Autor Thema: Auch gegen das Finanzamt hilft die HLKO nicht  (Gelesen 4422 mal)

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Offline Ceilo

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Auch gegen das Finanzamt hilft die HLKO nicht
« am: 30. Oktober 2017, 17:16:44 »
Dass die Haager Landkriegsordnung nicht dazu taugt, sich höhere als die üblichen Sozialleistungen zu sichern, mussten ja schon zahlreiche Reichsdeppen erfahren. Dass sie auch nicht weiterhilft, wenn das Finanzamt eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung schickt, das musste nun das FG Schleswig-Holstein (Beschluss vom 15.09.2017 - 4 V 102/17) einer Antragstellerin beibringen. Auch Menschenwürde, Zitiergebot, nicht näher bezeichnetes Europarecht und die fehlende Unterschrift auf der natürlich formularmäßig erstellten Verfügung halfen der Zahlungsunwilligen nicht weiter. Da die Entscheidung bisher wohl nirgends frei zur Verfügung steht, setze ich sie hier rein:

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Die Antragstellerin hat mit ihrem Antrag vom 21. Juni 2017 beantragt, "vorläufigen (bis 24. September 2017) Rechtsschutz (§ 69 Finanzgerichtsordnung - FGO) gegen die Pfändungsverfügung des Finanzamts A vom 06.06.2017" zu gewähren. Sie hat zudem im Rahmen des Verfahrens weiter beantragt, ihr erlassene Beträge in Höhe von 1.209,76 EUR, 452,50 EUR und 543,54 EUR ihrem Konto gutzuschreiben. Diese Anträge legt das Gericht unter Berücksichtigung des Vortrags der Antragstellerin umfassend und rechtsschutzgewährend in dem Sinne aus, dass die Antragstellerin sowohl einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) bis zum 24. September 2017 der Pfändungs- und Einziehungsverfügung (dazu II.), als auch einen Antrag auf einstweilige Anordnung der Einstellung der Vollstreckung bis zum 24. September 2017 (§ 114 FGO; dazu III.), als auch den Antrag auf einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO) einer Gutschrift der von der Antragstellerin benannten Beträge auf ihr Konto (dazu IV.) stellt.

Das in diesem Sinne umfassend verstandene Rechtsschutzbegehren hat keinen Erfolg.

II.

Der Antrag auf eine bis zum 24. September 2017 befristete AdV hat keinen Erfolg. Das Gericht der Hauptsache soll auf Antrag die Vollziehung eines Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 69 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Im Streitfall mangelt es sowohl am Vorliegen ernstlicher Zweifel (dazu 1.)), als auch am Vorliegen einer unbilligen Härte (dazu 2.)).

1.)

a.) Ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 FGO liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -,Beschluss vom 12. November 1992, XI B 69/92, Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFHE - 100, 106, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1993, 263). Da das Aussetzungsverfahren wegen seiner Eilbedürftigkeit und seines vorläufigen Charakters ein summarisches Verfahren ist, beschränkt sich die Überprüfung des Prozessstoffes auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen (insbesondere die Akten der Finanzbehörde) sowie auf die präsenten Beweismittel. Weitergehende Sachverhaltsermittlungen durch das Gericht sind nicht erforderlich (vgl. z. B. BFH-Beschluss vom 21. Juli 1994, IX B 78/94, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 1995, 116). Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen vorzutragen und glaubhaft zu machen. Glaubhaftmachung ist eine Beweisführung, die dem Richter nicht die volle Überzeugung, sondern nur einen geringeren Grad von Wahrscheinlichkeit vermitteln soll. Die im Hauptsacheverfahren geltenden Regeln zur Feststellungslast gelten auch für das Aussetzungsverfahren. Die Tat- und Rechtsfragen brauchen nicht abschließend geprüft zu werden. Bei der notwendigen Abwägung der im Einzelfall entscheidungsrelevanten Umstände und Gründe sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Irgendeine vage Erfolgsaussicht genügt jedoch nicht. Andererseits ist nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14. November 1989, VII B 124/89, BFH/NV 1990, 279; vom 6. September 1989, II B 33/89, BFH/NV 1990, 670).

b.) Nach diesen Rechtsgrundsätzen bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 6. Juni 2017, mit welcher Abgaben in Höhe von 592,71 EUR beigetrieben werden sollen. Denn bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung lagen die Voraussetzungen einer Vollstreckung im Wege einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung im Streitfall vor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Überprüfung einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung grundsätzlich nur Einwendungen gegen die Verfügung selbst zu berücksichtigen sind. Einwendungen gegen die einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung zu Grunde liegenden Steuerbescheide sind nicht im Verfahren gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung zu verfolgen. Solche Einwendungen sind mit den dafür vorgesehenen Rechtsmitteln gegen die jeweiligen Steuerbescheide zu erheben; sie können hier nicht berücksichtigt werden.

aa.) Die Voraussetzungen für eine Vollstreckung im Wege einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung lagen vor: Gemäß § 249 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) können Verwaltungsakte, mit denen eine Geldleistung gefordert wird, im Verwaltungswege vollstreckt werden. Vollstreckbar sind dabei die Hauptforderungen und die mit ihnen verbundenen Nebenleistungen (z.B. Säumniszuschläge).

