So ein Professor läßt seine Theorien auch durch die schlechten praktischen Erfahrungen in Bayern mit dieser Taktik wohl eher nicht kaputtmachen?
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Patzelt öffnet das Fenster und strahlt. Hinter ihm liegt seine letzte Vorlesung als Politikprofessor an der Technischen Universität Dresden, etwa 20 Studenten haben ihm zugehört. Einige andere haben den Fanfarenzug organisiert. Patzelt wird an diesem Tag mit Pauken und Trompeten in den Ruhestand verabschiedet. Wenn er nicht immer so ironisch wäre, dann hätte er jetzt gerötete Augen, sagt Patzelt. Er wirkt wirklich gerührt.
Patzelt soll CDU-Programm schreiben
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Da geht also ein Professor in Pension. Zugleich sind diese Tage für Werner Patzelt auch ein Start. Noch am selben Abend steht der 65-Jährige ein paar Kilometer weiter auf einem Podium und stimmt sich auf seine neue Aufgabe ein. Die sächsische CDU hat zu einer „Ideenwerkstatt“ geladen für ihr Wahlprogramm. Patzelt soll es schreiben.
In Sachsen wird im September gewählt. Es ist eine Landtagswahl mit hoher Symbolkraft, eine Wahl, die die politische Landschaft in Deutschland verändern könnte. Wenn die AfD stärkste Partei würde. Oder wenn die CDU sich entschließt, mit der AfD zu kooperieren, falls sonst nur noch ein Allparteienbündnis gegen die AfD möglich wäre. Die AfD ist in Sachsen besonders stark, sie hat dort bei der Bundestagswahl 2017 sogar ein paar Direktmandate gewonnen. In den Umfragen liegt sie derzeit auf Platz zwei hinter der CDU. Die hat Koalitionen mit der AfD abgelehnt, es gibt dazu einen Beschluss des Bundesparteitags. Und nun hat sie Patzelt geholt.
Der Professor ist ein streitbarer Kopf. Er ist auf AfD-Veranstaltungen aufgetreten, er hat für die Partei deren Wahlprogramm analysiert und Gutachten geschrieben. Seine Gegner kritisieren, er verharmlose die Pegida-Demonstrationen und überhaupt die Rechten. Der Sachsen-CDU hat Patzelt Trägheit und Saturiertheit vorgeworfen – und ihr im vergangenen Sommer empfohlen, über eine Zusammenarbeit mit der AfD nachzudenken. Verschiebt sich da etwas? Ist der Politologe Patzelt der Mann, der die CDU erst in Sachsen, und dann vielleicht auch bundesweit auf einen neuen Kurs drängt?
Verharmlost Patzelt Pegida?
Keineswegs, sagt CDU-Landeschef Michael Kretschmer in seinem Büro in der Staatskanzlei. Kretschmer hat 2017 seinen Bundestags-Wahlkreis an die AfD verloren. Der 43-Jährige ist seit einem guten Jahr Ministerpräsident, er würde es gerne bleiben. „Mit diesen Leuten haben wir nichts gemeinsam“, sagt er zum Thema AfD.
Sein Landesverband galt in der CDU lange als Problemfall, als zu wenig entschieden gegen Rechtsextremismus. Kretschmer war da sächsischer CDU-Generalsekretär. Jetzt ist der Kampf gegen Rechtsextremismus Teil seiner Reden. Er hofft, dass Patzelt Wähler von der AfD für die CDU zurückgewinnt. Patzelt sei „eine Institution in Sachsen“, sagt Kretschmer. Der 65-Jährige sei überzeugter Demokrat und ein „konservatives Gewissen“ der CDU obendrein.
Das konservative Gewissen – das ist das Stichwort, das die CDU seit Jahren so quält. Die einen, für die Angela Merkel zum Feindbild geworden ist, beklagen seinen Verlust. Die anderen halten dagegen, dass Konservatismus heute halt moderner definiert werde. Kretschmers konservatives Gewissen Patzelt ist gerade der ultrakonservativen Werteunion beigetreten, der Vereinigung in der CDU, die Merkels Öffnungskurs mit am aggressivsten bekämpft.
Pazelt: „Ein Diffamierungsspiel der Fakultät“
Bei denen ist er früher schon mal aufgetreten, im Sommer 2018 zum Beispiel. „Die Konservativen sollten nach intellektueller Hegemonie streben“, hat er dort empfohlen. Aufgabe der CDU sei es, das politische Spektrum „bis zum rechten Narrensaum“ abzudecken. Er hat davor gewarnt, sich nur am Stammtischgerede zu orientieren und sich als Scharfmacher, als „Wadenbeißer“ zu profilieren.
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Dabei formuliert er selbst gerne deutlich. Durch seine Sätze purzeln Sprachbilder und umgangssprachliche Wendungen. Er drängelt, er betont und leitet her. Es ist eine Sprache voll Absolutheit und Ausrufezeichen, seine Sätze lassen keine Zweifel zu.
