Ein Evergreen: Kein berechtigtes Interesse an der Ausstellung eines Staatsagehörigkeitsausweises.
Die Kollegen im Landratsamt O (Ostalbkreis?) machen es richtig: Irgendwann einfach nicht mehr antworten und es auf eine Untätigkeitsklage ankommen lassen.
Spoiler
VG Stuttgart Beschluß vom 7.1.2020, 4 K 1469/19
Leitsätze
1. Ohne Vorliegen eines Sachbescheidungsinteresses hat ein Bürger keinen Anspruch gegenüber der Staatsangehörigkeitsbehörde, auf seinen Antrag hin das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit feststellen zu lassen.
2. Das Vorliegen eines anerkennenswerten Interesses am behördlichen Tätigwerden ist eine verwaltungsverfahrensrechtliche Sachentscheidungsvoraussetzung, so dass die Behörde bei fehlendem Sachbescheidungsinteresse jedenfalls nicht zur Sache entscheiden muss.
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
I.
1
Der am ...1957 geborene Kläger beantragte beim Landratsamt O mit Schreiben vom 01.11.2018, ihm einen Staatsangehörigkeitsausweis auszustellen. Zur Begründung brachte der Kläger vor, der Staatsangehörigkeitsausweis sei das einzige Dokument, mit dem das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit in allen Angelegenheiten, für die es rechtserheblich sei, verbindlich festgestellt werde. Der deutsche Reisepass und der deutsche Personalausweis seien kein Nachweis für die deutsche Staatsangehörigkeit, sie begründeten nur eine Vermutung, dass der Inhaber die deutsche Staatsangehörigkeit besitze.
2
In dem am 01.11.2018 unterschriebenen Antrag auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises gab der Kläger u.a. an, er besitze einen am 27.07.2010 ausgestellten Bundespersonalausweis und einen am selben Tag ausgestellten deutschen Reisepass. Die deutsche Staatsangehörigkeit habe er früher nicht verloren. Er sei außerdem im Besitz der Staatsangehörigkeit des Königreichs Preußen.
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Mit Schreiben vom 21.11.2018 teilte das Landratsamt O dem Kläger mit, bereits durch die Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit vom 5. Februar 1934 seien die Staatsangehörigkeiten in den deutschen Ländern entfallen und es sei eine einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit geschaffen worden. In der Bundesrepublik Deutschland gebe es deshalb keine weitere Staatsangehörigkeit eines früheren Teilstaates. Für die Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises bestehe kein schutzwürdiges Sachbescheidungsinteresse. Die deutsche Staatsangehörigkeit des Klägers sei weder zweifelhaft noch klärungsbedürftig und werde auch nicht durch eine Behörde infrage gestellt.
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Mit Schreiben vom 25.11.2018 trug der Kläger weiter vor, der Gesetzestext des § 30 Abs. 3 StAG stelle keine Vorgaben im Hinblick auf die Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises. Er sehe auch keine Verweigerungsmöglichkeit für die Staatsangehörigkeitsbehörde vor, wenn die deutsche Staatsangehörigkeit festgestellt sei.
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Mit Bescheid vom 05.12.2018 lehnte das Landratsamt O den Antrag des Klägers auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises ab und führte zur Begründung aus, es sei ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, dass ein berechtigtes Feststellungsinteresse vorliegen müsse. Die Verwaltung dürfe nicht für ersichtlich nutzlose oder unlautere Zwecke missbräuchlich in Anspruch genommen werden. Ein schutzwürdiges Sachbescheidungsinteresse liege nicht vor, wenn die deutsche Staatsangehörigkeit unzweifelhaft feststehe und auch offensichtlich kein nachvollziehbarer Klärungsgrund vorliege. Die Möglichkeit zur Ausübung staatsbürgerlicher Rechte wie die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen und das Besitzen des deutschen Personalausweises und des Reisepasses seien Indizien für das unzweifelhafte Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit. Der Kläger habe bei der Antragstellung durch Vorlage von Unterlagen belegt, dass er deutscher Staatsangehöriger sei. Zweifel darüber bestünden keine. Der Kläger habe sein bisheriges Leben in Deutschland verbracht, besitze einen deutschen Reisepass und könne seine deutsche Abstammung nachweisen. Die deutsche Staatsangehörigkeit werde auch nicht von einer Behörde infrage gestellt. Damit fehle vorliegend ein schutzwürdiges Sachbescheidungsinteresse. Die Missbräuchlichkeit des Begehrens des Klägers ergebe sich aus den bei der Antragstellung gemachten Angaben. Als Geburtsort führe der Kläger E im Königreich Preußen an. Weiter habe er angegeben, die Staatsangehörigkeit des Königreichs Preußen zu besitzen. Dies belege hinreichend, dass der Kläger zu den so genannten „Reichsbürgern“ zähle.
