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Direkt vor zwei Schulen, da wo die Busse halten und Schüler zum Unterricht gehen, da wollten sie sich aufstellen: Die sachsen-anhaltinischen AfD-Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider und Jan Wenzel Schmidt. Für zehn Uhr war ihre Kundgebung angemeldet, vor der Gemeinschaftsschule Kastanienallee, an der auch erste bis vierte Klasse unterrichtet werden, und dem Christian-Wolff-Gymnasium im Südwesten von Halle an der Saale.
Das lokale Bündnis gegen Rechts hatte Protest angekündigt. Also kamen die Parlamentarier einfach drei Stunden eher, zusammen mit Aktivisten der Partei-Jugendorganisation Junge Alternative. Sie erwischten die Kinder am ersten Tag nach den Ferien auf dem Weg in die Schule.
„Mit solchen Problemen hatten wir nie zu tun“
Tillschneider und Schmidt haben sich mit Fahnen und einem Tisch postiert und mit Flugblättern bewaffnet. Seit Monaten bekämen sie Meldungen über Gewalt, behaupten sie darin: Ausländer würden ihre Mitschüler „beleidigen, erpressen und verprügeln“. Auf der Rückseite ist eine Umfrage abgedruckt. Schüler sollen angeben, von wem sie das letzte Mal verprügelt wurden – einschließlich der Angabe „Herkunft“. Den ausgefüllten Zettel sollen sie an Tillschneiders Wahlkreisbüro in Bad Dürrenberg schicken. Zwischendurch soll die Botschaft von der Ausländergewalt wohl auch die Eltern erreichen.
Eine Schülergruppe auf dem Pausenhof liest den Flyer, ein Mädchen, sie war Streitschlichterin am Gymnasium, schüttelt entsetzt den Kopf: „Mit solchen Problemen, die da stehen, hatten wir nie zu tun“.
Das sehen die Parlamentarier anders: Man wolle alles dafür tun, dass Schüler „ohne Angst vor Ausländergewalt“ auf die Schule gehen, heißt es in dem Flyer.
Eine Sozialarbeiterin der Gemeinschaftsschule hat die Flugblätter eingesammelt: „Die haben das sogar unseren Kindern aus der dritten Klasse gegeben“, sagt sie. Ein Zwölftklässler des Gymnasiums empört sich: „Arschlos ist das, so einen Mist an kleine Kinder zu verteilen!“ Er steht mit seinen Freunden vor der Schule, auch Migranten und Geflüchtete sind dabei – für die AfD potentielle Gewalttäter.
Eine Handhabe gegen die AfD gibt es nicht
Der Schulleiter des Gymnasiums, Andreas Slowig, liest das vor Rechtsschreibfehlern strotzende Pamphlet in seinem Büro: „Wenn solche Propaganda-Aktionen auf unsere Schule dauerhaft eintrommeln würden, könnte die Warnung vor Gewalt zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden“, sagt er. Und dann die Behauptung, seine Schule sei ein Hort der Gewalt: „Eine starke Unterstellung. Dieses Jahr mussten wir keine einzige gewalttätige Auseinandersetzung schlichten!“
Damit ist das Gymnasium nicht etwa eine Ausnahme. Von 2013 bis 2017 sei die Zahl von Straftaten in den Schulen des Landes gesunken – trotz steigender Schülerzahlen und mehr Ausländern, teilt das Bildungsministerium Sachsen-Anhalts mit. Allerdings gibt es keine Statistiken, in der Gewalt unter Schülern gesondert gezählt ist. Eine Handhabe gegen die rechte Werbung gebe es nicht, sagt Ministeriumssprecher Stefan Thurmann: Weil die Aktion nicht auf Schulgrund geschah, habe die Partei keine Vorschriften verletzt.
Am Christian-Wolff-Gymnasium beschäftigen sich die Schüler mit Rechtspopulismus, zuletzt analysierten sie eine Rede des Thüringer AfD-Abgeordneten Björn Höcke im Sozialkunde-Unterricht. Darum vertraut Schulleiter Slowig seinen Schülern: „Die haben genau erkannt, mit welchen Mitteln versucht wird, Leute zu beeinflussen. So blöd wie die AfD glaubt, sind die Schüler nicht“.Gefahr für die Demokratie?
Der Rechtsextremismus-Experte Torsten Hahnel vom halleschen Verein Miteinander sieht das Vorgehen der AfD sehr wohl als Gefahr. Er vergleicht den Hintergrund der Kundgebung mit den berüchtigten NPD-Schulhofaktionen, bei denen ab 2004 Rechtsrock-CDs verteilt wurden. „Das Problem ist, dass die AfD tiefer in der Gesellschaft verankert ist als die NPD“, sagt Hahnel. Tatsächlich seien sich beide Parteien inhaltlich umso näher. Für ihn ist die AfD eine größere Bedrohung für die Demokratie als es die NPD je war.
Schulleiter Slowig stützt sich auf dem Schreibtisch ab. „Das einzige Problem, das ich mit Schülern aus anderen Kulturkreisen sehe ist, dass manche Eltern sich weigern, sie auf Klassenfahrten zu schicken. Die erfinden dann irgendwelche Ausreden“. Der Hintergrund der AfD-Aktion ist für ihn klar: „Die wollen hier das Klischee des Ausländerviertels bedienen, in dem es nur Gewalt gäbe. Unsere Schule nehmen die dafür als Bühne“.
Tatsächlich könnte das Flugblatt in Schulen noch einmal zum Thema werden: Die Schrift sei „ein willkommener Anlass, um manipulierende Sprache mal im Unterricht zu thematisieren“, sagt Stefan Thurmann, Sprecher des Bildungsministeriums in Sachsen-Anhalt. In der Gesamtschule will sich die Sozialarbeiterin darum kümmern: „Wir werden das jetzt in allen Klassen diskutieren, muss ja“. Am Gymnasium ist es bereits Chefsache.