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Am Tag nach der Festnahme von Thomas O.s Tochter sollte wieder gegen die Lauterbach-Verschwörer verhandelt werden. Doch Thomas O. erlitt einen Zusammenbruch, er wurde vom Notarzt ins Krankenhaus gebracht, der Prozesstag wurde abgesagt.
Was sie mit den Leibwächtern machen wollten? Nur "ausschalten", sagt ein Angeklagter
So sehr sich auf den ersten Blick alles anhört wie ein großer Irrwitz, die Bundesanwaltschaft nimmt die Pläne der Gruppe, die sich „Vereinte Patrioten“ nannte ernst. Sie sind ja nicht die Ersten, die die Bundesrepublik abschaffen wollen. Überall tun sich gerade Enttäuschte, Erbitterte, Erzürnte zusammen, die das Gefühl haben, es nicht mehr auszuhalten in diesem Land, und die mit Gewalt gegen die Regierung vorgehen wollen. Das war schon so bei der rechtsradikalen „Gruppe S.“, die seit zwei Jahren in Stuttgart vor Gericht steht. Die Bundesanwaltschaft hat gerade bis zu sieben Jahre Haft für sie gefordert. Deren Mitglieder wollten durch Anschläge auf Moscheen einen Bürgerkrieg in Deutschland entfachen. Danach versuchten Corona-Skeptiker und Rechtsradikale, das Reichstagsgebäude in Berlin zu stürmen. Und dann flogen die „Vereinten Patrioten“ auf. Sie wollten keinen Bürgerkrieg wie die „Gruppe S.“, sondern einen flächendeckenden, wochenlangen Stromausfall. Währenddessen wollten sie in Berlin eine konstituierende Versammlung abhalten, mit 300 deutschen Männern, ja, wirklich nur Männern, die das Reich von 1871 wieder in Kraft setzen wollten – nur ohne Kaiser und mit Frauenwahlrecht. Damit die Bürger sehen, dass sie es ernst meinten, wollten sie Gesundheitsminister Lauterbach aus einer laufenden Fernsehsendung entführen und ihn mit Haftbefehl festsetzen. Was sie mit seinen Leibwächtern machen wollten, ist ein Teil der Wahrheitsfindung im Prozess: Nur „ausschalten“, sagt ein Angeklagter. „Dabei ihren Tod in Kauf nehmen“, sagt die Staatsanwaltschaft.
Man kann während des Prozesses vor dem Oberlandesgericht Koblenz in eine Gedankenwelt eintauchen, die einen oft sprachlos macht und die Frage aufwirft, was da in den vergangenen Jahren passiert ist. Mit den Menschen. Mit ihren Köpfen. Mit ihren Seelen. Und wie in aller Welt die Gesellschaft solche Leute zurückgewinnen soll.
Da ist Doktor Elisabeth R., 76, habilitiert in praktischer Theologie, langjährige katholische Religionslehrerin, Buchautorin. Die Frau, die mit langem Silberhaar durch den Gerichtssaal schreitet. Das Land Hessen hat ihr wegen ihrer antidemokratischen Haltung die Pension gestrichen. Das ist nichts, was sie bremst. Elisabeth R. will mit akademischem Titel als Professor Doktor R. angesprochen werden und mit einer Reihe von Namen, die sich aus ihrer Herkunft ergeben, die aber nicht in ihrem Personalausweis stehen. Diesen Ausweis lehnt sie ohnehin ab. Sie nennt ihn „Personal-Vieh-Ausweis“, der ihrer Persönlichkeit nicht gerecht werde. „Wie möchten Sie von mir angesprochen werden?“, fragt die Vorsitzende Richterin Anne Kerber, eine Frau Ende 50 von großer Leidensfähigkeit. Elisabeth R. antwortet: „Als Spross eines Gottes, eines Menschen, als Frau Professor Doktor R.“ – „Frau Professor kriegen Sie von mir nicht“, sagt Richterin Kerber. „An das andere versuche ich, mich zu erinnern.“
Vor Gericht geht Elisabeth R. sofort zum Angriff über: Sie nennt die Bundesanwälte, die die Anklage vertreten, „Mittäter am Genozid an den Deutschen“, „Hochverräter an den Deutschen“, wirft ihnen „kriminelle Unterschlagung von Beweismitteln“ vor und einen geringen Verstand.
