalte gegen Asylbewerber bereits vorher sicht- und spürbar waren, den Asylsuchenden Übergriffe auf Frauen unterstellt wurden. Weil sich Anzeichen verdichteten, dass es zu Ausschreitungen kommen könnte, wurde am Mittag der Abbruch des Stadtfests beschlossen.
Die Befürchtung sollte sich bestätigen.
Die Demonstrationen
An dem 26. August rief die AfD kurzfristig zu einer Kundgebung um 15 Uhr auf. Noch blieb alles friedlich. Aber auch die rechte Hooligan-Gruppe "Kaotic" hatte einen Aufruf verbreitet, der später gelöscht wurde: "Lasst uns zusammen zeigen, wer in der Stadt das sagen hat! (sic). Treffen um 16.30 Uhr."
"Die Stadt gehört uns" und "Raus aus unserer Stadt" brüllten dann tatsächlich viele Menschen, kurz nachdem der Wutmarsch am späten Nachmittag am Karl-Marx-Monument unweit des Tatorts begonnen hatte. Die Demonstranten, die vorgeblich Ordnung und Sicherheit in der Stadt forderten, attackierten Polizisten, die sie aufhalten wollten. Unterwegs wuchs die Gruppe auf bis zu 1.000 Menschen an, darunter auch Chemnitzer Bürger, die mit der organisierten rechten Szene gar nichts zu tun hatten.
Es sollte der Auftakt zu weiteren Versammlungen und Ausschreitungen werden: Bis Ende September 2018 wurden im Zusammenhang mit Versammlungen knapp 270 angezeigte Straftaten registriert. Auf den 26. August entfallen 26 – von Beleidigung über Sachbeschädigung und Landfriedensbruch bis hin zu schwerer Körperverletzung. Die "Bild" selbst zitierte in einem Bericht am Abend des 26. August einen eigenen Reporter: "Auf dem Johannis-Parkplatz machten vereinzelte Rechte regelrecht Jagd auf eine Gruppe junger Ausländer."
Gedenkstätte: In Chemnitz erinnert eine Tafel am Tatort an Daniel H., der vor fünf Jahren erstochen wurde und dessen Tod eine Welle von gewalttätigen Protesten auslöste.
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Gedenkstätte: In Chemnitz erinnert eine Tafel am Tatort an Daniel H., der vor fünf Jahren erstochen wurde und dessen Tod eine Welle gewalttätiger Proteste auslöste. (Quelle: haertelpress /imago images)
Wie aufgeheizt die Stimmung da war, zeigt beispielhaft eine Szene: Polizisten fordern die aus dem Libanon stammenden Chemnitzer Sozialarbeiterin Rola Saleh auf, Richtung Demonstrationszug nicht länger "Rassisten" zu rufen: "Wir können Ihre Sicherheit nicht gewährleisten", hört man in einem Video einen Polizisten erklären. Die Polizei ist zunächst viel zu schwach besetzt.
Mosaikstein 1: Der Film des Flüchtlings
Knappe 100 Meter entfernt von der Sozialarbeiterin standen zu diesem Zeitpunkt Alihassan Sarfaraz, sein Freund Barin Afshar und ihre 15-jährige deutsche Bekannte Lisa. Alle werden sie später auf dem berühmten "Hase"-Video zu sehen sein. Doch zunächst filmte Alihassan Sarfaraz noch selbst aus wenigen Metern Entfernung den vorbeiziehenden Zug.
Plötzlich schwenkte er mit der Linse nach rechts. Zu sehen ist nun ein Abschnitt der Chemnitzer Bahnhofstraße, wo kurze Zeit später das "Hase"-Video entstehen wird. Sarfaraz filmte, wie sich aus dem Demopulk weit über 20 Männer lösen und einem Mann nachrennen, der in Richtung der Demonstranten etwas gerufen hatte. Es ist die erste per Video dokumentierte Verfolgung an diesem Tag.
Dass Sarfaraz filmte, provozierte offenbar Demoteilnehmer. "Ich hatte die Kamera gerade weggesteckt, als einer mir von hinten mit einer Bierflasche dagegenschlug", berichtet er t-online. Das Handy flog zu Boden und ging zu Bruch. Ein Video, das diesen Übergriff zeigt, existierte, wurde aber gelöscht. Viele Videos, die von rechten Demoteilnehmern erstellt und im Internet hochgeladen worden waren, verschwanden schnell wieder.
