Gründe
I.
Randnummer1
Die Beteiligten streiten um die Entlassung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf.
Randnummer2
Der Antragsgegner berief den Antragsteller zum 1. Oktober 2020 in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf zur Vorbereitung auf den gehobenen Dienst der Kriminalpolizei. Der Antragsteller führte eine inzwischen gelöschte Instagram-Seite eingangs mit den Angaben „German“, „Heimat“, „Treue um Treue“ und einem Bibelzitat (Sprüche 4, 25-27). Er folgte einer Instagram-Seite „patriotische_boomer_partei“ und erklärte darauf, dass ihm einzelne Beiträge gefallen (sog. „liken“). Zu den von ihm abonnierten Seiten gehörten auch „bananenrepublik.de“ sowie „basedpoliticsde“ sowie die Seite
Tim Kellners. Auf allen Seiten gefielen ihm Beiträge. Über Herrn Kellner schrieb der „Tagesspiegel“ im Februar 2020 im Bericht über seinen erstinstanzlichen Freispruch vom Vorwurf, eine Staatssekretärin als „islamische Sprechpuppe“ beleidigt zu haben, er sei Chef eines Rockerclubs, sei wegen gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Beleidigung verurteilt. Dem Berliner Staatsschutz ist er durch seine rechte, frauenfeindliche und coronakritische Einstellung bekannt.
Randnummer3
Am 13. April 2022 sprachen Beamte des Berliner Staatsschutzes den Antragsteller in der Hochschule zur Durchführung einer Gefährderansprache an. Sie hielten fest, dass der Antragsteller zu Beginn des Gesprächs überrascht und belustigt gewirkt habe. Er habe dann aber die Ernsthaftigkeit des Themas verstanden und mehrfach geäußert, dass es sich bei den gelikten Posts um Satire gehandelt habe und er sich somit über verfassungsfeindliche Einstellungen habe lustig machen wollen. Er selber sei verfassungstreu, verstehe aber, dass das Liken der relevanten Posts einen missverständlichen Eindruck erwecken könne. Der Antragsteller habe in Bezug auf gesellschaftliche Themen überaus informiert und politisch interessiert gewirkt. Seine Ausdrucksweise sowie sein Wissen über beispielsweise nordische Mythologien oder den Heimatbegriff seien überdurchschnittlich ausgeprägt gewesen. Er habe einen informierten und kontrollierten Eindruck ohne jugendlichen Leichtsinn oder Naivität vermittelt.
Randnummer4
Der Antragsgegner hörte den Antragsteller im Juni 2022 zur beabsichtigten Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf an, weil er berechtigte Zweifel daran habe, dass der Antragsteller die erforderliche charakterliche Eignung für einen Beamten des gehobenen Dienstes der Kriminalpolizei besitze. Er folge einer Reihe von Instagram-Seiten der Neuen Rechten und habe mehrfach seine Zustimmung zu einzelnen Beiträgen ausgedrückt.
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Dagegen wandte sich der Antragsteller und machte geltend: Sein Instagram-Konto sei nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner habe nur einzelne Aspekte herausgegriffen, ohne den Kontext zu betrachten. Anders als er hätten Menschen mit rechtsextremem Gedankengut mit der Kirche und insbesondere Bibelsprüchen grundsätzlich nichts am Hut. Bei den von ihm gelikten Posts handle es sich um Satire. Schon von Hause aus sei er insbesondere mit der Geschichte des Holocausts vertraut gemacht worden. Sein Vater, über den er auf den Leitspruch „Treue um Treue“ aufmerksam geworden sei, sei bis 2004 Bundeswehrsoldat gewesen. Seine Eltern seien im öffentlichen Dienst tätig. Er – der Antragsteller – stehe absolut auf dem Boden des Grundgesetzes und sei sich seiner Treuepflicht als Beamter bewusst.
Randnummer6
Nach Beteiligung der Frauenvertreterin und mit Zustimmung der Jugend- und Auszubildendenvertretung entließ der Antragsgegner den Antragsteller mit Bescheid der Polizei Berlin vom 9. Dezember 2022 mit Ablauf des 31. Januar 2023 aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf, weil er charakterlich für den Beruf nicht geeignet sei. Darin heißt es:
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„Folgenden Beiträgen drückten Sie in Form eines „likes" lhre Zustimmung aus:
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- Auf den Kommentar „Eine Impfpflicht lässt sich ziemlich einfach mit einer Impfung umgehen" antwortete Tim K. (Profil „timm.kellner"): „Eine Vergewaltigung lässt sich ziemlich einfach mit freiwilligem Sex umgehen".
