Autor Thema: VG München 7 K 17.1334 Zur erkennungsdienstlichen Behandlung eines Reichsbürgers  (Gelesen 977 mal)

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Tenor



I. Der Bescheid der Kriminalpolizeiinspektion Ingolstadt - K 5 vom 3. März 2017 wird in den Nrn. 2 und 3 aufgehoben.



Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.



II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.



III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.



Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand


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Der Kläger wendet sich gegen seine Vorladung zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen.


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Mit Bescheid vom 3. März 2017 forderte die Kriminalpolizeiinspektion Ingolstadt - K 5 (im Folgenden: KPI) den Kläger auf, sich nach telefonischer Anmeldung bei der KPI zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen (Aufnahme von Lichtbildern, Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken sowie Vornahme von Messungen und Personenbeschreibungen) einzufinden (Nr. 1). Für den Fall, dass der Kläger dieser Vorladung bis spätestens 7. April 2017 ohne ausreichenden Grund keine Folge leisten sollte, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 250,- Euro angedroht und festgesetzt. Für den Fall, dass der Kläger weiterhin nicht zur erkennungsdienstlichen Behandlung erscheine, werde wöchentlich ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 50,- Euro fällig (Nr. 2). Für den Fall, dass die erkennungsdienstliche Behandlung unentschuldigt nicht bis 21. April 2017 nach Vollstreckbarkeit des Bescheids erfolgt sein sollte, werde sie mittels unmittelbaren Zwangs durchgesetzt. Für die Anwendung unmittelbaren Zwangs würden Kosten gemäß Art. 58 Abs. 3 PAG erhoben (Nr. 3).


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Als Begründung wurde ausgeführt, die Anordnung der erkennungsdienstlichen Maßnahmen beruhe auf § 81b Alt. 2 StPO. Diese würde nicht der Strafverfolgung, sondern präventiven Zwecken dienen. Der Kläger sei Beschuldigter in dem bei der Staatsanwaltschaft Ingolstadt unter dem Aktenzeichen Az.: 25 Js 1193/17 anhängigen Ermittlungsverfahren wegen versuchter Erpressung. Dieser habe am 1. April 2015 im Rahmen eines Vollstreckungsverfahrens dem zuständigen Gerichtsvollzieher eine schriftliche Erklärung übersandt, in der er u.a. einen Nachweis dessen amtlicher Legitimation gefordert habe. Bei Nichterfüllung der Forderung sei dies die Zustimmung zu einem privaten Pfandrecht in Höhe von 300.000,- Euro. Die Wiederholungsgefahr folge daraus, dass der Kläger in der Vergangenheit wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. So habe er im Zeitraum 20. bis 23. September 2013 eine weibliche Person mehrfach beleidigt und sei hierfür mit Entscheidung des Amtsgerichts Ingolstadt (Az.: 4 Cs 23 Js 16777/13) vom 27. März 2014 zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt worden. Auch habe der Kläger am 23. Dezember 2012 mehrere Personen beleidigt und sei deshalb mit Strafbefehl des Amtsgerichts Ingolstadt (Az.: 4 Cs 24 Js 1665/13) vom 24. April 2013 zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen verurteilt worden. Außerdem habe der Kläger am 5. März 2004 einer männlichen Person mit einem Messer mehrfach in den Oberkörper gestochen und dieser hierdurch erhebliche Verletzungen zugefügt. Auf Grund dessen sei er wegen gefährlicher Körperverletzung durch das Landgericht Ingolstadt (Az.: 1 Ks Js 10399/04; gemeint wohl: 1 Kls 11 Js 10399/04) am 10. Januar 2006 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Selbst empfindliche Freiheitsstrafen sowie wiederholte Geldstrafen würden den Kläger nicht davon abhalten, weitere Straftaten zu begehen. Daher lägen keinerlei Hinweise vor, dass er sein kriminelles Verhalten ändern oder gar ablegen würde. Vielmehr ließen die bisherigen Straftaten den Schluss zu, dass sich darin ein allgemeines Verhaltensmuster offenbare. Die erkennungsdienstliche Behandlung sei insgesamt verhältnismäßig. Das erkennungsdienstliche Material sei geeignet und auch erforderlich, den Kläger aufgrund des erhöhten Entdeckungsrisikos von neuen Taten abzuhalten sowie bei neuen Taten als Täter zu überführen. Andere, weniger einschneidende, aber gleich geeignete Mittel seien auch deshalb nicht ersichtlich, weil der Kläger die mit formloser Vorladung vom 1. März 2017 angebotene freiwillige erkennungsdienstliche Behandlung abgelehnt habe. Schließlich sei die erkennungsdienstliche Behandlung angemessen. Zwar sei diese ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und mit einem Abschreckungseffekt verbunden, der das Verhalten des Betroffenen beeinflussen könne. Auch bestehe die Gefahr, dass der Betroffene weiteren strafrechtlichen Ermittlungen ausgesetzt werde. Die erkennungsdienstliche Behandlung erfolge jedoch nicht anlasslos, sondern aufgrund des geschilderten Verhaltens. Aus diesem ergebe sich auch zukünftig eine Gefahr für die Gemeinschaft. Das legitime öffentliche Interesse, vor solchen Gefahren geschützt zu werden, überwiege das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Schwere des Eingriffs werde dadurch gemindert, dass mit der erkennungsdienstlichen Behandlung nur eine kurze Freiheitsbeschränkung verbunden, das erkennungsdienstliche Material nur bei der Polizei gespeichert und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sei. Zwar sei der Kläger am 8. Juni 2001 bereits erkennungsdienstlich behandelt worden. Inzwischen sei jedoch ein Zeitraum von fast 16 Jahren vergangen. In dieser Zeit verändere sich das Aussehen eines Menschen. Des Weiteren könnten sich auch Finger- und Handflächenabdrücke im Laufe der Jahre durch Verletzungen an der Hand verändern. Um eine effektive Ermittlungsarbeit leisten zu können, müsse die Polizei bezüglich der Fingerabdrücke auf möglichst verlässliche Daten zurückgreifen können. Darüber hinaus könnten Handflächenabdrücke erst seit dem Jahr 2003 abgeglichen werden. Die Androhung und Festsetzung des Zwangsgeldes stütze sich auf Art. 56 und 59 PAG, die Androhung des unmittelbaren Zwangs auf Art. 58 und 59 PAG.