Mosaikstein 2: Das "Hase"-Video
Es tauchte am Abend um 20.56 Uhr auf Twitter auf mit der Beschreibung "Menschenjagd in Chemnitz I Nazi-Hools sind heute zu allem fähig". Der anonyme Account, der das verbreitete, trägt einen Namen, der später auch im Bundestag Fragen zur Seriosität auslöste: "Antifa Zeckenbiss". Das Video stammte jedoch aus ganz anderer Quelle, wie das rechte Magazin "Tichys Einblick" später berichtete. Eine Demonstrationsteilnehmerin, Lebensgefährtin von "Hase", hatte es in eine WhatsApp-Gruppe hochgeladen und sich geärgert, dass es Kreise zog.
Während Sarfaraz schildert, dass er vor dem Video geohrfeigt worden sei, erzählte sie per eidesstattlicher Versicherung "Tichys Einblick" eine andere Vorgeschichte: Sarfaraz und sein Freund hätten die "Trauernden" provoziert. Gefilmt habe sie ab dem Moment, als einem ihrer Freunde bei einem "körperlichen Kontakt" der Inhalt eines Bierbechers "über Kleidung und wohl auch ins Gesicht geschüttet wurde". Von Spuren des Bieres ist im Video nichts zu sehen.
Die Demoteilnehmerin hätte zudem mitbekommen müssen, dass die Männer aus ihrer Gruppe zwar nach wenigen Schritten abdrehten, die sie hinter Alihassan Sarfaraz herliefen. Dann liefen sie aber wieder los in die Richtung, in die Sarfaraz und sein Kumpel gerannt und ihre deutsche Bekannte gegangen waren. Genau das ist auf einem weiteren Video zu sehen. In den Schilderungen der Frau ist davon aber keine Rede. t-online hat sie über "Tichys Einblick" angefragt und keine Antwort erhalten. Portal-Geschäftsführer Roland Tichy erklärte t-online, das Video sei zum damaligen Zeitpunkt bekannt gewesen, es habe aber keine Rolle für die Abfolge des politisch-medialen Geschehens gespielt. Darüber hinaus sei der Urheber unbekannt und habe sich nicht zum Kontext geäußert.
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Mosaikstein 3: Die Fortsetzung nach dem "Hase"-Video
Der Urheber ist eine Frau, die auf der anderen Seite der Straße fast zeitgleich filmte. Ein Großteil der Gruppe, die eben noch im "Hase"-Video zu sehen war, rennt nun an ihr vorbei.
Ihr Video zeigt nicht die Entstehung. Denn die Sicht auf die andere Straßenseite mit "Hase" war ihr zunächst verdeckt durch einen Bus, der am Ende des "Hase"-Videos losfährt. Sie hat auch nicht mitbekommen, wie Sarfaraz, sein Kumpel und Lisa auf den Parkplatz laufen. Aufmerksam geworden war sie durch "anderen Aufruhr vor mir" und hatte deshalb das Handy herausgeholt. Sie verpasste beim Filmen knapp, wie ein junger Mann losrennt, der eben noch vor ihr gestanden hatte. "Das war ein Osteuropäer", vermutet sie, er habe auch durchaus provozierende Sätze gerufen.
Manche spurteten in seine Richtung hinterher, andere waren eher unschlüssig und gaben auf. "Die ersten waren auch schon über den Parkplatz hinaus und liefen immer noch weiter." Nicht nur ein paar Meter, wie sie sagt.
Viel Arbeit für die Polizei: Die Sicherheistbehörden hatten in den ersten Tagen nach dem Verbrechen das Mobilisierungspotenzial der rechten Szene unterschätzt.
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Viel Arbeit für die Polizei: Die Sicherheitsbehörden hatten in den ersten Tagen nach dem Verbrechen das Mobilisierungspotenzial der rechten Szene unterschätzt. (Quelle: Harry Haertel/imago images)
Die Frau verbreitete das Video per Twitter. "Ich hatte immer gehofft, dass es viel Aufmerksamkeit bekommt", sagt sie t-online. "Es zeigt aus meiner Sicht klar, dass Maaßen Unsinn geredet hat." Sie stammt aus der Stadt, ist in der Flüchtlingshilfe aktiv und wollte an dem Tag eigentlich mit ihrer Tochter zum Stadtfest, kam dann aber allein wegen der Nachricht vom Marsch der Hools ein. Auf Twitter ist die Frau mit dem Pseudonym IssakSchlager unterwegs. t-online kennt ihre echte Identität, aber aus Angst will sie sie nicht veröffentlicht sehen. Sie habe bereits mit dem LKA besprochen, wie sie als mögliche Zeugin in einem Gerichtsverfahren geschützt werden könnte, sagt sie.