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- Text auf schwarz-rot-goIdenem Grund: „lch trinke Coca-Cola und kein Uludag/ Zu Weihnachten kommt bei mir Santa Claus und nicht Mohammed/ Ich gucke Germanys Next Topmodel und keine Kopftuchmädchen!/ Ich esse McBacon und keine Falafeln!"
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- Heute vor 77 Jahrne wurde Auschwitz befreit. Währenddessen widerholt (sic!) sich die Geschichte (Wut Emojis)/nur heißt es heute anders/ Impfnachweis= Ariernachweis/ 2G= Juden werden nicht bedient/Quarantänelager= KZ/ Impfung= Eugenische Maßnahme, Völkermord/ Scholz=Hitler/ Ampel= NSDAP/ Makse (sic!)= Judenstern/Valerie Kohl und Niklas Lotz leißten (sic!) erbitterten Iiberal-konservativen Widerstand/Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!
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- Collage aus verschiedenen Bildern und Symbolen (u. a. ein Foto von Niklas Lotz, ein Foto des israelischen Verteidigungsministers Benny Gantz, eine Dose Monster Energy, das AFD-Logo, ein Chanukka-Leuchter in Regenbogenfarben, eine Kondomverpackung in Regenbogenfarben, junger Mann mit zwei Frauen im Arm), die mit dem Spruch versehen ist: „Heute werden nicht nur Böller geknallt" und mit dem Hashtag #orgiegegendenisIam. Hierzu haben Sie den Kommentar, „Gemäßigt patriotische Bürgerpflicht" abgegeben.
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- „Wir sind nicht rechts!!!!!!!' Wir sind friedliche, kritische, Demokratische Verfassungspatioten (sic!)!!!! Nur weil wir nicht wollen, dass transphobe und antisemitische Islamisten millionenfach grundgesetzwidrig einwandern sind wir noch lange nicht rechts!!!!!!!". Diesen Beitrag des Accounts patriotischeboomerpartei haben Sie mit ,,Beste Partei (lachendes Emoji)" kommentiert.“
Randnummer13
Mit gesonderter Begründung ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehung des Bescheids an. Wegen der weiteren Einzelheiten des Bescheids wird auf die vom Antragsteller als Anlage Ast. 3 zur Akte gereichte Ablichtung davon (Bl. 31 bis 40 d. A.) verwiesen. Dagegen erhob der Antragsteller am 9. Januar 2023 Widerspruch.
Randnummer14
Zur Begründung seines bei Gericht am 12. Januar 2023 eingekommenen Antrags macht der Antragsteller geltend: Die sofortige Vollziehung sei fehlerhaft mit Allgemeinplätzen angeordnet worden. Der Antragsgegner habe eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände unterlassen. Insbesondere habe er die vorliegenden fachpraktischen Leistungsbewertungen und die Stellungnahme eines Kriminalhauptkommissars, der ihn in seinem Hauptpraktikum erlebte, nicht berücksichtigt. Wegen der weiteren Einzelheiten seines Vorbringens wird auf die Antragsschrift (Bl. 4 bis 22 d. A.) Bezug genommen.
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Der Antragsteller beantragt,
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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 5. Januar 2023 gegen die Entlassungsverfügung der Polizei Berlin vom 9. Dezember 2022 wiederherzustellen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag zurückzuweisen.