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Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 30. März 2017 Klage erhoben.


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Der Kläger trägt vor, die Voraussetzungen für eine erkennungsdienstliche Behandlung nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 PAG seien nicht erfüllt, da er seine Identität vollumfänglich preisgegeben habe und auch sonst keinerlei Hinweise ersichtlich seien, weswegen eine derartige Feststellung nicht möglich sein solle. Auch die Voraussetzungen nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 PAG seien nicht erfüllt. Aufgrund seiner Vorstrafen seien die Voraussetzungen formelhaft bejaht worden. Dies könne einer rechtlichen Nachprüfung nicht standhalten. Der Geschädigte der Beleidigung habe ihn aufgrund einer erkennungsdienstlichen Maßnahme identifizieren können, die vor 16 Jahren durchgeführt worden sei. Insofern mangle es an der Erforderlichkeit zur Bekämpfung von Straftaten. Darüber hinaus wäre - aufgrund des Delikts der Beleidigung - eine Identitätsfeststellung eine unverhältnismäßige Maßnahme. Überdies habe sich die Polizei von sachfremden Erwägungen leiten lassen. Erst nachdem er mitgeteilt habe, dass er keinerlei Angaben zur Sache machen und zur Vernehmung nicht erscheinen werde, habe man diese Maßnahme angeordnet. Die Maßnahme erfolge deswegen schikanös und nicht zu dem Zweck sie zur Verfolgung von Straftaten und zur Verhinderung künftiger Straftaten einzusetzen. Mit Schreiben vom 5. Dezember 2018 ergänzte der Kläger, dass die Behauptung der Kriminalpolizei, dass er ein Reichsbürger sei, nicht zutreffe, da sog. Reichsbürger sich nicht an geltende Gesetze halten und den Rechtsweg ablehnen würden. Die Beantragung einer gerichtlichen Entscheidung beweise jedoch, dass er den Rechtsstaat annehme. Die Kriminalpolizei versuche ihn als kritischen Bürger, der sich auch öffentlich zur politischen Lage in Deutschland äußere mit - auf bloßen Behauptungen Dritter beruhender - Hausdurchsuchungen sowie ungerechtfertigten Ermittlungsverfahren mundtot zu machen und einzuschüchtern. Eine kritische, ja sogar ablehnende Betrachtung des Staates sei jedoch kein Grund für eine schikanöse Behandlung seitens von Polizei und Behörden. Sogar im Grundgesetz sei die Möglichkeit enthalten eine neue Verfassung für Deutschland zu erarbeiten, solange dies nicht die Ewigkeitsklausel des Grundgesetzes entwerte. Zu den darin enthaltenen Grundsätzen stehe er als überzeugter Anhänger der Demokratie.