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Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 19.12.2018 Widerspruch ein und brachte zur Begründung vor, er benötige den Staatsangehörigkeitsausweis, um als natürliche Person die volle Rechts- und Geschäftsfähigkeit in allen Angelegenheiten zu erlangen. Die volle Rechts- und Geschäftsfähigkeit könne nur erlangt werden, wenn man die deutsche Staatsangehörigkeit verbindlich nachweisen könne. Das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg habe auf eine Kleine Anfrage mit Schreiben vom 02.05.2017 geantwortet, der Staatsangehörigkeitsausweis sei das einzige Dokument, mit dem das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit in allen Angelegenheiten, für die es rechtserheblich sei, verbindlich festgestellt werde. Der deutsche Reisepass und der deutsche Personalausweis begründeten nur eine Vermutung, dass der Inhaber die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Es bestehe ein grundrechtlicher Anspruch, den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit verbindlich nachweisen zu können. Er habe keine Staatsangehörigkeit eines früheren Teilstaats beantragt, sondern nur die Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit. Weiter habe er nie die Existenz oder die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland durch Wort, Schrift und Bild infrage gestellt.
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Am 04.03.2019 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben und zur Begründung geltend gemacht, über seinen Widerspruch sei ohne zureichenden Grund in angemessener Frist nicht entschieden worden.
II.
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Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO liegen nicht vor. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
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Die Klage ist zwar zulässig. Insbesondere fehlt es ihr nicht an dem für jede Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes erforderlichen allgemeinen Rechtsschutzinteresse. Dass es dem an den Beklagten gerichteten Antrag des Klägers auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit und Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises - wie noch auszuführen sein wird - an dem erforderlichen Sachbescheidungsinteresse fehlt, führt nicht zur Unzulässigkeit der Klage, sondern zu deren Unbegründetheit. Aus der Sicht des Verwaltungsprozesses ist das Sachbescheidungsinteresse des Klägers an der beantragten behördlichen Entscheidung eine materiell-rechtliche Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch und keine Sachurteilsvoraussetzung. Das Interesse an einer gerichtlichen Entscheidung ergibt sich gerade aus dem Streit über das Sachbescheidungsinteresse (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.06.2004 - 7 B 92.03 - NVwZ 2004, 1240 ff.).
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Die zulässige Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch nach § 30 Abs. 1 Satz 1 StAG auf die beantragte Feststellung seiner deutschen Staatsangehörigkeit und dementsprechend auch keinen Anspruch nach § 30 Abs. 3 Satz 1 StAG auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises.
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Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 StAG wird das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit auf Antrag von der Staatsangehörigkeitsbehörde festgestellt. Die Feststellung ist in allen Angelegenheiten verbindlich, für die das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit rechtserheblich ist (§ 30 Abs. 1 Satz 2 StAG). Wird das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit auf Antrag festgestellt, stellt die Staatsangehörigkeitsbehörde einen Staatsangehörigkeitsausweis aus (§ 30 Abs. 3 Satz 1 StAG). Auch wenn der Wortlaut des § 30 Abs. 1 Satz 1 StAG nur auf einen entsprechenden Antrag abstellt und weitere Voraussetzungen nicht normiert sind, so hat das nicht zur Folge, dass jedermann ohne Vorliegen eines Sachbescheidungsinteresses Anspruch darauf hat, auf seinen bloßen Antrag hin das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit feststellen zu lassen (vgl. VGH München, Beschl. v. 08.08.2018 - 5 ZB 18.844 - juris -; OVG Greifswald, Beschl. v. 05.09.2018 - 1 O 715/18 OVG - DVBl 2019, 513; VG Potsdam, Urt. v. 14.03.2016 - VG 8 K 4832/15 - juris - und Urt. v. 31.03.2017 - 9 K 4791/16 - InfAuslR 2017, 295; VG Schleswig, Urt. v. 11.01.2017 - 9 A 227/16 - juris -; VG Magdeburg, Urt. v. 09.09.2016 - 1 A 88/16 - juris -; VG Lüneburg, Urt. v. 05.04.2017 - 6 A 525/16 - juris -; VG Hamburg, Urt. v. 10.01.2017 - 2 K 6629/15 - juris -; VG Berlin, Urt. v. 28.04.2017 - 2 K 381.16 - AuAS 2017, 123; VG Cottbus, Urt. v. 21.12.2017 - 3 K 757/16 - juris -; VG Köln, Urt. v. 29.11.2017 - 10 K 1296/16 - juris - und Urt. v. 04.12.2018 - 10 K 538/17 - juris -).