Randnummer19
Er macht geltend: Die negative Konnotation und die Kontextualisierung des Spruchs „Treue um Treue“, der an eine SS-Parole erinnere, seien geeignet, die charakterliche Eignung des Antragstellers bezüglich seiner Haltung zur freiheitlich demokratischen Grundordnung zu bezweifeln. Von Polizeianwärtern müsse erwartet werden können, dass sie sich mit Slogans, die auf persönlichen Profilen verwendet werden, auseinandersetzen und auf ihre Bedeutung hin überprüfen, selbst wenn eine mehrdeutige Wahrnehmung möglich erscheine. Er habe zu Beiträgen auf einer Seite, bei der es sich nicht um eine Satireseite handle, sein Gefallen ausgedrückt. Die sonstigen Kommentare unter den Beiträgen bestätigten, dass die Nutzer die Inhalte nicht als Humor verstünden. Dadurch, dass er den Seiten mit fremdenfeindlichen Beiträgen folge, distanziere er sich nicht klar von diesen Inhalten und toleriere damit konkludent diese Einstellung und Gesinnung. Die Beiträge bedienten rassistische Stereotypen, verunglimpften religiöse Traditionen und äußerten xenophobes Gedankengut. Das Verhalten des Antragstellers lasse Befürchtungen aufkommen, dass er mit nationalsozialistischem, rassistischem, antisemitischem und frauenfeindlichem Gedankengut sympathisiere. Diese Grenzüberschreitung kollidiere mit seiner Neutralitätspflicht. Seine Pflicht, für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzustehen, umfasse auch die Verpflichtung, alles zu unterlassen, was geeignet sei, den Anschein zu erwecken, verfassungsfeindliche Ansichten Dritter zu decken oder zu fördern. Die Einlassungen des Antragstellers seien reine Schutzbehauptungen. Die Radikalisierung beginne oft unter Gleichgesinnten und äußere sich später durch entsprechende Handlungen. Es sei ihm – dem Antragsgegner – nicht zuzumuten, bis zu diesem Stadium abzuwarten. Wegen der weiteren Einzelheiten seines Vorbringens wird auf den Schriftsatz vom 26. Januar 2023 (Bl. 69 bis 78 d. A.) verwiesen.
II.
Randnummer20
Der Antrag ist begründet, weil die durch § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO gebotene und vom Gericht selbstständig ohne die Beschränkung auf die Erwägungen der Behörde vorzunehmende Abwägung zugunsten des Antragstellers ausfällt. Der Ausgang des Widerspruchsverfahrens ist offen. Doch ist der Bescheid in der vorliegenden Fassung rechtswidrig. In dieser Situation überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Fortsetzung des Vorbereitungsdienstes, die dem Antragsgegner auch deshalb zuzumuten ist, weil der Antragsteller sich nach Aktenlage im Dienst unbeanstandet verhielt.
Randnummer21
A. Der rechtliche Ansatz ist nicht fraglich. Nach § 23 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG können Beamte auf Widerruf – wie der Antragsteller – jederzeit entlassen werden. Wie bei jeder staatlichen Handlung ist dazu mindestens ein sachlicher Grund verlangt. Zweifel an der Eignung sind jedenfalls bei geeigneten Anknüpfungstatsachen ein solcher Grund. Erweist sich der Beamte als nicht geeignet, dann ist er nach § 7 Abs. 3 Pol-LVO zu entlassen. Dahinstehen kann, ob es zwischen Eignungszweifeln im Sinne des § 23 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG und der erwiesenen Nichteignung im Sinne des § 7 Abs. 3 Pol-LVO einen Unterschied gibt. Denn die Rechtsfolge ist in beiden Fällen die gleiche. Es ist unerheblich, ob hier – wie es im Bescheid heißt – von einer charakterlicher Nichteignung auszugehen ist (zurückhaltend mit dem Begriff der „charakterlichen Eignung“, Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 6. Februar 1975 – BVerwG II C 68.73 –, BVerwGE 47, 330 [336]) oder ob an ihr nur Zweifel bestehen. In beiden Fällen ist dem Widerrufsbeamten keine Gelegenheit zur Beendigung des Vorbereitungsdienstes zu geben (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. April 2019 – OVG 4 S 16.19 –, Juris).
Randnummer22
Dem Antragsgegner steht bei Anwendung dieser Normen ein Beurteilungsspielraum zu, der nicht in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Die Kontrolle ist beschränkt darauf, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann verkannte, ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausging, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtete oder gegen Verfahrensvorschriften verstieß. Das Gericht darf nicht sein eigenes Eignungsurteil an die Stelle des des Dienstherrn setzen. Mit den bislang im Bescheid verwandten Argumenten verkannte der Antragsgegner die von ihm verwandten Begriffe und ging wiederholt von einem unrichtigen und unvollständigen Sachverhalt aus.