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Der Kläger beantragt,



Der Bescheid vom 3. März 2017 wird aufgehoben.


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Die Beklagte beantragt,



Die Klage wird abgewiesen.


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Der Beklagte nimmt zur Begründung Bezug auf den Vorladungsbescheid sowie auf die Entscheidung des Gerichts über den Prozesskostenhilfeantrag vom 17. August 2018.


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Die Beteiligten wurden mit Schreiben vom 27. November 2018 zu einer Entscheidung mittels Gerichtsbescheid angehört.


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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Behördenakte sowie die Akten der Staatsanwaltschaft in den Verfahren Az.: 25 Js 1193/17, 11 Js 10399/04, 24 Js 1665/13 und 24 Js 16777/13 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe


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Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid ergehen, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist, § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Parteien wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO angehört.


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Die zulässige Klage hat nur teilweise Erfolg.


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Die Klage ist lediglich hinsichtlich der Nrn. 2 und 3 des Bescheids vom 3. März 2017 begründet, hinsichtlich der Nr. 1 jedoch unbegründet.


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Die in den Nr. 2 und 3 getroffenen Anordnungen sind mangels Vorliegens der allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 53 Abs. 1 PAG a.F. rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Nach


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Art. 53 Abs. 1 PAG a.F. kann der Verwaltungsakt der Polizei, der auf die Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichtet ist, mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, wenn er unanfechtbar ist oder wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat. Vorliegend ist der mit den Zwangsmitteln i.S.v.


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Art. 54 Abs. 1 PAG a.F. durchzusetzende Verwaltungsakt, die förmliche Vorladung zur erkennungsdienstlichen Behandlung in Nr. 1 des Bescheids vom 3. März 2018, weder unanfechtbar noch entfaltet die erhobene Klage keine aufschiebende Wirkung. Die förmliche Vorladung zur erkennungsdienstlichen Behandlung ist weder nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbar noch wurde die sofortige Vollziehung - vgl. auch die Antragserwiderung im Verfahren M 7 S 17.1338 - besonders angeordnet i.S.v. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Zudem wurde die Klage innerhalb der Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO erhoben, so dass auch keine Unanfechtbarkeit eingetreten ist.


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Demgegenüber ist die in Nr. 1 des Bescheids angeordnete Vorladung zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahme rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen subjektiven Rechten.


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Nach § 81b Alt. 2 StPO dürfen bei einem Beschuldigten, soweit es für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist, Lichtbilder und Fingerabdrücke auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden. Dazu kann er - entweder aufgrund von § 81b StPO (quasi als Annex) oder jedenfalls nach Art. 15 Abs. 1 Nr. 2 PAG a.F. (i.E. dogmatisch strittig, (vgl. Berner/Köhler/Käß, PAG, 20. Aufl. 2010, Art. 15 Rn. 9) - zur Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung schriftlich vorgeladen werden.)


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Der Kläger war zum - insoweit entscheidungserheblichen - Zeitpunkt des Bescheidserlasses (vgl. BayVGH, B.v. 2.4.2015 - 10 C 15.304 - juris Rn. 5 m.w.N.) Beschuldigter eines laufenden Strafverfahrens - des Ermittlungsverfahrens Az.: 25 Js 1193/17 - und damit Beschuldigter i.S.v. § 81b StPO. Dass die Anordnung nur gegen einen Beschuldigten ergehen darf, besagt dabei lediglich, dass sie nicht an beliebige Tatsachen anknüpfen und zu einem beliebigen Zeitpunkt ergehen kann, sondern dass sie aus einem konkret gegen den Betroffenen als Beschuldigten geführten Strafverfahren hervorgehen und sich jedenfalls auch aus den Ergebnissen dieses Verfahrens die gesetzlich geforderte Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung herleiten muss. Die Rechtmäßigkeit der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung bezogen auf das Tatbestandsmerkmal der Beschuldigteneigenschaft entfällt dabei selbst bei einem späteren Freispruch oder der Einstellung des Verfahrens nicht (vgl. BayVGH, B.v. 2.4.2015 - 10 C 15.304 - juris Rn. 6 unter Verweis auf BVerwG, U.v. 23.11.2005 - 6 C 2.05 - juris Rn. 20).