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Auch das Bundesverwaltungsgericht geht vom allgemeinen Grundsatz aus, dass jede Verwaltungstätigkeit ein - wie auch immer geartetes - öffentliches oder privates Bedürfnis zu befriedigen hat und deshalb dann zumindest unterbleiben darf und in der Regel wohl auch unterbleiben muss, wenn sie ohne jeden erkennbaren Sinn ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.11.1976 - VII B 21.76 - Buchholz 442.16 § 27 StVZO Nr. 2). Das Vorliegen eines anerkennenswerten Interesses am behördlichen Tätigwerden ist eine verwaltungsverfahrensrechtliche Sachentscheidungsvoraussetzung, so dass die Behörde bei fehlendem Sachbescheidungsinteresse jedenfalls nicht zur Sache entscheiden muss (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.03.1973 - IV C 49.71 - BVerwGE 42, 115; Urt. v. 17.10.1989 - 1 C 18/87 - BVerwGE 84, 11; Urt. v. 06.08.1996 - 9 C 169.95 - BVerwGE 101, 323; Beschl. v. 30.06.2004 - 7 B 92.03 - BayVBl 2004, 728 und Urt. v. 22.02.2012 - 6 C 11/11 - BVerwGE 142, 48).
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Es kann auch nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 30 StAG im Jahr 2007 (BGBl I S. 1970) jedermann einen Anspruch auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der deutschen Staatsangehörigkeit und damit auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises bzw. einer Bescheinigung über das Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit (vgl. § 30 Abs. 3 Satz 2 StAG) zuerkennen wollte, ohne dass dafür ein schutzwürdiges Interesse besteht; da jedermann entweder deutscher Staatsangehöriger ist oder es nicht ist, wäre der Kreis der anspruchsberechtigten Personen ersichtlich zu weit (vgl. VGH München, Beschl. v. 08.08.2018 - 5 ZB 18.844 - juris -).
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Mit der Neuregelung wurde nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 16/5065 S. 230 f.) die behördliche Entscheidung in einem Verfahren zur Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit als rechtsgestaltender Verwaltungsakt ausgestaltet, um die deutsche Staatsangehörigkeit verbindlich für alle Behörden festzustellen. Der bis dahin von einer deutschen Staatsangehörigkeitsbehörde auf Antrag ausgestellte Staatsangehörigkeitsausweis habe nur den Charakter einer widerleglichen Vermutung gehabt und sei nicht verbindlich gewesen. Zur Herstellung von Rechtssicherheit für den Betroffenen sei deshalb auch für den Nachweis der Staatsangehörigkeit eine Verbindlichkeitsregelung geboten. Die deutsche Staatsangehörigkeit sei insbesondere für das davon abhängende Wahlrecht und die Ausstellung von Personaldokumenten von hoher Bedeutung. Auch diese Gesetzesbegründung (Herstellung der Rechtssicherheit für die aus der Staatsangehörigkeit abzuleitenden Rechte) spricht dafür, dass ein Anspruch auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit nicht anlasslos besteht (vgl. VGH München, Beschl. v. 08.08.2018 - 5 ZB 18.844 - juris -).
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Darüber hinaus ist grundsätzlich der Erlass eines Verwaltungsakts zur verbindlichen Feststellung einer Rechtslage nur erforderlich, wenn Zweifel bestehen, ob eine bestimmte Rechtslage gegeben ist, wenn also etwas zu klären ist; liegen keine Zweifel vor, ist nichts zu klären (vgl. VGH München, Beschl. v. 08.08.2018 - 5 ZB 18.844 - juris -). Insoweit muss auch dem Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts grundsätzlich ein Sachbescheidungsinteresse zu Grunde liegen.
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Der Kläger hat ein Sachbescheidungsinteresse nicht dargelegt; es ist auch keines ersichtlich. Es besteht kein Zweifel daran, dass er deutscher Staatsangehöriger ist. Die deutsche Staatsangehörigkeit des Klägers wird von niemandem, insbesondere nicht von deutschen oder ausländischen Behörden, bestritten. Der Kläger wurde als Kind deutscher Eltern auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland geboren, wird seit seiner Geburt als deutscher Staatsangehöriger behandelt, im Melderegister als deutscher Staatsangehöriger geführt und ist im Besitz eines gültigen deutschen Reisepasses und eines gültigen deutschen Personalausweises. Dass die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte, wie beispielsweise die Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen, auch nur fraglich sein könnte, ist nicht bekannt. Er kandidiert auch weder für ein öffentliches Amt noch hat er konkrete Absichten zum Grunderwerb im Ausland. Warum zum Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit gerade ein Staatsangehörigkeitsausweis erforderlich oder auch nur nützlich sein könnte, ist vom Kläger nicht dargelegt worden. Nach § 30 Abs. 2 Satz 1 StAG ist es für die Feststellung des Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit erforderlich, aber auch ausreichend, wenn durch Urkunden, Auszüge aus den Melderegistern oder andere schriftliche Beweismittel mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist, dass die deutsche Staatsangehörigkeit erworben worden und danach nicht wieder verloren gegangen ist. Der Kläger verfügt über all diese Nachweise. Dafür, dass der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit irgendwann verloren hätte, gibt es keine Anhaltspunkte.
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Besteht kein Anspruch auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit, hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises nach § 30 Abs. 3 Satz 1 StAG.