Randnummer23
1. Der Antragsgegner hält dem Antragsteller vor, dass er nicht mehr die Gewähr biete, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten zu wollen, wie es § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG verlangt. Es stellt einen sachlichen Grund für die Entlassung dar, wenn der Beamte daran (begründet) zweifeln lässt, dass er diese Pflicht erfüllen wird. Dieser Vorhalt des Antragsgegners geht entweder von einem verfehlten Begriffsverständnis aus oder beruht auf einem fehlerhaft wahrgenommenen Sachverhalt. Zur nötigen Verfassungstreue gelten im Wesentlichen jedenfalls für Polizeibeamte weiterhin die Maßstäbe des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 –, BVerfGE 39, 335. Danach fordert die politische Treuepflicht auch vom Widerrufsbeamten, dass er den Staat und seine Verfassung als einen hohen positiven Wert erkennt und anerkennt, für den einzutreten sich lohnt. Sie fordert umgekehrt vom Beamten, dass er sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren (siehe auch Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. November 1980 – BVerwG 2 C 38.79 –, NJW 1981, 1386, und Urteil vom 17. November 2017 – BVerwG 2 C 25.17 –, BVerwGE 160, 370 = NJW 2018, 1185 [1187]; Hess. Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 22. Oktober 2018 – 1 B 1594/18 –, NVwZ 2019, 248 [zur Entlassung eines Beamten auf Probe]; Masuch, Die Verfassungstreue als beamtenrechtliche Kernpflicht, ZBR 2020, 289). Die freiheitliche demokratische Grundordnung umfasst einige Grundprinzipien (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 –, NJW 2017, 611 [618 f.]). Sicher muss der Betroffene nicht alle Grundprinzipien ablehnen, damit man an seiner Verfassungstreue zweifelt. Doch wäre allein ein in Einzelfällen etwa mit der Menschenwürde unverträgliches Verhalten noch kein Beleg für eine verfassungsfeindliche Einstellung. Die dem Antragsteller vom Antragsgegner vorgehaltenen Beiträge (abgesehen von VV Bl. 45: „Früher war man ein Nazi, wenn man dem Führer folgte, heute ist man einer, wenn man Führerin und Oberbefehlsberin von IM ERIKA-BRDGMBH-Holding- Kanzlerin außer Dienst-Merkill Ferkill nicht folgt“) stehen in keinem Zusammenhang mit der Volkssouveränität, der Gewaltenteilung, der Verantwortlichkeit der Regierung, der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der Unabhängigkeit der Gerichte, dem Mehrparteienprinzip und der Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.
Randnummer24
a. Allerdings würde man eine Zustimmung des Antragstellers zu Beiträgen mit typisch nationalsozialistischem Gedankengut als ausreichenden Grund für Zweifel an seiner Verfassungstreue ansehen können. So hält der Antragsgegner dem Antragsteller vor, dass auf einer der von ihm abonnierten Seiten „offen Hakenkreuze und Bilder von Adolf Hitler veröffentlicht“ wurden. Sein Verhalten lasse Zweifel aufkommen, dass er mit nationalsozialistischem und rassistischem Gedankengut sympathisiere. Er nehme nationalsozialistische Inhalte hin. Das Gesamtergebnis des Verfahrens hat weder eine Zustimmung des Antragstellers zu derartigen Inhalten ergeben noch eine Hinnahme solcher Inhalte.