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Ebenso ist die - noch nicht vollzogene - Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. dazu weiterführend BayVGH, U.v. 12.11.2013 - 10 B 12.2078 - juris Rn. 20) notwendig.


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Die Notwendigkeit der angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahmen beurteilt sich grundsätzlich danach, ob der Sachverhalt, der anlässlich eines gegen den Betroffenen gerichteten Strafverfahrens festgestellt wurde, nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalles Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen fördern könnten (vgl. BVerwG, U.v. 23.11.2005 - 6 C 2.05 - juris Rn. 18). Die für diese Prognoseentscheidung maßgeblichen Umstände des Einzelfalls ergeben sich insbesondere aus Art, Schwere und Begehungsweise der dem Beschuldigten im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftaten, aus seiner Persönlichkeit sowie seinem bisherigen strafrechtlichen Erscheinungsbild (st.Rspr. des BayVGH, vgl. etwa B.v. 6.12.2016 - 10 CS 16.2069 - juris Rn. 10 m.w.N.). Aufgrund des präventiven Charakters dieser Maßnahme kann bei der Prognose, ob eine Wiederholungsgefahr vorliegt, der in einem Ermittlungsverfahren erhobene Tatverdacht sogar dann berücksichtigt werden, wenn dieses Ermittlungsverfahren nach den §§ 153 ff. oder § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 23.11.2005 a.a.O.). Denn die Einschätzung der Strafverfolgungsbehörde, das Ermittlungsergebnis gebe nicht genügenden Anlass zur Anklage, steht einer Bewertung des zugrunde liegenden „Anfangsverdachts“ sowie des Ermittlungsergebnisses nach den Maßstäben kriminalistischer Erfahrung nicht entgegen, wenn trotz Einstellung des Strafverfahrens ein „Restverdacht“ verbleibt (vgl. BayVGH, B.v. 6.12.2016 a.a.O.).


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Eine Bewertung aller Umstände des Einzelfalles, v.a. die der Anlasstat und der im Bescheid dargestellten weiteren Sachverhalte („Vortaten“) trägt die Prognose einer Wiederholungsgefahr.


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So ist nicht auszuschließen, dass der Kläger erneut Beschuldigter in einem, dem Anlassverfahren vergleichbaren, Ermittlungsverfahren sein wird.


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Dies folgt zum einen daraus, dass sich der dem Anlassverfahren zugrunde liegende Tatverdacht tatsächlich erwiesen hat. Denn der Kläger wurde in dem Anlassverfahren (Az.: 25 Js 1193/17) mit Strafbefehl vom 5. Mai 2017 - rechtskräftig seit dem


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25. Mai 2017 - wegen versuchter Erpressung gemäß §§ 253 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt.


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Zum anderen folgt dies daraus, dass sich aus der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte des Anlassverfahrens ergibt, dass der Kläger sich der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig fühlt bzw. er sich deren Ideologie als für sich verbindlich zu eigen gemacht hat.


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Der Verfassungsschutzbericht 2016 des Bundes (S. 90) definiert „Reichsbürger“ als eine organisatorisch wie ideologisch äußerst heterogene Szene, der jedoch die fundamentale Ablehnung des Staates, seiner Repräsentanten sowie der gesamten Rechtsordnung gemein ist. Nach dem Verfassungsschutzbericht Bayern 2016 (S. 180 ff.) sind „Reichsbürger“ Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Den Vertretern des Staates sprechen sie die Legitimation ab oder definieren sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Sie berufen sich in unterschiedlichster Form auf den Fortbestand des Deutschen Reiches. Reichsbürger behaupten, Deutschland habe keine gültige Verfassung und sei damit als Staat nicht existent, oder das Grundgesetz habe mit der Wiedervereinigung seine Gültigkeit verloren. Daher fühlen sich Reichsbürger auch nicht verpflichtet, den in der Bundesrepublik geltenden Gesetzen Folge zu leisten. Die Reichsbürgerbewegung wird als sicherheitsgefährdende Bestrebung eingestuft. Die Reichsbürgerideologie insgesamt ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, in dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein (Verfassungsschutzbericht Bayern 2016, S. 185).


