Erstmal ein Danke für Müllmanns Reportage, die nette Erwähnung und die Auszeichnungen (besonders über den Pour le Merite habe ich ganz herzlich gefreut! Endlich auf einer Stufe mit Ludendorff!).
Ich kann das alles nur mit ein paar subjektiven Eindrücken ergänzen, allerdings nicht kurz - diese unzügelbare Redseligkeit...:
- die Nachfrage nach der Demo war für Berliner Verhältnisse absurd. Geht man nur nach der Besucherzahl würde ich sagen: das Thema ist tot, toter gehts kaum.
Dass Altnickel dann stolz oder trotzig "2,5 Millionen youtube-views" erwähnt wirkt umso seltsamer.
Wie mies muss man seine Sache eigentlich machen, wenn bei all den klicks nur dieses klägliche Häuflein zusammen gefunden hat? Diese Demo wäre für eine Kleinstadt schon nichts sagend gewesen. Berlinerisch gesehen lag das unterhalb des statistischen Rauschens.
- der Nachhaltigste: Altnickel live ist
fast schon ein Erlebnis. Was auf den Videos nicht rüberkommt ist dieses ... Schwarze Loch an Charisma, das Altnickel mit sich herum schleppt.
Der Mangel an Ausstrahlung, den dieser Mann verbreitet, ist so intensiv, dass man meint, die Farben um einen herum verblassen, die Vögel hören auf zu singen, das quirlige Leben auf den Gendarmenmarkt erstarrt zu einem Standbild und eine bleierne Schwere befällt Kopf und Glieder. Die Zeit steht still, und das fühlt sich irgendwie unangenehm an.
Den Mann sollte es nur auf Rezept und ausschliesslich in der Palliativmedizin geben.
Eine Ewigkeit lang nöhlte er seinen Text herunter; den Kopf keine Sekunde vom Manuskript hebend hangelt er sich von Wort zu Wort. Zweimal (oder so) gab er der "Menge" Gelegenheit zum zustimmenden Johlen, Hörstel überbot das in der ersten Minute seines Vortrags... Natürlich kennt man das. Aber ich habe es mir nicht so schlimm vorgestellt.
Altnickel wirkte auf mich schon irgendwie inspirierend.
Man denkt darüber nach, mit was man ihn vergleichen kann:
Ein Stein mit Bart. Ein alter, ein sehr alter Fisch. Rübezahl als Rentner. Das Tibetanische Totenbuch auf Beinen. Spannend wie eine Mumiensehne aus einem Pharaonengrab.
Man hört zu, weil man nach jedem seiner Sätze gespannt ist, ob er die Energie zu einem weiteren aufbringt.
Wäre die Langeweile ein Tier, es wäre zu seinen Füssen aus Reizarmut verschieden...
Usw.
Man kann wirklich lange darüber nachdenken, wie öde dieser Opa rüber kommt.
Ja, man
muss es um während seines Vortrages wenigstens
irgendwas zu tun zu haben.
Das hat mich beeindruckt!
Jedoch änderte sich das ein wenig, als die Veranstaltung zu Ende ging.
Etwas Energie kam in ihm auf, als er sein Merchandising bewarb.
Richtig schwungvoll war auch das natürlich nicht (entschuldigend bzw. distanzierend nannte er die Verkaufsartikel hartnäckig "Dinger"):
"Und das Ding hier kostet eigentlich 9,80... Das Ding is n Aufkleber: Nee, nich selbstklebend, das ist so LKW-Plane. Hier is noch so n Ding, das kannste für nen Euro habn, für zehn Dinger gibste mir acht..."
Richtig toll war nur seine Warnung, dass einem Elektronen auf den Kopf fallen...
- Hörstel dagegen... Heavy Metal.
Sein Auftritt hat mir
sehr gefallen, vor allem die Tatsache dass sich dieser Mensch den eignen Ruf mit so einem Auftritt noch mehr versaut, und er sich in die Spinnerecke stellt.
Er hat was drauf, kann nicht nur frei reden und sich von seinem Schwung mitreissen lassen, sondern auch andere anstecken. Da war Struktur. Ein Typ, der Potential und Zündstoff hat, das er glücklicherweise in diesem Umfeld verpulvert und damit für jeden halbwegs seriösen "Systemkampf" verloren ist. Das Publikum, dass er sich da sucht, ist allerdings zu schnell zufrieden...
Trotzdem "Danke!" an Herrn Hörstel dafür, dass er sich gewissermassen den Aluhut angezogen hat!
So eine Selbstmontage ist bei solchen Leuten hochwillkommen!
