Nicht mal das.
Spoiler
Danach passierte nicht mehr viel – außer, dass Wagenknecht kurz vor Weihnachten in Anlehnung an die Protestbewegung in Frankreich mit gelber Weste vor dem Berliner Kanzleramt posierte. Und dann wurde ein offener Brief publik, in dem sich Mitglieder über mangelnde Aktivitäten und intransparente Strukturen beklagten.
Die Häme war der Politikerin sicher, ganz besonders aus der eigenen Partei. Linke Realpolitiker argwöhnten sowieso, Wagenknecht wolle mit der Bewegung bloß die Parteistrukturen umgehen, in denen sie keine Mehrheit finde. Flugs wurde das Motto „Aufstehen“ in „Liegen bleiben“ umgedeutet.
Gegen die Wand
Jetzt ist sie zurück: Von Montag an nimmt Wagenknecht wieder wie gewohnt ihre Termine in Berlin wahr. Als Misserfolg sieht sie „Aufstehen“ nicht. „Wir haben 170.000 Unterstützer, es gibt 200 Ortsgruppen, Tausende engagieren sich vor Ort“, sagt sie.
Aber zwei Dinge habe sie falsch eingeschätzt. Zum einen die Reaktion der Linken, der SPD und der Grünen. „Die Parteien, die wir ansprechen wollten, haben sich eingemauert“, kritisiert sie. „Aufstehen ist ja gegründet worden, um aus der Sackgasse herauszukommen, dass es zwar Mehrheiten in der Bevölkerung für soziale Forderungen gibt, aber nicht ansatzweise eine Chance auf andere politische Mehrheiten im Deutschen Bundestag. Aber die Parteiführungen der SPD und der Linken fühlen sich in der Sackgasse offenkundig so wohl, dass sie die Chance, die Aufstehen mit seiner großen Resonanz bedeutet hat, ausgeschlagen haben.“
Namhafte Parteipolitiker hatten sich der Bewegung nicht angeschlossen. Von den Grünen unterstütze Ludger Volmer den Gründungsaufruf, vor langer Zeit Staatsminister im Auswärtigen Amt. Von den Sozialdemokraten war der Bundestagsabgeordnete Marco Bülow dabei, der die SPD inzwischen verlassen hat.
Grund zur Empörung fehlte
Die andere Fehleinschätzung, sagt Wagenknecht, betreffe den Organisationsaufwand: „Ich habe die Schwierigkeit unterschätzt, auf rein ehrenamtlicher Basis solide Strukturen für so viele Menschen zu schaffen und unsere Unterstützer dann auch in großer Zahl auf die Straße zu bringen.“ Dafür brauche es wohl einen Auslöser wie die Benzinpreiserhöhungen für die Gelbwesten in Frankreich.
Dort hatte der Staatspräsident Emmanuel Macron mit seinem Vorhaben einer Ökosteuer auf Benzin eine teils militante Protestbewegung ausgelöst, auf die er mit teuren Zugeständnissen in der Sozialpolitik reagierte. Seither tourt Macron zu Dialogveranstaltungen durchs Land, weshalb er zuletzt sogar seinen Auftritt auf der Münchener Sicherheitskonferenz absagte.
Einschneidender Schritt
Die Schlussfolgerung, die Wagenknecht daraus zieht, klingt ziemlich radikal: Sie will sich aus den Führungsgremien von „Aufstehen“ zurückziehen. „Wir brauchen eine Neuaufstellung von Aufstehen“, sagt sie. „Die Parteipolitiker sollten sich zurücknehmen, das betrifft auch mich selbst.“ Anfangs sei das Mittun der Politiker nötig gewesen, schon aus Gründen der Erfahrung. „Aber jetzt ist es richtig, Verantwortung abzugeben. Die Bewegung kann besser leben, wenn sie denen übergeben wird, die sie an der Basis ohnehin tragen.“
Selbstverständlich werde sie „Aufstehen“ weiter unterstützen, betont Wagenknecht, etwa durch öffentliche Veranstaltungen. Schließlich ist sie die einzige Rednerin der Bewegung, die ein breites Publikum anzieht. „Aber ich muss auch sehen, welches Arbeitspensum ich schaffe“, fügt sie einschränkend hinzu. „Dass ich jetzt zwei Monate krankheitsbedingt ausgefallen bin, hatte auch mit dem Stress der vergangenen Jahre zu tun. Da muss ich eine neue Balance finden.“
Ihre Aufgaben in Fraktion und Partei will Wagenknecht weiter wahrnehmen. Dem Eindruck, in ihrer Abwesenheit habe sich ein Kurswechsel in der Europapolitik vollzogen, tritt sie entgegen: Das Programm, das die Delegierten auf einem Parteitag vor zwei Wochen beschlossen haben, billigt sie ausdrücklich. „Unser Europaprogramm ist ein ausgewogener Kompromiss, mit dem ich leben kann“, sagt sie. „Wir kritisieren die Europäischen Union, gleichzeitig wollen wir natürlich nicht zum Nationalismus in Europa zurück.“