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In der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte ist das Fax des Klägers vom 1. April 2015 an den Gerichtsvollzieher enthalten. Dieses beinhaltet unter anderem einen Vertrag über Schadensersatz und Beratungshonorar, auf dem sich der Antragsteller als „natürliche Person nach staatliche § 1 BGB“ bezeichnet. Außerdem enthält dies eine Leben-/Willenserklärung mit integrierter Personenstandserklärung und integriertem Schadensersatzvertrag, in der der Kläger erklärt, dass er seit Geburt Staatsangehöriger des Freistaats Bayern, Rechtsstand 1. Januar 2014, Verfassungsstand 8. Dezember 1946 sei. Zudem besitze er die wahrhaftige Staatsangehörigkeit des Freistaats Bayern und diese könne ihm nicht entzogen werden, da er diese durch Abstammung erhalten habe. Auch sei seine Zugehörigkeit zur Bundesrepublik Deutschland und zur Europäischen Union nichtig. Nach Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913 gehe seine Rechtsstellung als Bayer vor.


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Der Kläger hat dadurch eine für die sog. „Reichsbürgerbewegung“ typische Argumentationslinie zum Ausdruck gebracht. Er hat zu erkennen gegeben, dass er die Bundesrepublik als Staat sowie das geltende Rechtssystem ablehnt. Dies rechtfertigt die Annahme, dass er künftig vergleichbar gegenüber staatlichen Akteuren auftreten, deren Legitimation in Frage stellen sowie deren Handlungen als für sich nicht verbindlich ansehen wird. Es ist zu erwarten, dass er dabei wiederum eine Kostennote, die Androhung eines privaten Pfandrechts sowie einen Vertrag über Schadensersatz und Beratungshonorar vorlegen wird, um seiner Intention Nachdruck zu verleihen. Es besteht somit eine auf Tatsachen gründende Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger auch künftig Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren wegen versuchter Erpressung sein wird.


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Die Einlassungen des Klägers im gerichtlichen Verfahren vermögen - angesichts der eindeutigen, schriftlich getätigten vorhergehenden Äußerungen - an der Einschätzung des Gerichts, dass dieser der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zugehörig ist bzw. er sich deren Ideologie für sich bindend zu eigen gemacht hat, nichts zu ändern.


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Eine glaubhafte Distanzierung von der Ideologie der sog. „Reichsbürgerbewegung“ ist diesen nicht zu entnehmen. Hinsichtlich der Anforderungen an eine glaubhafte Distanzierung kann aufgrund der identischen sicherheitsrechtlichen Schutzrichtung - Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung - die ausländerrechtliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entsprechend herangezogen werden. Dementsprechend ist für eine glaubhafte Distanzierung zu verlangen, dass äußerlich feststellbare Umstände vorliegen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Betroffene seine innere Einstellung verändert hat (vgl. BVerwG, B.v. 25.4.2018 - 1 B 11/18 - juris Rn. 12). Das Erfordernis der Veränderung der inneren Einstellung bedingt es, dass der Betroffene in jedem Fall einräumen muss oder zumindest nicht bestreiten darf, in der Vergangenheit den einschlägigen sicherheitsrechtlichen Tatbestand erfüllt zu haben. Ohne Einsicht des Betroffenen in die Unrichtigkeit des im vorgeworfenen Handelns hat die Ankündigung einer Verhaltensänderung keine glaubwürdige Grundlage (vgl. BayVGH, U.v. 27.10.2017 - 10 B 16.1252 - juris Rn. 53).


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Dem Vorbringen des Klägers lässt sich insgesamt keine diesen Anforderungen genügende, glaubhafte, nachdrückliche Distanzierung von der Ideologie der sog. „Reichsbürgerbewegung“ entnehmen. So räumt der Kläger darin ein Fehlverhalten nicht ein, sondern versucht vielmehr sein Verhalten zu rechtfertigen.


