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Im Geschichtsverständnis des Kreisverbandes Offenbach-Land der AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) war der 24. Januar 1965 ein Tag, an dem „die Welt ein Stückchen gerechter wurde“. Die Erklärung dafür liefern die jungen Rechtspopulisten in den sozialen Netzwerken bereitwillig mit.
An diesem Tag nämlich starb Winston Churchill, britischer Premier im zweiten Weltkrieg und aus Sicht des rechtspopulistischen Nachwuchses ein „Kriegsverbrecher“, wie man das Publikum per Bildbotschaft wissen lässt. Verantwortlich für die Zerstörung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg. „Befahl Bombenterror gegen Deutschland“, fasst die Überschrift zusammen.
Das Bild wird in den sozialen Netzwerken hundertfach geteilt - von Freunden der Jungrechten wie von Gegnern. Ein kleiner Viral-Hit, wie er von der Mutterpartei und anderen JA-Verbänden öfter inszeniert wird.
Das Muster ist immer gleich: Eine steile polarisierende These, reduziert auf wenige Schlagworte, ein passendes Bild und eine Botschaft, die nicht nur vom vermeintlich bürgerlichen Stammpublikum verstanden wird, sondern bewusst auch die Tür nach ganz weit rechts außen offen lässt.
Es wird sich aufgeregt, es wird darüber gesprochen, und ein Geschichtsbild, das deutsche Schuld gänzlich ausklammert, wird - zumindest für einen kurzen Moment - diskutabel. Ganz im Sinne der vom völkischen Flügel der AfD um Björn Höcke geforderten „erinnerungspolitischen Wende“.
Junge Alternative nicht mehr kleinlaut
Es ist nur ein Beispiel von vielen, die deutlich machen, dass die Junge Alternative in Hessen inzwischen gelernt hat, mit den Empörungs- und Aufmerksamkeitsmechanismen zu spielen, die den politischen Diskurs im Zeitalter sozialer Netzwerke prägen. Lange Zeit wirkte der 2014 gegründete Landesverband – trotz einschlägiger Kontakte der Führungsriege zu rechtsextremen und neurechten Akteuren – vergleichsweise kleinlaut. Das hat sich mittlerweile geändert.
Einen ersten medialen Coup landete der damalige Beisitzer im Landesvorstand der JA, Jonas Batteiger, – inzwischen zum stellvertretenden Vorsitzenden aufgestiegen – im Dezember 2016. Seinerzeit bezichtigte er in einem Youtube-Video den Leiter eines Anti-Rassismus-Workshops an der Frankfurter Goethe-Uni unter anderem, zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen zu haben. Das wurde zwar sowohl von Vertretern der Universität als auch von Teilnehmern des Workshops dementiert – doch die von Batteiger und vom JA-Ortsverband geteilte Version der Geschehnisse war dank der Selbstbestätigungsmaschinerie des deutschen Rechtspopulismus bereits weit gestreut und als „Wahrheit“ etabliert.
Dass die aggressivere Gangart der hessischen JA von der Mutterpartei goutiert wird, zeigt sich im Aufstieg ihrer Funktionäre im Parteiapparat. Jan Nolte, Chef der JA Hessen, zog auf Platz 4 der hessischen Landesliste in den Bundestag ein, ist Mitglied des Verteidigungsausschusses. Jonas Batteiger wiederum wurde mit einem Referentenposten bei Hessens AfD-Spitzenkandidatin Mariana Harder-Kühnel belohnt.
Den Samstag allerdings verbrachten beide beim Bundeskongress der JA in Büdingen. Dort hat der Bundesvorstand unter anderem einen internen Putschversuch des niedersächsischen JA-Vorsitzenden Lars Steinke abgewehrt. Steinke war 2017 aus der JA ausgeschlossen worden, hatte dies jedoch angefochten und auch ein Urteil des Bundesschiedsgerichts nicht akzeptiert. Vorgeworfen werden ihm unter anderem Kontakte zur rechtsextremen Identitären Bewegung.
Dass just Kontakte zu den Identitären Steinke zum Verhängnis werden könnten, mutet geradezu bizarr an. Personelle Überschneidungen zwischen AfD, JA und der sich selbst als „Jugendbewegung“ darstellenden Gruppierung sind mehrfach belegt. Bekanntestes Beispiel ist Jannick Brämer, Ex-Schatzmeister der Berliner AfD, dessen Teilnahme an Aktionen der Identitären Bewegung bereits seit Mitte 2016 belegt ist. Aus der Partei und der Jugendorganisation allerdings wurde er erst ausgeschlossen, nachdem er Mai 2017 bei einer Aktion der Identitären in Berlin, einen Zivilpolizisten angefahren und verletzt hatte.
Hessen spielte für die Identitäre Bewegung insofern eine wichtige Rolle, als hier im Frühjahr 2014 auf dem ersten Bundestreffen der Identitären die organisatorischen Grundlagen für den Aufbau der Bundesorganisation gelegt wurden. Mit dabei: die spätere Vorsitzende der thüringischen JA, Jana Schneider. Bereits einige Monate zuvor hatte Nils Grunemann die Funktion eines „Obmanns“ für die Identitäre Bewegung Deutschland übernommen. Heute gehört er zum Vorstand der Jungen Alternative Marburg-Biedenkopf. Jens Mierdel, AfD-Abgeordneter im Kreistag Fulda und Mitglied der örtlichen JA, war ebenfalls über einen längeren Zeitraum in der Identitären Bewegung aktiv.
Anfragen zu diesem und anderen die JA betreffenden Themen ließ der Landesvorsitzende der JA Hessen, Jan Nolte, bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Sein ehemaliger Ko-Vorsitzender Fabian Flecken – selbst gut vernetzt in der neurechten Szene – hatte 2016 noch auf FR-Anfrage erklärt, hinter dem Unvereinbarkeitsbeschluss zu stehen, der einen Zusammenarbeit zwischen JA und Identitären ausschließt. Allerdings hatten JA und AfD auch immer wieder darauf hingewiesen, dass das Engagement ihrer Mitglieder in der Identitären Bewegung vor ihrer Zeit in der Partei oder Jugendorganisation stattgefunden habe.
Dass damit die Zusammenarbeit zwischen JA und Identitären ein Ende genommen hat, darf indes bezweifelt werden. Ende Januar verkündete etwa Patrick Pana, Schriftführer der JA in Wiesbaden und Beisitzer im Landesvorstand, auf Twitter nicht ohne Stolz, dass mehrere Mitglieder der Jungen Alternative an der Winterakademie des Instituts für Staatspolitik (IfS) in Schnellroda teilgenommen hätten. Das Institut, das vom Publizisten Götz Kubitschek betrieben wird, gilt als bedeutendste Denkfabrik der sogenannten Neuen Rechten in Deutschland. An der Winterakademie beteiligten sich – wie in jedem Jahr – auch prominente Vertreter der Identitären Bewegung.
Patrick Pana hat inzwischen sein gesamtes Twitter-Profil gelöscht. Warum genau – auch diese Frage bleibt einstweilen unbeantwortet. Vielleicht ja deshalb, weil sein Umgang mit den Kontakten nach rechts außen für den Geschmack der hessischen JA etwas zu offen war. Man könnte auch sagen: zu ehrlich.