Randnummer25
Zwar hält der Antragsgegner dem Antragsteller vor, dass auf der patriotische_boomer_partei-Seite Hakenkreuze und Bilder von Adolf Hitler veröffentlicht wurden. Doch verfehlt der Antragsgegner die gebotene zutreffende Sinnermittlung jener Äußerungen (dazu etwa Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 21. März 2022 – 1 BvR 2650/19 –, NJW 2022, 1931 [1932 ab Rn. 15]), indem er nur reflexartig auf diese Symbole nationalsozialistischer Gesinnung reagiert. So sieht man zwar z.B. auf Bl. 112 des Verwaltungsvorgangs (VV) Adolf Hitler und ein halbes Hakenkreuz, aber auch Angela Merkel. Es ist abwegig, darin ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus oder auch nur – wie vom Antragsgegner in der Erörterung erklärt – die Aussage zu sehen, dass es gut sei, dass Angela Merkel die Tochter Adolf Hitlers sei. Die türkische Collage auf VV Bl. 119 mit Angela Merkel in einer SS-Uniform und nur knapp übermalten Hakenkreuzen wird man als grobe, unflätige Attacke auf Frau Merkel ansehen müssen, nicht aber als Bekenntnis zum Nationalsozialismus. Das gilt auch für die Fotomontage auf VV Bl. 123. Die Zusammenstellung von Hitler, Obama und Lenin ist ersichtlich kein Bekenntnis zum Nationalsozialismus, sondern soll vermeintliche Formen des Sozialismus ablehnen. Die wiederholte Verwendung des Wortes „Faschismus“ wie etwa in der im Bescheid zitierten Parole „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“, die wohl in verknappter Form ein Ziel der grundgesetzlichen Ordnung beschreibt, oder in dem auf die 16-jährige Bundeskanzlerschaft Frau Merkels bezogenen Satz „Wir leben seit 16 Jahren im FASCHISMUS!!!!!“ oder in dem Satz „Political correctness is fascism“ steht jeweils in einem Zusammenhang mit einer diesen bzw. die damit verglichene Gegebenheit ablehnenden Aussage.
Randnummer26
Verfehlt hält der Antragsgegner dem Antragsteller das Motto „Treue um Treue“ vor. Dass es den Antragsgegner an eine SS-Parole erinnert, ist unerheblich. Es steht nicht in Rede, dass es eine solche Parole ist. Woran sich der Antragsgegner durch das Motto – irrtümlich – erinnert fühlt, spielt dann keine Rolle. Der Antragsgegner hat auch in der Erörterung nicht erklären können, was an diesem für sich genommen nicht zu beanstandenden Motto auf Eignungszweifel führt. Er hat sich lediglich auf die Tatsache des Verbots der Verwendung dieses Mottos durch die Bundeswehr bezogen. Auf
https://augengeradeaus.net/2015/11/umstrittener-sinnspruch-treue-um-treue-jetzt-im-museum/ heißt es, diesen Sinnspruch hätten sich Fallschirmjäger für ihren Einsatz in Afghanistan gewählt; er finde sich auf einem Plakat, das die Fallschirmjäger im November 2010 vor den Resten eines beim Karfreitagsgefecht 2010 ausgebrannten Dingos aufhängten und das jetzt in einer Sonderausstellung des Militärhistorischen Museums in Dresden hänge. Das Gericht kann einer Parole, die in der Bundeswehr bis vor neun Jahren noch verwandt wurde, keinen Hinweis auf Verfassungsfeindlichkeit entnehmen. Selbst wenn es zuträfe, dass die Verwendung des Wahlspruchs „in der öffentlichen Wahrnehmung auch als Bekenntnis zu einer Traditionslinie Wehrmacht – Bundeswehr aufgefasst wird“, ergäbe das nicht, dass Verwender dieses Wahlspruchs den Angriffskrieg unter nationalsozialistischer Führung und zu deren Zwecken sowie deren Ideologie befürworteten.
Randnummer27
b. Verfehlt hält der Antragsgegner dem Antragsteller das Hinnehmen antisemitischer Inhalte vor. Weder der im Bescheid zitierte Text („Heute vor 77 Jahrne ...“) noch die wiederholt verwendeten jüdisch-israelischen Zeichen/Bilder (VV Bl. 23 [Netanjahu mit Davidstern], VV Bl. 24 [israelische Flagge, Chanukka-Leuchter und hebräische Buchstaben], VV Bl. 44 [„Es ist unsere historische Verantwortung Israel so viele Waffen wie möglich zu schenken. Jeder der das nicht will, ist ein dreckiger Antisemit“], VV Bl. 117 [„Homosexuelle in Israel dürfen bald Eltern werden. Aber Israel soll ja laut den Gutmenschen homophob sein. Bin gespannt, wann so etwas von unseren lieben Islamofaschisten kommt“]) lassen auch unter Annahme von Satire keinen antisemitischen Inhalt erkennen. Für den mit der Parole „Berlin sicher machen für Juden und Schwule“ verbundenen Aufruf, Marcel Goldhammer (nach eigenen Angaben [https://marcelgoldhammer.de/] Vorsitzender der Juden in der AfD) und die AfD zu wählen (VV Bl. 26), gilt Gleiches.
