hier ist der vollständige Artikel aus dem Spiegel No. 50
Spoiler
Fürstin Doris Ulrich
AfD Beinahe wäre Doris von Sayn-Wittgenstein Bundeschefin der Rechtspopulisten geworden. Ihr Lebensweg wirft Fragen auf, ihre Positionen ebenfalls.
Man redet mit Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein eine Stunde lang über die deutsche Identität, das Abtreibungsrecht und „patriotischen Feminismus“, erst dann ist sie bereit, noch kurz über die Sache mit ihrem Namen zu reden. Entstammt die AfD-Politikerin wirklich einer Adelsfamilie, wie ihr Name suggeriert, oder hat sie ihn nachträglich per Adoption erworben? Ist ihr Sayn nur Schein?
Ja, räumt Sayn-Wittgenstein ein, sie habe zeitweise einen anderen Namen geführt: Doris Ulrich. Dies sei der Name ihres ersten Ehemannes gewesen, von dem sie seit Jahrzehnten geschieden sei. Bei der Heirat mit ihrem zweiten Mann habe sie dann beschlossen, „meinen Geburtsnamen anzunehmen“ – Sayn-Wittgenstein.
Diese Geschichte ist wahr und falsch zugleich.
Noch vor gut einer Woche hätte sich wohl niemand für die Identität der AfD-Landeschefin in Schleswig-Holstein interessiert. Doch seit Sayn-Wittgenstein auf dem jüngsten Parteitag der AfD um ein Haar zur Bundesvorsitzenden gewählt worden wäre, fragt man sich, wer die eloquente 63 Jährige ist, die gern mit perfekt sitzender Hochsteckfrisur, dicker Perlenkette und Trachtenjacke auftritt.
Man kann sich Sayn-Wittgenstein als Sarah Palin der deutschen Rechtspopulisten vorstellen: Wie die einstige US-Vizepräsidentschaftskandidatin aus Alaska ist Sayn-Wittgenstein eine erzkonservative Senkrechtstarterin ihrer Partei. Bevor sie im Congress Centrum Hannover den Saal rockte, war sie den eigenen Parteifreunden kaum bekannt. Die selbstbewusste Anwältin aus dem Kreis Plön verkündete vom Rednerpult Positionen des Björn-HöckeFlügels der AfD. „Ich möchte nicht, dass wir in dieser sogenannten Gesellschaft ankommen“, rief sie in den Saal. „Das ist nicht unsere Gesellschaft.“
Niemand kann Sayn-Wittgenstein Nervenstärke absprechen: Das rechte AfD-Lager mobilisierte sie erst eine halbe Stunde vor dem entscheidenden Wahlgang für den Spitzenposten. Sie ließ sich nicht lange bitten, trat ohne Redemanuskript ans Pult, nicht einmal mit einem Zettel in der Hand. Es gibt Hinweise auf ihre ideologische Nähe zu rechtsextremen Kreisen: Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtete, war die Fürstin 2009 als Gründungsvorstand des Vereins „Die Deutschen“ vorgesehen, hinter dem sich Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker sammelten.
Sayn-Wittgenstein will sich nicht als Reichsbürgerin verstanden sehen. Aber sie reist gern zum Kyffhäusertreffen des rechten AfD-Flügels, wo der Rechtsideologe Björn Höcke Hof hält. Sie schätzt den Parteifreund als „ehrlich und aufrichtig“. „In Deutschland sind wir leider mit der Nazikeule sehr schnell bei der Hand“, meint sie, „ich warte nur darauf, dass auch mir eine Nazirede vorgehalten wird.“
Nach ihrer Wahl zur AfD-Chefin von Schleswig-Holstein sagte Sayn-Wittgenstein, Deutschland sei wegen Angela Merkels Regierungskurs so unbeliebt wie nie zuvor in seiner Geschichte – die NS-Zeit schloss sie auf Nachfrage ausdrücklich ein.
Überhaupt geizt die Juristin nicht mit heiklen Positionen. So lobt sie den Suizid des verurteilten Kriegsverbrechers Slobodan Praljak im Gerichtssaal von Den Haag als „Akt der Selbstbehauptung“. Es sei respektabel, „wenn ein Mensch sein Schicksal bis zum Schluss selbst bestimmt“.
Auch wenn Sayn-Wittgenstein vom Habitus her so auftritt, wie der Durchschnittsbürger sich wohl eine Adelige vorstellt, beteuert sie, der Name bedeute ihr nichts. „Er wird mehr und mehr zur Last.“ Der Adelsstand sei ja abgeschafft, betont die Fürstin. Trotzdem werde sie oft gefragt, warum der Adel sich nicht stärker für deutsche Belange engagiere. „Es gibt in Deutschland ein tief verwurzeltes Bedürfnis nach Führung.“
Die Adelsfamilie zu Sayn-Wittgenstein möchte keinesfalls mit der AfD-Fürstin in Verbindung gebracht werden, die nur das niedere „von“ im Namen trägt. Seit dem Parteitag mutmaßen die Hoheiten öffentlich, dass Doris ihren Titel ganz profan per Adoption erlangt haben könnte – rechtlich dürfte sie Sayn-Wittgenstein dann als „Geburtsnamen“ bezeichnen. Dass man sich von ihr distanziert, ärgert die AfD-Frau: „Dieser Umgang wundert mich. Wir sind verschiedene Familien, die sich mit Respekt begegnen sollten.“
Tatsächlich kam die AfD-Politikerin nach SPIEGEL-Recherchen als Doris Ulrich auf die Welt, geboren am 1. 10. 1954 im hessischen Arolsen, als Tochter eines Postbeamten und einer Vertriebenen aus Schlesien. Das berichtet eine frühere Freundin aus dem Jurastudium in Heidelberg.
Die Studienkollegin bestätigt auch, dass Ulrichs erster Mann diesen Nachnamen getragen habe. Allerdings nahm offenbar nicht sie den Namen ihres Gatten an, sondern umgekehrt: Sayn-Wittgenstein sei damals mit einem Ägypter verheiratet gewesen. Ziel der Eheschließung sei es gewesen, den Aufenthaltsstatus des Mannes in Deutschland zu sichern.
Sollte die Darstellung zutreffen, hätte die AfD-Frau in jungen Jahren viel größeres Verständnis für die Nöte von Ausländern mit unsicherem Aufenthaltsstatus gehabt als heute. Für die AfD-Politikerin, deren Partei illegale Ausländer „konsequent abschieben“ will, ist die derzeitige Flüchtlingspolitik „Migrationswahnsinn“ und Mittel zum „Bevölkerungsaustausch“.
Wann genau Sayn-Wittgenstein ihren Adelsnamen erlangte, ist unklar. Von ihrem heutigen Gatten, einem Rechtsanwalt aus Dossenheim, kann er nicht stammen. Dem SPIEGEL wurde ein privater Brief von 1992 zugänglich gemacht, den die Fürstin mit „Doris Wittgenstein (vormals Ulrich)“ signierte.
Um Stellungnahme zu ihrer ersten Ehe gebeten, schreibt Sayn-Wittgenstein nur: „Wer behauptet das?“ Sie halte das Thema für politisch nicht relevant. Ob sie die Ehe dementieren wolle? Keine Antwort.
Im Telefonat hatte die AfD-Frau Fragen nach ihrer Herkunft letztlich mit einem Goethe-Zitat beantwortet: „Kannst du selber kein Ganzes werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an.“
Melanie Amann