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taz: Herr Lösche, Sie haben Anzeige erstattet gegen die AfD Chemnitz, gegen Björn Höcke und gegen unbekannt: also gegen alle, die Sie dafür verantwortlich machen, dass das Bild Ihrer Schwester in Chemnitz gezeigt und vereinnahmt wurde. Warum gegen genau die?
Andreas Lösche: Die Chemnitzer AfD war offensichtlich der Veranstalter dieses sogenannten Trauermarsches. Björn Höcke als Mitveranstalter, der da auch vorne mit dabei war, genauso wie Lutz Bachmann. Und dann geht es gegen die Träger der Plakate.
Welche Straftat werfen Sie dieser Gruppe vor?
Das ist die widerrechtliche Verwendung eines Bildes. Wenn ein Bild von der Polizei zur Fahndung benutzt wird, ist es frei verwendbar, zum Beispiel von den Medien. In dem Moment, in dem das Opfer gefunden wird und der Täter dingfest gemacht wird, erlischt dieses Recht. Dass das Bild verwendet wurde, fände ich noch nicht einmal so schlimm, wenn es in einem anderen Kontext wäre. Der Kontext ist die Katastrophe. Ihr Bild wird für etwas verwendet, was ihrer Haltung zu 100 Prozent entgegensteht.
Um welche Veranstaltungen geht es?
Jetzt erst einmal nur um Chemnitz. Bei der Pegida-Demo am 3. September in Dresden haben die das Gleiche wieder gemacht. Wir überlegen, ob wir das noch gesondert anzeigen. Außerdem geht es nicht nur um diese Veranstaltung, sondern auch darum, dass Höcke und Bachmann das Bild fleißig in sozialen Medien gepostet haben. Davon haben wir Screenshots.
Haben Sie damit gerechnet, dass das Bild bei rechten Kundgebungen gezeigt wird?
Am Anfang war ich ziemlich fassungslos. Ich wusste schon im Juni, als irgendwann klar wurde, dass es ein marokkanischer Lkw-Fahrer ist: Das ist das perfekte Fressen für die Rechten. Das war kein Migrant, er war auf dem Weg nach Hause, nach Marokko. Da hätte Merkel 2016 machen können, was sie will, der wäre so oder so gefahren. Sophia ist nicht das Opfer eines Flüchtlings oder eines Einwanderers. Aber was nicht passt, wird passend gemacht. Höcke hat im August angefangen, sie in seinen Reden durch den Dreck zu ziehen. Und trotzdem wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dass sie da 21 Leute auf Plakaten durch die Gegend tragen würden. Wir können uns das nicht gefallen lassen. Auf keinen Fall.
Sie haben den Rechten ja von Anfang sehr aktiv und laut widersprochen. Was kamen da für Reaktionen?
Unser erster Widerspruch war eine Reaktion darauf, dass wir gesehen haben, was in den sozialen Netzwerken passiert und welche Kommentare unter den Artikeln stehen. Teilweise Hunderte, das meiste alles andere als schön, nach dem Motto „Selbst schuld“. Dann ging es auch direkt mit E-Mails von Fake-Accounts los. Wüste Beschimpfungen. Wir haben die Zeitungen um einen sensiblen Umgang mit dem Thema gebeten, in der Hoffnung, dass die Kommentarspalten deaktiviert werden. Damit war die Hetze erst einmal ausgebremst. Das heißt, dann ging es nur noch direkt oder über Twitter. Das ist in dem Moment aber auch abgeflacht, weil es uns gelungen ist, diese Bühne abzuschaffen.
Als Politiker sind Sie eine öffentliche Person. Wie viel kam direkt bei Ihnen an?
Vor allem E-Mails oder Nachrichten via Messenger. Da kam schon einiges. Aber in der Regel von Fake-Accounts. Das hat sich dann relativ schnell beruhigt. Vielleicht weil sie gemerkt haben, ich reagiere auf so etwas nicht. Das ist meistens die beste Reaktion. Dann wird es ihnen zu langweilig. Es waren aber schon ein paar Hundert Hassmails. Du hast es da mit Leuten zu tun, die jedweden Anstand verloren haben. Die haben keinen Respekt vor dem Opfer und keinen Respekt vor der Wahrheit. Sie lügen, sie missbrauchen einen Fall, verdrehen ihn inhaltlich ins komplette Gegenteil … Ich will mit solchen Leuten auch nichts zu tun haben.
Sie setzen sich dem aber nun ja weiter aus.
Ja. Das muss ich schon im Namen meiner Schwester machen. Sie hätte das auch gemacht. Sie hätte auf keinen Fall gewollt, dass sie von irgendwelchen Rechten durch den Dreck gezogen wird. Ich habe das Gefühl, dass mir gar nichts anderes übrig bleibt. Das können wir uns und auch ihr nicht gefallen lassen. Man tut ihr damit ja wieder Gewalt an. Und das sind die, die angeblich die deutschen Frauen beschützen wollen. Sie tun das Gegenteil.
Sie haben der Presse gesagt, alles, was ermittelt wurde, kam von Angehörigen und Freunden. Das war Ende August. Würden Sie das heute genauso sagen?