Randnummer28
Verfehlt hält der Antragsgegner dem Antragsteller die Verharmlosung des Holocausts vor. Die Maßlosigkeit der diesbezüglichen Äußerungen (z. B. die im Bescheid zitierte „Heute vor 77 Jahrne ...“) liegt aber nicht darin, dass der Holocaust verharmlost wird, sondern darin, dass ausgehend von der Ungeheuerlichkeit und Maßlosigkeit des Holocausts die Maßnahmen zum Schutz vor Coronainfektionen mit diesem Verbrechenskomplex gleichgesetzt werden. Der Fehler der jeweiligen Gleichung (etwa „Impfung = Eugenische Maßnahme, Völkermord“) liegt auf der linken Seite der Gleichung, nicht der rechten.
Randnummer29
2. Verfehlt hält der Antragsgegner dem Antragsteller die Tolerierung frauenfeindlicher oder frauenverachtender Inhalte sowie die Verhöhnung von Opfern von Sexualstraftaten vor. Er stützt das darauf, dass der Antragsteller seine Zustimmung zu den im Bescheid zitierten Sätzen zur Impfpflicht und einer Vergewaltigung erklärte. Der erste Satz enthält eine falsche Aussage, weil man mit einer Impfung eine etwa bestehende Impfpflicht nicht umgeht, sondern erfüllt. Der kommentierende Satz des Profils „timm.kellner“ will dies offenbar durch den Vergleich mit demjenigen verdeutlichen, dem eine Vergewaltigung droht und der diese mit „freiwilligem“ Geschlechtsverkehr umgeht. Wer diesen unter den Gegebenheiten des § 177 StGB geschehen lässt, „umgeht“ die Vergewaltigung aber gerade nicht und handelt nicht freiwillig.
Randnummer30
3. Die Erörterung hat anschaulich bekräftigt, dass der Antragsgegner den Begriff der Neutralitätspflicht, die aus dem im Bescheid zitierten § 33 BeamtStG abgeleitet wird, verkennt. Zwar hat er eingeräumt, dass auch Beamte eine Meinung haben dürfen. In der Erörterung der einzelnen Bilder hat er aber verdeutlicht, dass es sich dabei nur um Meinungen handeln dürfe, die etwa Regierungsparteien oder Regierungsmaßnahmen nicht kritisieren. So hat der Antragsgegner in der Erörterung etwa VV Bl. 29 („Andere Länder machen auf – Merkel macht alles dicht. Die spinnen in der Bundesregierung“), VV Bl. 30 („Ironie des Jahres 2021: Um bei McDonald’s essen zu können braucht man einen Gesundheitspa[ss]“), VV 47 („Political correctness is fascism“), VV Bl. 55 („Mehr Wald, verbessert unsere Luft. Weniger Grüne unser Klima“), VV Bl. 65 („Unfassbar!!!! Die Öffnung der Grenzen 2015 war gegen das Grundgesetz!!!!“) oder VV Bl. 70 („Das ist nicht meine Kanzlerin!“) für seine Entscheidung herangezogen. Er hat in der im Bescheid zitierten Passage auf VV Bl. 20 („Ich trinke Coca Cola ...“) einen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht gesehen, weil sich ein Beamter für alle Bevölkerungsgruppen einsetzen müsse. Er hat ihm vorgehalten, dass die Instagram-Seite staatliche Medien als Verbreiter von „Fake News“ (VV Bl. 105: „So verzerren die Staatssender die Realität“) bezeichnet. Der Antragsgegner verkannte damit, dass Beamte ihre Meinungsäußerungsfreiheit nicht mit der Aushändigung der Ernennungsurkunde abgeben und der Antragsteller der Seite nicht als Beamter erkennbar folgte (vgl. Lindner, Die politische Neutralitätspflicht des Beamten, ZBR 2020, 1).
Randnummer31
4. Der Antragsgegner entschied auf unvollständiger Tatsachengrundlage, weil er eine Gesamtwürdigung des Verhaltens des Antragstellers unter Berücksichtigung aller aus dem Beamtenverhältnis bekannten Umstände unterließ (vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. September 2022 – OVG 4 S 29/22 –, Abdruck Seite 3 zur Einstellung). So hätte sich der Antragsgegner mit den fachpraktischen Leistungsbewertungen und auch der Stellungnahme des Kriminalhauptkommissars auseinandersetzen müssen. Dabei wäre es nicht darum gegangen, beispielsweise maßlose Äußerungen gegen gute Leistungen aufzuwiegen. Vielmehr wäre zu prüfen gewesen, ob sich sagen lässt, dass sich die beanstandeten Zustimmungen in ein Bild vom Antragsteller fügen oder dass der Antragsteller sein wahres Gesicht im Dienst verhüllt.