Die strafrechtliche Aufarbeitung
Die Beamten der Polizei hätten bei ihrer Vernehmung einen sehr aufgeschlossenen Eindruck gemacht: Ein Ermittler habe da bereits nachvollzogen, wer auf ihrem Video identisch mit Männern im "Hase"-Video sei.
Auch Alihassan Sarfaraz berichtet von Beamten, die verständnisvoll und freundlich gewesen seien, als er drei Tage nach der Sonntagsdemo Anzeige erstattete. Die Identität eines Beteiligten hatte er gleich mitliefern können: Er hatte den Mann am Montag zufällig wiedergesehen, als er einen Freund in einer Asylunterkunft besuchte. Der Mann, der tags zuvor in der "Hase"-Gruppe gewesen war, arbeitete dort in der Security. Als das durch ZDF-Recherchen bekannt wurde, entließ ihn der Arbeitgeber des Mannes, das Unternehmen Securitas.
Bis heute ist er der einzige Beteiligte aus dem "Hase"-Video, für den die Verfolgungsjagd Konsequenzen hatte. Alihassan Sarfaraz erfuhr das 2021 von der Generalstaatsanwaltschaft Dresden. Seine Anzeigen sind im Sande verlaufen. Das bestätigt die Behörde t-online: Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung des Handys und wegen der Ohrfeige seien eingestellt worden – "die Taten waren den jeweiligen Beschuldigten nicht mit der zur Anklageerhebung erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachzuweisen". Ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen versuchter Körperverletzung an Sarfaraz brachte ebenfalls nichts. "Weil eine Identifizierung des unbekannten Täters im Ergebnis der Ermittlungen nicht möglich war", so die Erklärung.
Schlag auf 15-Jährige bleibt ungeklärt
Auch eine Attacke auf dem Parkplatz gegen die 15-jährige Lisa endete laut Generalstaatsanwaltschaft aus dem gleichen Grund mit einer Einstellung. "Dass sie als deutsches Mädchen auch angegriffen werden könnte, hatten wir nicht gedacht", sagt Sarfaraz. Sie war nicht mit ihnen davongerannt und von ihnen dann später blutend und weinend angetroffen worden. Dass nun diese Angreifer allesamt straffrei ausgehen, habe ihn schon "etwas enttäuscht", meint Sarfaraz. "Von Deutschland hatte ich die Meinung, dass hier etwas herauskommt."
Doch das war in Chemnitz oft nicht der Fall. Von den 26 bekannt gewordenen Vorwürfen des 26. Augusts wurden bei 5 Straftaten mit mutmaßlich rechtem Hintergrund die Täter nie gefunden. Die Verfahren gegen zehn rechte Beschuldigte wurden eingestellt. Acht Täter aus dem Spektrum bekamen Geldstrafen, als höchste 220 Tagessätze für Körperverletzung. Keine Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung endete mit einer Verurteilung.
Trotzdem gab es fünfeinhalb Jahre Haft für einen Beteiligten vom 26. August. Neonazi Christian K. hatte versucht, Teilnehmer für den rechten Hooligan-Auflauf zu mobilisieren. Dabei hatte er auch geschrieben, er wisse nicht, "ob noch eine Jagd ist". Das war bei der Auswertung von Chats im Zuge eines anderen Falles entdeckt worden, berichtete die "Süddeutsche Zeitung".
Da ging es um schwere Vorwürfe: K. wurde im März 2020 als Gründer der Terrorgruppe "Revolution Chemnitz" verurteilt, die sich im Zuge der Demos im September 2018 formiert hatte und die mit Anschlägen einen Bürgerkrieg anzetteln wollte. Nach einem "Probelauf" am 14. September 2018 in Chemnitz war die achtköpfige Gruppe aufgeflogen.
Vertraute: Der damalige Innenminister Horst Seehofer CSU) und sein damaliger Verfassungsschutzchef Hans-Georg im September 2018 vor einer Sitzung des Innenausschusses, wo sich Maaßen erklären sollte.