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Ebenfalls ist nicht auszuschließen, dass der Kläger erneut Beschuldigter in einem anderweitigen Ermittlungsverfahren wird. Die diesbezügliche Negativprognose einer Wiederholungsgefahr ist durch die anderen rechtskräftigen Verurteilungen des Klägers wegen verschiedener strafrechtlicher Tatvorwürfe indiziert. So wurde der Kläger mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Ingolstadt vom 24. April 2013 (Az.: 4 Cs 24 Js 1665/13) wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen, mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Ingolstadt vom 27. März 2014 (Az.: 4 Cs 24 Js 16777/13) wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen sowie mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 10. Januar 2006 (Az.: 1 KS 11 Js 10399/04) wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der durch Urteil des Amtsgerichts Pfaffenhofen/Ilm vom 19. Mai 2004 (Az.: LS 11 Js 16216/03) verhängten Freiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die bereits verhängten Strafe ließen den Kläger scheinbar unbeeindruckt und konnten ihn nicht von weiteren Straftaten abgehalten. Es ist somit davon auszugehen, dass die bisherigen Verurteilungen den Kläger nicht davon abhalten werden, künftig erneut straffällig zu werden, so dass die auf Tatsachen gründende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Kläger künftig erneut Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren sein wird.


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Die förmliche Vorladung zur erkennungsdienstlichen Behandlung ist zudem verhältnismäßig und damit auch ermessensgerecht (vgl. zum Ermessen BayVGH, B.v.16.11.2015 - 10 CS 15.1564 - juris Rn. 27). Die Maßnahme ist geeignet und erforderlich. Maßstab für die Prüfung der Erforderlichkeit der - ohne weiteres geeigneten - erkennungsdienstlichen Behandlung ist lediglich, dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die zu führenden Ermittlungen, den Betroffenen letztlich überführend oder entlastend, fördern könnten (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2015 - 10 CS 15.1564 - juris Rn. 17 m.w.N.). Es ist dem Kläger angesichts der erheblichen Wiederholungsgefahr zuzumuten, den relativ geringfügigen Grundrechtseingriff (erneut) hinzunehmen. Im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen ist zu beachten, dass die Schwere des mit der erkennungsdienstlichen Behandlung im Einzelfall verbundenen Grundrechtseingriffs nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht des mit der Maßnahme verfolgten öffentlichen Interesses stehen darf (vgl. VGH BW, U.v. 18.12.2003 - 1 S 2211/02 - juris Rn. 42; NdsOVG, U.v. 28.9.2006 - 11 LB 53/06 - juris Rn. 30 und U.v. 28.6.2007 - 11 LC 372/06 - juris Rn. 36). Das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen bemisst sich nicht nur an der Schwere der in der Vergangenheit erfolgten Anlasstat, sondern auch nach dem Gewicht und der Wahrscheinlichkeit derjenigen Straftaten, bei denen der Betroffene zukünftig zum Kreis der potenziellen Beteiligten gehören kann und zu deren Aufklärung die anzufertigenden Unterlagen dienen sollen (vgl. BayVGH, B.v. 28.11.2012 - 10 ZB 12.1468 - juris Rn. 8). Der Kläger ist bisher vielfach polizeilich und strafrechtlich in Erscheinung getreten. Dabei kann weder bei der Anlasstat von einem Bagatelldelikt gesprochen werden noch weisen die zuvor begangenen Straftaten Bagatellcharakter auf. Zudem ist im Rahmen der Abwägung hinsichtlich des öffentlichen Interesses an der Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen anerkannte Zielsetzung, den Betroffenen künftig von der Begehung entsprechender Straftaten abzuhalten (vgl. BayVGH, B.v. 5.11. 2012 - 10 CS 12.1855 - juris Rn. 13). Insgesamt führt dies zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses - zumal der mit der erkennungsdienstlichen Behandlung verbundene Grundrechtseingriff grundsätzlich als nicht schwerwiegend anzusehen ist (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2008 - 10 C 08.2872 - juris Rn. 13).


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Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Beklagte unterliegt zwar hinsichtlich der Nrn. 2 und 3 des Bescheids vom 3. März 2017. Allerdings handelt es sich dabei nur um ein Unterliegen zu einem geringen Teil im Verhältnis zum gesamten Streitgegenstand, so dass es der Billigkeit entspricht dem Kläger die vollständigen Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.


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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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Ich weiß nicht immer, was ich will, aber ich weiß immer, was ich nicht will.
 
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Der Kläger ist bisher vielfach polizeilich und strafrechtlich in Erscheinung getreten. Dabei kann weder bei der Anlasstat von einem Bagatelldelikt gesprochen werden noch weisen die zuvor begangenen Straftaten Bagatellcharakter auf.


Also ein typisch ausländischer Intensivtäter ...    8)
Merke: Es genügt natürlich nicht, dämlich zu sein. Es soll schon auch jeder davon wissen!

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