Randnummer32
B. Trotz der aufgezeigten Mängel ist der für die Interessenabwägung maßgebliche voraussichtliche Ausgang des Widerspruchsverfahrens offen. Denn es steht nicht fest, dass der Antragsteller auch bei Vermeidung der angeführten Fehler zu entlassen ist. Die vom Antragsgegner zur Untermauerung seiner Position angeführten erstinstanzlichen Entscheidungen (Verwaltungsgericht München, Urteil vom 24. November 2020 – M 5 K 20.883 –; Verwaltungsgericht Freiburg, Urteil vom 23. März 2021 – 3 K 2383/20 –; Verwaltungsgericht Greifswald, Urteil vom 28. Januar 2022 – 11 A 1963/20 HGW –) betreffen anders gelagerte Sachverhalte und ersetzen die geforderte Gesamtwürdigung nicht.
Randnummer33
Es steht aber unter Anerkennung des Beurteilungsspielraums des Antragsgegners auch nicht fest, dass der Antragsteller im Dienst zu belassen ist. Denn es lässt sich nicht sagen, dass das Verhalten des Antragstellers rundum bedenkenfrei war. Jedenfalls die Gleichsetzung von (Bundeskanzler) Scholz und (Adolf) Hitler (VV Bl. 21), die Aussage „Wir leben seit 16 Jahren im FASCHISMUS!...“ (VV Bl. 32), die Verunstaltung Frau Merkels mit Schweineohren (VV Bl. 39), der Anklang an Reichsbürgerphrasen (BRD-GmbH-Holding, VV Bl. 45), die Übernahme der türkischen Verunstaltung Frau Merkels (VV Bl. 119) und die Gleichsetzung bundesdeutscher Politiker mit Angeklagten im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess (VV Bl. 124) wären für einen Beamten Äußerungen, die gegen seine Mäßigungspflicht nach § 33 Abs. 2 BeamtStG verstoßen. Zwar hat der Antragsteller auch in der Erörterung wiederholt darauf hingewiesen, dass nicht er diese Äußerungen verbreitete, sondern er nur die Seite abonniert hatte, auf der sie verbreitet wurden. Indes hat er nicht plausibel erklären können, warum er die Seite der patriotische_boomer_partei oder die des verurteilten Straftäters abonnierte, einigen Äußerungen zustimmte und sein Abonnement nicht beendete, als die maßlosen Äußerungen auftauchten. Seine fadenscheinige Berufung auf Satire ist unerheblich, weil einem Beamten auch Satire (zu deren Grenzen etwa Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 15. Mai 2018 – 7 U 34/17 –, Juris ab Rn. 146 [Böhmermann ./. Erdogan]) nicht maßlos erlaubt ist. Das Gericht nimmt ihm auch nicht ab, dass er nicht wusste, wem er folgt. Es teilt die Formulierung aus dem Vermerk über die Gefährderansprache, dass der Antragsteller einen informierten und kontrollierten Eindruck ohne jugendlichen Leichtsinn oder Naivität vermittelt habe, zumal da er sich zur (zulässigen) Kritik an den Coronaschutzmaßnahmen bekannte. Dahinstehen kann, ob die Auffassung des Antragsgegners zutrifft, dass die Polizei es nicht tolerieren könne, Personen auszubilden, die nur den geringsten (!) Zweifel an ihrer Integrität und der gebotenen Loyalität und Zuverlässigkeit aufkommen lassen (Antragserwiderung Seite
. Mangels dienstlicher Auffälligkeiten des Antragstellers fällt die Abwägung bei offenem Ausgang des Widerspruchsverfahrens zu seinen Gunsten aus, weil die Unterbrechung des Vorbereitungsdienstes für ihn weitere Nachteile bringt als den Verlust der Besoldung und Beihilfe.
Randnummer34
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Den Streitwert hat das Gericht nach den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG bestimmt.