Vertraute: Innenminister Horst Seehofer und sein damaliger Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen im September 2018 vor einer Sitzung des Innenausschusses, wo sich Maaßen erklären sollte. (Quelle: Christian Mang/imago images)
Das Aus für Maaßen
Maaßen musste wegen seiner Aussagen zu den Vorfällen in Chemnitz im November 2018 seinen Posten räumen. Verschiedene Politiker sahen seine öffentlichen Verlautbarungen, für die er keine Belege nannte, als Spekulationen, als Verharmlosung der Vorfälle oder auch als Verschwörungserzählung. Als Innenminister Horst Seehofer (CSU) ihn von der Spitze des Verfassungsschutzes abziehen und stattdessen zum Staatssekretär befördern wollte, drohte die SPD, die Koalition platzen zu lassen. Maaßen erklärte, "linksradikale Kräfte in der SPD" hätten einen Anlass gesucht, den Bruch zu provozieren. Ihn habe man "als Kritiker einer idealistischen, naiven und linken Ausländer- und Sicherheitspolitik" loswerden wollen.
Maaßen wurde kurz vor seinem 56. Geburtstag in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Nach einem Bericht der "Wirtschaftswoche" sollte er in der Übergangszeit sein damaliges Bruttogehalt von 11.577 Euro noch drei Monate lang voll erhalten, danach drei Jahre 71,75 Prozent davon und von da an die volle Pension: Sein einstweiliger Ruhestand werde nicht als Vorruhestand gewertet. 27 Jahre im Bundesinnenministerium bedeuteten demnach knapp 6.000 Euro Pension.
Maaßen und der Flüchtling heute
Maaßen ist in weiten Teilen der Politikszene zum Ausgestoßenen geworden. 2021 durfte er noch gegen viele Widerstände in Thüringen für ein Bundestagsmandat antreten, unterlag jedoch dem SPD-Kandidaten. Inzwischen will die CDU ihn aus der Partei haben: Das Präsidium forderte ihn einstimmig – und vergeblich – zum Austritt auf: "Immer wieder gebraucht er die Sprache aus dem Milieu der Antisemiten und Verschwörungsideologen bis hin zu völkischen Ausdrucksweisen", hieß es im Beschluss der CDU-Spitze: "Er verstößt (...) laufend gegen die Grundsätze und Ordnung der Partei."
Zuletzt tauchte Maaßen in den Schlagzeilen auf, weil Ermittler auf seinen Namen gestoßen waren: im Terrorverfahren gegen die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuss. Die Gruppierung wollte mutmaßlich den Bundestag stürmen und die Regierung stürzen. Das Heim von Markus Krall, ein mit Reuss bekannter Manager, war durchsucht worden. Er wird allerdings bisher nicht als Beschuldigter, sondern als Zeuge geführt. Bei der Razzia waren Nachrichten zwischen ihm und Maaßen gefunden worden, beide Mitglieder des Vereins WerteUnion, den Maaßen leitet. Eine Mitgliedschaft dort verträgt sich aus Sicht der CDU-Spitze nicht mit einer CDU-Mitgliedschaft. Ein Parteiausschlussverfahren gegen Maaßen ist aber zunächst beim CDU-Kreisparteigericht in Thüringen gescheitert.
Alihassan Sarfaraz, der 2017 aus Mazar-e-Sharif nach Deutschland gekommen ist, hat sich inzwischen weiter integriert: Er spricht inzwischen gut verständlich Deutsch, ist nach Hamburg umgezogen und hat angesichts der Taliban-Herrschaft in seiner alten Heimat eine Aufenthaltserlaubnis für zunächst drei Jahre. Er darf damit arbeiten und hat einen Job gefunden.
Verwendete Quellen
Anfragen an Generalstaatsanwaltschaft Dresden, Innenministerium Sachsen, Polizeipräsidium Chhemnitz, Tichys Einblick
Telefonate mit Alihassan Sarfaraz
Quellen anzeigen
Symbolbild nach unten
Telefonate und Videotelefonat mit "@IsaakSchlager"
bild.de: Maaßen: "Keine Information über Hetzjagden"
zeit.de: Rechte jagen Menschen in Chemnitz
bild.de: Ein Toter bei Messerstecherei nach Stadtfest (archiviert)
tag24.de: 35-Jähriger stirbt bei Messerstecherei in der City
spiegel.de: Wie sich Rola Saleh allein gegen den Mob stellte
polizei.sachsen.de:
bild.de: Rechte ziehen durch Chemnitz
tichyseinblick.de: Die Lügen von Chemnitz und die lästige Wahrheit
zdf.de: Frontal 21 exklusiv: Einer der Angreifer war Securitas-Mitarbeiter
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