Ihre Erzählung geht so: Sie sei nie Teil einer Terrorgruppe gewesen, „es gab keinen Zusammenschluss“, die Gruppe sei ein „reines Spukgespenst“, ihr das zu unterstellen, zeuge von „besorgniserregender Wahrnehmungsferne“. Immer wieder geht die Bundesanwaltschaft dazwischen, vor allem dann, wenn R. ganz offensichtlich den Holocaust leugnet. Einmal zitiert sie dubiose Quellen, wonach es vor 1939 weltweit vierzehn Millionen Juden gegeben habe, nach 1945 aber fünfzehn Millionen – eine Million mehr. Was nichts anderes bedeutet, als dass der Holocaust an sechs Millionen Juden nicht stattgefunden hätte. Sie zitiert auch einen frühen Knesset-Abgeordneten, der sich in den Sechzigerjahren kämpferisch dagegen aussprach, Reparationszahlungen von Deutschland für die Toten zu akzeptieren – mit den zynisch überspitzten Worten: „Ein Glück, dass sechs Millionen umgebracht wurden, weil wir jetzt Geld dafür bekommen.“ R. interpretiert das als Indiz dafür, dass doch alles im Sinn der Juden war.
„Jetzt ist die Grenze erreicht“, sagt Oberstaatsanwalt Wolfgang Barrot. „Sie bewegen sich im Bereich der Holocaustleugnung.“ Und die ist strafbar. „Ich kann nichts für Ihren Verstehenshorizont“, gibt Elisabeth R. zurück und schiebt nach: „Maßgeblich ist, was ich sage.“ Dann wird ihre Stimme plötzlich sehr kräftig. „Ich bin nicht für Ihren Verstand verantwortlich.“
Dann wettert ein Angeklagter gegen Warteschleifen, vegane Wurst und Doppelnamen
Selbst wenn sie nicht spricht, scheint die Angeklagte zu beben. Ein einziger innerer Tumult, den ihr Anwalt nur mühsam kanalisieren kann. Mehr als sieben Tage hat sich R. vor Gericht erklärt. Sie sagt Sätze wie diesen: „Ich habe mich nicht zu schade gefunden, die Verhaftung zu provozieren, um das okkult-politische System zu entlarven.“ Man muss das nicht verstehen, die meisten im Saal verstehen es nicht. Um es kurz zu machen: Sie sieht keinerlei Grund, ihr die Rädelsführerschaft in einer Terrorbande vorzuwerfen. Sie habe sich doch nur siebenmal mit den anderen getroffen, nur fünfzehnmal in drei Monaten mit Sven B. und Michael H. telefoniert. Es gibt Menschen, die treffen ihre engsten Freunde nicht so oft wie R. ihre mutmaßlichen Verschwörer. Aber das ist für sie ohnehin nicht so wichtig. Denn: Sie fühlt sich im Recht. Das hat sie mit Sven B. gemeinsam.
Obwohl Sven B. auf der Anklagebank sitzt, ist er bester Laune. Wie er da so redet, dieser kleine, kompakte Bilanzbuchhalter mit Igelfrisur und Berliner Schnauze, hat man das Gefühl, er genieße seinen Auftritt. Endlich darf er mal alles sagen, was er schon immer sagen wollte. Sven B., 56, erklärt also erst mal, wie er die Welt sieht: In der DDR war alles besser. Die Russen sind unsere besten Freunde. Er kennt sich da aus, er hat zwei Jahre als Elektriker an der Druschba-Pipeline in Russland gearbeitet. Er sagt Sätze wie: „Vielleicht brauchen wir mal wieder eine Grundreinigung durch den Russen, die hat es im Westen ja nie gegeben.“
Dann legt er los, 90 vollgeschriebene Seiten hat er vor sich liegen: sein Leben und was es mit dem zu tun hat, was ihm hier vorgeworfen wird. Es gefällt ihm nichts, weder das Warten in der Telefonwarteschleife noch der Berliner Flughafen BER, weder die Euro-Geldscheine noch Doppelnamen, vegane Wurst, Windenergie, E-Autos und das Rauchverbot in Kneipen – all das seien Erfindungen des Westens, die ihn, den überzeugten Ossi, bevormunden wollten. Und als er dann seinen Job als Dozent verlor, weil er sich weigerte, sich gegen Covid impfen zu lassen, war es ganz aus.