Das Finanzamt hat insoweit im Schreiben vom 10. Juli 2017 schlüssig und anhand der vorliegenden Aktenlage nachvollziehbar dargelegt, dass mit Bescheid für 2014 vom 10. August 2015 Vorauszahlungen zur Einkommensteuer und zum Solidaritätszuschlag für das Kalenderjahr 2016 in Höhe von vierteljährlich 323,00 EUR (Einkommensteuer) und 16,00 EUR (Solidaritätszuschlag) jeweils am 10. März, 10. Juni, 10. September und 10. Dezember 2016 festgesetzt wurden. Mit Vorauszahlungsbescheid über die Einkommensteuer und den Solidaritätszuschlag vom 7. März 2017 wurden die Vorauszahlungen ab 10. März 2017 auf 310,00 EUR (Einkommensteuer) und 14,00 EUR (Solidaritätszuschlag) vierteljährlich herabgesetzt. Die Einkommensteuervorauszahlungen für das zweite und dritte Quartal 2016 wurden nicht zu den jeweiligen Fälligkeiten entrichtet, sondern im Rahmen einer vorangegangenen Kontenpfändung eingezogen. Aus diesem Grund sind die der streitgegenständlichen Pfändungs- und Einziehungsverfügung zu Grunde liegenden Säumniszuschläge für das zweite und dritte Quartal in Höhe von je 3,00 EUR entstanden. Die Einkommensteuervorauszahlung für das vierte Quartal, welche der streitgegenständlichen Pfändungs- und Einziehungsverfügung zu Grunde liegt, wurde im Rahmen der Einkommensteuer 2016 mit Bescheid vom 23. Mai 2017 auf 213,00 EUR reduziert. Mit diesem nicht beglichenen Rückstand wurde das Guthaben aus Solidaritätszuschlag für 2016 in Höhe von 6,00 EUR aufgerechnet, so dass der der streitgegenständlichen Verfügung zu Grunde liegende Rückstand in Höhe von 207,00 EUR zu Grunde gelegt wurde. Die am 10. März 2017 fällig gewordene Vorauszahlung zur Einkommensteuer in Höhe von 310,00 EUR und zum Solidaritätszuschlag in Höhe von 14,00 EUR wurde ebenfalls nicht entrichtet. Aus diesen Einzelpositionen ergibt sich der Gesamtbetrag in Höhe von 592,71 EUR.

bb.) Gemäß § 251 Abs. 1 AO steht einer Vollstreckung entgegen, wenn die zu Grunde liegenden Steuerbescheide ausgesetzt oder deren Vollziehung durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gehemmt ist. Es ist jedoch weder vorgetragen und belegt, noch sonst aus den Akten ersichtlich, dass die der Pfändungs- und Einziehungsverfügung zu Grunde liegenden Einkommensteuer(vorauszahlungs)bescheide wirksam angegriffen und zudem eine AdV dieser Bescheide gewährt wurde. Insofern sind die Einkommensteuer(vorauszahlungs)bescheide vollziehbar. Gemäß § 254 Abs. 1 Satz 1 AO darf die Vollstreckung erst beginnen, wenn die Leistung fällig ist, der Vollstreckungsschuldner zur Leistung aufgefordert wurde und seither mindestens eine Woche verstrichen ist. Die Abgabenverbindlichkeiten der Antragstellerin aus den Vorauszahlungen zur Einkommensteuer waren jeweils zum Beginn der jeweiligen Quartale (zuletzt also März 2017) fällig geworden. Die entsprechenden Leistungsgebote waren in den Einkommensteuer(vorauszahlungs)bescheiden jeweils enthalten; eine Woche ist seither verstrichen. Darüber hinaus erging am 4. Mai 2017 eine Vollstreckungsankündigung wegen der bestehenden Abgabenverbindlichkeiten.

cc.) Sonach konnte das Finanzamt die streitgegenständliche Summe in Höhe von 592,71 EUR im Wege der Pfändungs- und Einziehungsverfügung geltend machen. Die von der Antragstellerin dagegen erhobenen Einwände greifen nicht durch:

(1) Soweit die Antragstellerin vorträgt, die streitgegenständliche Verfügung zerstöre ihre Lebensgrundlage durch eine Doppelbesteuerung von Rente und Lebensunterhalt, kann dieser Einwand schon deshalb nicht durchgreifen, weil etwaige Einwendungen gegen eine zu Grunde liegende (Doppel-)Besteuerung nicht mit Rechtsmitteln gegen die Vollstreckungsverfügung geltend gemacht werden können (s. oben). Zudem ist - wobei es darauf nicht mehr ankommt - nicht weiter substantiiert dargelegt worden und auch sonst nicht ersichtlich, inwiefern eine Doppelbesteuerung der Einkünfte vorgelegen haben könnte.