Einhundert Prozent der Ermittlungsergebnisse, die dazu geführt haben, den Täter zu finden, sind auf die Arbeit der Angehörigen zurückzuführen. Das ist Fakt. Bis zu dem Zeitpunkt, als wir durch den Kontakt mit der Spedition den Standort des Fahrers ausfindig gemacht haben, hat die deutsche Polizei praktisch nichts getan. Die haben sich noch gestritten, ob Sachsen oder Bayern zuständig ist. Wenn wir das nicht aus lauter Verzweiflung selbst in die Hand genommen hätten, hätten wir vermutlich nie eine Leiche gefunden und nie einen Täter. Die wären ja noch nicht einmal nach Schkeuditz zu der Tankstelle gefahren und hätten sich die Videobänder angeschaut.
Wenn wir das nicht aus lauter Verzweiflung selbst in die Hand genommen hätten, hätten wir vermutlich nie eine Leiche gefunden und nie einen Täter.
Haben Sie das Gefühl, dass die Sache bei der Polizei intern aufgearbeitet wird?
Es gab bis heute zumindest nicht den Punkt, wo man sich bei uns entschuldigt hat. Insofern kann ich nicht beobachten, dass eine Aufarbeitung passiert. Die Innenminister von Sachsen und Bayern haben beide ein Schreiben mit dem Protokoll der ersten vier Tage von mir bekommen. Darin steht auch, dass die Polizei zu uns gesagt hat, sie unternehme erst einmal nichts. Auf dieses Schreiben habe ich bis jetzt Eingangsbestätigungen erhalten. In Sachsen kam die von der Beschwerdestelle der Polizei Sachsen. Das heißt, genau die Leute, die es zu kontrollieren gilt, sollen mir jetzt antworten.
Die Polizei argumentierte damals mit der Statistik: Die meisten vermissten Personen würden wiederauftauchen.
Nein. Es gab keine Argumentation der Polizei. Man hat einfach nichts gemacht. Ich behaupte, und dabei bleibe ich, man hat uns am Anfang nicht richtig zugehört. Man hat das einfach als Routinefall abgeheftet. Dabei war der Fall klar: Eine Tramperin steigt in einen Lkw, schreibt noch: Sitze beim Marokkaner Bob auf dem Truck. Dann geht das Handy aus, und sie kommt nie beim Geburtstag ihres Vaters an. Mein Vater hat gesagt, ich werde meine Tochter nie wiedersehen. Ich habe gesagt, Sie müssen zu 99 Prozent von einem schweren Gewaltverbrechen ausgehen. Die Reaktion darauf war, sie als vermisst ins System einzugeben. Es hat keine aktive Suche stattgefunden.
Stehen Sie denn auch in Kontakt mit Angehörigen anderer Opfer, die in Chemnitz auf den Plakaten zu sehen waren?
Nein. Es könnte höchstens sein, dass ich es nicht weiß. Während der letzten Monate haben mich öfter Angehörige von Opfern von Gewalttaten kontaktiert. Die haben mir unisono geschrieben: Verlassen Sie sich bloß nicht auf die Polizei. Bis die anfangen zu laufen, ist eh alles zu spät. Und Zeit ist der wichtigste Faktor. Dass die Polizei das nicht versteht, ist mir schleierhaft.
Höcke hat im August angefangen, sie in seinen Reden durch den Dreck zu ziehen.
Gab es für Ihre Arbeit ein Vorbild, einen Plan?
Nur die reine Verzweiflung. Und die Hoffnung, sie vielleicht doch noch irgendwie … Obwohl uns das eigentlich allen klar war. In der hoffnungslosen Situation klammerst du dich trotzdem an den dünnsten Strohhalm. Also haben wir gesucht, was das Zeug hält, online, in Teams, im Wald, Fährlinien informiert, falls der Lkw auftaucht …
Hat diese Erfahrung Ihr Bild von der Polizei verändert?
Es wurde schwer erschüttert. Ich habe kein Vertrauen mehr in diese Truppe. Was mich am meisten ärgert, ist, dass es niemand gibt, der den Arsch in der Hose hat, sich hinzustellen und zu sagen, es tut uns leid. Sophia war in unseren Augen nie ein Vermisstenfall. Es gab vom ersten Moment den Verdacht eines schweren Gewaltverbrechens.
Es gibt viele Menschen, die Sophia selbst oder Sie als Politiker der Grünen verantwortlich machen. Was sagen Sie denen?
Bis jetzt gar nichts. Wenn ich etwas sagen müsste, würde ich sagen, die Argumentation ist Unsinn. Mir wird vorgeworfen, Sophia sei ein Opfer der Migrationspolitik, die von den Grünen unterstützt würde. Dieser Lkw-Fahrer wäre so oder so diese Strecke gefahren. Er ist kein Migrant. Er könnte genauso aus Polen, Österreich, Deutschland kommen. Insofern ist die Behauptung, dass unsere Politik etwas mit dem Tod meiner Schwester zu tun hat, vollkommener Schwachsinn. Das wäre das, was ich sagen würde. Ich führe aber keine Twitter-Diskussionen, das ist sinnlos. Wenn es mal in einem bestimmten Kreis die Gelegenheit gäbe, würde ich es vielleicht machen. Wobei ich nicht der Meinung bin, dass man der AfD zu viel Platz einräumen sollte. Das ist genau der Fehler, den wir in diesem Land seit Jahren machen.
IM INTERVIEW:
ANDREAS LÖSCHE
Andreas Lösche, 51, ist gelernter Realschullehrer und stellvertretender Vorsitzender der Grünen im Kreistag Bamberg-Land. Er befasst sich mit Bildungsthemen.