Das Einzige, was er richtig gut findet, ist: sich selbst. Immer der Beste, als Dozent für Bankkaufleute, als „hervorragender“ Finanzbuchhalter, so rühmt er sich. Er hält sich für den Einzigen, der Durchblick hat. Auf andere schaut er herab. „Karlchen“ nennt er den Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, den er und seine Freunde während einer laufenden Fernsehsendung entführen wollten. Er duzt auch „Olaf“, den Bundeskanzler, den er samt seiner demokratisch gewählten Regierung stürzen wollte.
2021 war er überzeugt davon, zwangsgeimpft zu werden. Also wollte er sich mit anderen Veteranen von „Besatzern oder was auch immer befreien“. Wie das gehen sollte, fragt die über die Maßen geduldige Richterin. „Wenn Sie in die Öffentlichkeit wollen, müssen Sie eine Aktion machen, wo man auf einen Schlag berühmt wird“, sagt Sven B. „Damit man über TV und Internetkanäle klarmacht, schaut her, wir sind dabei, uns zu gründen.“ Und das mit dem Blackout? „Die erste Idee war, man müsste alle Medienhäuser stürmen, weil die so einseitig berichten, aber das waren zu viele, dann kam die Idee, wir schalten den Strom ab.“ Wochenlang, in ganz Deutschland. Dafür überlegte man Anschläge auf Umspannstationen.
Die Richterin fragt nach der geplanten Entführung von Lauterbach. Vor allem dazu, wie man seinen Personenschützer ausschalten wollte. Zwischendurch wird ein Video vorgeführt von der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung von Sven B. Oberstaatsanwalt Wolfgang Barrot sitzt ihm da gegenüber, der auch die Anklage im Gerichtssaal vertritt. Er hält Sven B. vor: „Sie können mir doch nicht ernsthaft sagen, dass die Waffen nicht eingesetzt werden sollten?“ Man sieht Sven B. grinsen. Barrot sagt: „Sie sind doch selbst Soldat gewesen. Sie rüsten die (Gruppe) mit Kriegswaffen und Schutzkleidung aus. Sie müssen doch damit gerechnet haben, dass das passieren kann.“ – „Wir waren noch nicht so weit. Es stand noch nicht zur Debatte“, antwortet Sven B., da geht ihn Barrot an: „Das glaube ich Ihnen nicht, dass Sie daran nicht gedacht haben. Der verdeckte Ermittler hat gesagt, die Tötung der Personenschützer wurde in Kauf genommen.“ – Das Landeskriminalamt hatte mindestens zwei verdeckte Ermittler in die Gruppe eingeschleust. Dann antwortet Sven B. doch: „Ja, das wurde diskutiert, da wurde gefragt: Hat jemand schon mal jemand erschossen? Da war Stille im Raum.“ Aber man müsse ja nicht immer jemanden erschießen, wenn man etwas erreichen wolle. „Wieso hält dann da jemand ein Referat über abgesägte Schrotflinten, wenn es friedlich laufen soll“, fragt die Richterin. „Weil es die Leute interessiert“, sagt Sven B.
Einer sagt es so: Sie wollten doch nur das Deutsche Reich wieder handlungsfähig machen
Zum Schluss sagt Sven B. noch: „Ich kann und werde nicht bereuen, für die Freiheit einzustehen.“ Es sei seine Bürgerpflicht, die Demokratie wieder herzustellen. Er bedauere nur, wie „hier in Dunkeldeutschland“, in Koblenz, U-Häftlinge behandelt werden. „In Russland kommen politische Gefangene nur in Hausarrest, hier sitze ich in Isolationshaft.“ Putin-Kritiker wie Alexej Nawalny oder Boris Nemzow, die Gift- und Mordanschlägen zum Opfer fielen, blendet er aus. Sven B. möchte auch gern mit vollem Namen genannt werden, er fühlt sich als Märtyrer der Bewegung. Die SZ kürzt seinen Namen ab wie die aller anderen Angeklagten. Der Mann scheint für diese Demokratie verloren zu sein. Und er ist stolz drauf.