- Als es da einen kleinen Streit gab zwischen einem Demo-Besucher und einem Kamerateam wurde nach der Polizei gerufen. Der Demoteilnehmer wollte sich nicht filmen lassen, dem Kameramann war das egal. Ist ja ganz nett, dass man dann doch irgendwie begreift, dass sich dieses Mitfilmen lassen nicht immer grossartig anfühlt. Nach kurzem Verhör und dem Hinweis, der Demonstrant solle sich das gefallen lassen, liess ich die beiden Streithähne wieder allein. Den Konflikt lösen konnte ich nicht, nach ein paar Minuten schlichen zwei Beamte sacht im Wiegeschritt auf die Kontrahenten zu... Wie Krankenpfleger sich einem Tobenden nähern. Die Ruhe wirkte ansteckend, die Sache beruhigte sich. Das wars, was ich da mitbekommen habe.
Der Demonstrant hatte aber wirklich entschieden etwas dagegen, dass man seine Teilnahme bezeugt.
Obwohl so ne Demo ja auch von den Demonstranten lebt und man schon denken könnte, man suche da eine Öffentlichkeit...
Persönlicher Eindruck: Dem Demonstranten war es
richtig peinlich dort gesehen zu werden.
- Marios Frisur... Vorher hat er mir besser gefallen... Es wirkt auf mich brutal. Vor allem im Profil. Erinnert mich an sowas:
Diejenigen, die ihn als "politschen Faktor" ernster nehmen, in ihm den überzeugten "Rechtsaussen" oder Nazi-Opi sehen, dürften den Eindruck bekommen dass sich nun die Verpackung dem Inhalt angenähert hat.
Ob er nun authentischer wirkt oder noch weiter von sich weg..?
Austrahlungsmässig fand ich ihn ziemlich uneinheitlich, zwischen scheu und deplatziert bis hin zu breitbeinig selbstbewusst und allem dazwischen.
Aber irgendwie fragt man sich unwillkürlich: "Wieso ist er nicht in Uniform?", wenn Ihr versteht was ich meine...
- Die Marschroute war unattraktiv und stellte fast sicher, dass man unter sich blieb. Trotz der Angst vor der bösen, bösen Gifte in der Luft bastelten sich doch einige aus Papier, Tabak (und teilweise weiteren Aromastoffen) kleine Mini-Chemtrails zum Inhalieren. Der Soundtrack bestand aus depressivem Altnickel-Genöhle und dem Abspielen dieses später live gesprochenen chermtrail-rap.
Der endet mit "...auf die Strasse zum Kampf..." und nem Bombengeräusch.
Dazu schlurften dann die Leutchen wie die Moorsoldaten.
- der Mann von der heute-Show war durchaus in Spiellaune ("Da frage ich mich, gibt es überhaupt Flugzeuge?"), aber da konnte ich leider nicht richtig mitspielen. Das entstandene Material wird wohl nur von kopfschüttelnden Cuttern gesehen werden.
Trotzdem: ich finde das geil und auch sehr
selbstbewusst gerade vom zdf, dass sie VTs wie chemtrails offenbar für so absurd ansehen, dass sie dem Publikum zutrauen das ohne weiteres richtig einzuordnen.
Ich kann mir vorstellen, dass die Mainzer das nicht ohne vorige Diskussion so angehen ("bieten wir denen damit nicht eine Bühne?" usw.).
Man traut den Leuten da draussen genug (Medien)Kompetenz zu, und das gefällt mir.
Gerade weils mal nicht vom NDR oder WDR kommt.
Man muss unsere Demokratie auch nicht ständig schwach reden und andauernd in Gefahr sehen von leicht zu manipuliernden Massen hinweg gespült zu werden. Das Ernste immer allzu ernst nehmen.
In dem Kontext finde ich diese Aktionen der heute-show gut, das wäre schön wenn die dran bleiben würden. Stoff genug gibts wirklich.
- dieser Rapper war nicht schlecht.
Der Text des chemtrail-Songs ist handwerklich unfallfrei, der Vortrag war tight, der zweite Song sprechsample-lastig wie zu alten Zeiten. "Musikalisch" auch old school, a la Beatbox mit zwei, drei pattern. Also die Art von Musik, die zu machen weniger Zeit benötigt als man braucht um sie anzuhören... Dass er in der Einführung Bach und Beethoven erwähnte, war vielleicht ein bisschen hoch gegriffen.
Wären beide anwesend gewesen - das hätte böse enden können.
So, das war mein Wort zum Samstag. Soweit ich es verstanden habe, ist für den Herbst eine ähnliche Aktion geplant. Da schlurfe ich vielleicht wieder mit.
Obwohl: Ohne Müllmanns Gegenwart wäre dieses borefest unerträglich gewesen, ich hätte es kaum gepackt.
Darum noch ein Danke an den tapferen und nervenstarken Kameraden, dies mit mir durchgestanden zu haben!!!