Er wäre gerne noch an der Universität geblieben. Aber die hat ihm eine Seniorprofessur nach seiner Pensionierung verweigert. Ein öffentlich zu rabiat geführter Streit mit der Universitätsleitung um eine Institutsgründung wird angeführt. Der zweite Vorwurf ist: Patzelt vermische seine politische und seine wissenschaftliche Rolle. Patzelt habe seinen Blog voller politischer Meinungsäußerungen unter der Adresse der Universität betrieben. Und dann ist da noch die Sache mit Joseph Goebbels, dem NS-Propagandaminister. Dessen Konterfei erschien vergangenen Sommer auf einer Internetseite, auf der Patzelt seine Aufforderung an Angela Merkel veröffentlichte, Belege zu liefern für ihre Bewertung der zum Teil von Rechtsextremen gekaperten Demonstrationen in Chemnitz.
Patzelt weist alle Kritik zurück: Neid, Fehleinschätzungen, Dreistigkeit, Bösartigkeit und üble Eskalation – all diese Vokabeln passen in einen Satz. „Ein Diffamierungsspiel der Fakultät“, folgt noch. Kretschmer wird vermutlich gut daran tun, sich nicht mit Patzelt zu überwerfen.
Der sagt von sich, er vermische nichts, sondern sei immer nur Beobachter gewesen. „Mein zentrales Anliegen ist, dass unsere pluralistische Demokratie möglichst gut funktioniert“, sagt er. Und dazu müsse man eben mit allen reden, so habe er es mit der Pegida gehalten und mit der AfD.
Patzelt will auch mit AfD und Pegida reden
Er habe einen „ungetrübten Tatsachenblick“ und wäge seine Worte. „Aber ich weiß auch, dass ich zuspitzen muss, weil es sonst am Hörer vorbeiplätschert.“
„Er geht bewusst an Grenzen und nimmt Missverständnisse in Kauf“, sagt ein anderer Professor über den Kollegen. Der „rechte Narrensaum“, vielleicht ist er das.
Die Gesellschaft sei von linken Alt-68ern dominiert, die die Rechten zum Schweigen gebracht hätten, schreibt Patzelt Anfang 2015 in einem „FAZ“-Artikel zur Pegida. Er spricht darin auch von „Kommunikationshygiene“ und dem „Magma unrepräsentierten Volksempfindens“, von „tektonischen Geschiebekräften, die der Wandel des Landes zu einer multikulturellen Gesellschaft“ auslöse. „Unterdrücken wird sich solcher Vulkanismus auf Dauer nicht lassen“, stellt Patzelt fest. Die Anti-Pegida-Demonstranten bezeichnete er in seinem Blog als „Akademiker-Einheitsfront“. Es sind Formulierungen, die an Naturgewalten erinnern oder an Diktaturen und damit Abwehrreflexe auslösen. Er habe keine politische Agenda, beteuert Patzelt beim Gespräch in seinem Büro.
AKK, Kandidatin der SPD und der Journalisten?
Nach der Wahl Kramp-Karrenbauers zur CDU-Chefin hat Patzelt auf seinem Blog festgestellt, diese sei die Kandidatin der Journalisten, von SPD und Grünen. „Muss man jetzt schon die Hoffnung aufgeben?“ fragte er, gar nicht so sachlich-analytisch.
Der AfD hat er in seiner Analyse im Auftrag der Partei ihr Wahlprogramm absätzeweise um die Ohren gehauen: „Überschussrhetorik“ und „Mangel an rationalem Durchdringen des zu bewältigenden Problems“, kritisierte er. An anderer Stelle bemerkte er einen „sich nicht selten aggressiv anfühlenden Unterton“. Lob gab es dagegen für die Kritik am Familiennachzug von Flüchtlingen und die Forderung nach einem Familiensplitting im Steuerrecht. Er sagt, er hätte auch SPD und Grüne beraten, wenn die ihn gefragt hätten.
Er findet übrigens wirklich, dass er die Seniorprofessur hätte kriegen sollen: „Falls jemand von ausgewiesener Tüchtigkeit trotz seines Rechts auf Ruhestand weiterhin bereit ist, seinem Arbeitgeber zu dienen, wäre es eigentlich normal, ein solches Angebot anzunehmen“, schreibt er auf seinem Blog.
Jetzt schreibt er eben das Wahlprogramm der Sachsen-CDU. Im Frühsommer soll es fertig sein. Richtig sei das, findet Patzelt: „Ich gehöre zu den wenigen CDU-lern, denen die Rechten noch zuhören.“
Riskant sei das, findet man in der Bundes-CDU. In der Sachsen-CDU heißt es, Patzelt schreibe daran ja nicht alleine. Ganz sicher ist man sich seiner offenbar nicht. „Für uns ist das ein Experiment“, sagt ein Parteistratege. Wer weiß, was passiert, wenn Patzelt wieder lospoltert. „Er ist unsere große Unbekannte im Wahlkampf.“