Es gibt da noch die anderen, die offenbar bereuen, in den Strudel der Verschwörer geraten zu sein. Da ist Thomas K., den Sven B. immer nur „Schorsch“ nennt, weil er zwar in der DDR aufgewachsen ist, aber mit seiner Familie in Bayern lebt. Dieser „Schorsch“ trägt Glatze, Backenbart und fast immer rote Anstaltskleidung. Thomas K. lässt seine Anwälte vortragen, er habe die Umsturzpläne für viel zu kompliziert gehalten. „Aber ich gebe zu, ich war neugierig. Es war töricht, so mit dem Feuer zu spielen.“ Er sehne sich nach Frau und Sohn. „Ich habe schon so viel durch diese verblendete ♥♥♥ie verpasst.“
Dann ist der Letzte der Angeklagten dran, Michael H., der frühere Comedian aus Norddeutschland. Und dann weint er, über sich, sein Leben, über alles. Er wolle zurück zu seiner Tochter, seinem Vater und seiner „Holly“. Das ist sein Hund. Michael H. ist für die Bundesanwaltschaft einer der Rädelsführer der Gruppe, er war auf 24 Kanälen vernetzt – von der „Freien deutschen Seele“ bis zu den „Kaisertreuen“. Ein Mann, der zeitweise nichts anderes mehr machte, als Schauergeschichten zu verbreiten. Michael H. hat auch den Kontakt zu einem vermögenden Unterstützer der Gruppe hergestellt – aber das, sagt er, hätte er nicht gemacht, wenn er gewusst hätte, dass es um Waffen ging. Bald muss sein Anwalt für ihn weiterlesen, weil Michael H. die Stimme bricht.
Michael H. war am häufigsten mit Elisabeth R. im Gespräch. Er fand sie wohl überzeugend, interessant, wenn auch „mit einem Schmunzeln“ und obwohl er vieles nicht verstanden hätte. Aber er habe ihr helfen wollen, dreihundert Männer zu finden, mit denen das Deutsche Reich wieder handlungsfähig werden könne. Es gibt abgehörte Telefonate von Michael H., Chats, das alles hört sich recht engagiert an für die Sache der „Vereinten Patrioten“. Und ja, er habe immer recht überschwänglich geredet, sagt er, aber das sei seiner Ausbildung als Verkäufer geschuldet, da müsse man positiv sein. Er selbst habe zwar in Telefonaten so getan, als wenn er zu Aktionen bereit gewesen sei, aber das sei er nicht gewesen. Einer Entführung von Lauterbach hätte er nie zugestimmt, er lehne Gewalt ab.
Und dann sagt er noch: Die Leute, die er bei den wiederholten Treffen der Gruppe kennengelernt habe, seien „total normal“ und „in keinster Weise gewalttätig“ gewesen. „Wer sich hier die Angeklagten anschaut, sieht sofort, dass es sich nicht um Clan-Kriminelle oder überhaupt Menschen handelt, die Kontakte ins kriminelle Milieu haben.“ Als wenn Möchtegern-Terroristen nicht auch gefährlich sein könnten. Einen Umsturz hätten sie sicher nicht geschafft, aber es reicht ja schon, in ein Fernsehstudio zu stürmen und dort Menschen zu verletzen oder sogar zu töten.
Auf jeden Fall, sagt Michael H.: Es sei „total unangebracht“ gewesen, ihnen Waffen anzubieten, um sie dann zu verhaften. Am Ende fleht er das Gericht an: „Geben Sie mir mein Leben zurück. Mir wird hier eine Rolle aufgezwungen, die ich so nie wollte und ablehne.“
Dann sagt der erste Polizist aus, der als verdeckter Ermittler in die Gruppe eingeschleust wurde. Mindestens bis Ende November steht er dem Gericht Rede und Antwort. Weitere Ermittler werden folgen. Allerdings alle unter Ausschluss der Öffentlichkeit, um sie nicht zu gefährden. Es gibt ja da draußen noch mehr Verschwörer.
Diese Leute kann man nicht „zurückgewinnen“.
Es reicht, wenn solche Verwirrten keinen Schaden mehr anrichten können.