(2) Auch die Berufung auf Art. 46 der Haager Landkriegsordnung greift nicht durch. Die Haager Landkriegsordnung (Reichsgesetzblatt II 1910, 107) vom 18. Oktober 1907 findet im Fall von Kriegs-, Waffenstillstands- oder Besatzungszuständen Anwendung. Sie trägt mit ihren Regelungen in den Art. 42 ff. dem Umstand Rechnung, dass im Falle einer kriegerischen Besetzung eines Staates die Rechtsordnung des besetzten Staates zwar weiter existiert, jedoch im Konfliktfalle die Rechtsordnung der Besatzungsmacht vorgeht (vgl. näher und m.w.N.: Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 2. September 1992, 12 K 323/87, Juris). In diesem rechtlichen Zusammenhang ordnet Art. 46 der Haager Landkriegsordnung u.a. an, dass privates Eigentum gegen Übergriffe der Besatzungsmacht geschützt wird. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die Haager Landkriegsordnung im Streitfall jedoch nicht anwendbar. Denn ein Kriegs-, Waffenstillstands- oder Besatzungszustand, welcher von der Haager Landkriegsordnung nach deren Sinn und Zweck erfasst sein könnte, liegt hier seit langem nicht mehr vor (vgl. Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 9. September 2016, 6 K 5470/15, Juris). Darüber hinaus würde Art. 46 zu Gunsten der Antragstellerin auch deshalb nicht eingreifen, da sich diese Regelung ihrem Sinn und Zweck nach allein an die jeweilige Besatzungsmacht als Adressat wendet. Im Streitfall hat jedoch keine Besatzungsmacht gehandelt; vielmehr wurden die Steuergesetze und Verfahrensgesetze der Bundesrepublik Deutschland selbst durch die Verwaltungsbehörden des Bundeslandes Schleswig-Holstein umgesetzt. Handlungen einer etwaigen Besatzungsmacht sind daher hier nicht ersichtlich. Und schließlich ist - wobei es darauf nicht ankommt - darauf hinzuweisen, dass selbst die Haager Landkriegsordnung die Erhebung und Beitreibung von Steuern nicht verbietet, sondern gerade erlaubt. Denn in Art. 48 Haager Landkriegsordnung wird der Besatzungsmacht ausdrücklich zugestanden, Abgaben, Zölle und Gebühren zu erheben (vgl. Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 2. September 1992, 12 K 323/87, Juris).


(3) Der Senat geht im Lichte ihres Vortrags davon aus, dass die Antragstellerin die Existenz der Bundesrepublik Deutschland im hier streitgegenständlichen Verfahren - anders als dies noch im Verwaltungsverfahren anklang - nicht in Abrede stellt. Ein solcher Vortrag, welcher die Existenz der Bundesrepublik in Abrede gestellt hätte, hätte nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung insoweit auch zur Unzulässigkeit des bei Gericht gestellten Antrages geführt (vgl. Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 1. September 2015, 6 K 6106/15, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2015, 2192; Finanzgericht Münster, Urteil vom 14. April 2015, 1 K 3123/14 F, Juris; die hier eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesfinanzhof -BFH- wurde mit Beschluss vom 28. August 2015 - III B 70/15 - als unzulässig verworfen); jedenfalls aber wäre der Antrag insoweit als unbegründet anzusehen (vgl. statt vieler nur Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 15. September 2015, 5 K 150/15, EFG 2015, 2223; Hessisches Finanzgericht, Beschluss vom 23. Oktober 2015, 10 V 1475/15, Juris, jeweils mit weiteren Nachweisen).


(4) Ein Verstoß gegen Art. 1 des Grundgesetzes (GG) ist nicht ersichtlich. Die in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Garantie der Menschenwürde gehört zu den Konstitutionsprinzipien des Grundgesetzes. Mit der Menschenwürde ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen geschützt, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des staatlichen Handelns zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektsqualität prinzipiell in Frage stellt (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 20. Juni 2012, 2 BvR 1048/11, Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen 131, 268). Nach diesen Maßgaben ist eine Verletzung der Menschenwürde nicht ersichtlich. Der Einzug von Steuern - mag er auch als ungerecht empfunden werden - stellt lediglich die verfahrensrechtliche Folge der als Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Lichte des Art. 1 GG nicht zu beanstandenden Steuergesetze dar. Zudem regeln die Verfahrensvorschriften über die zwangsweise Einziehung von Steuern verschiedene Möglichkeiten, welche zur Vermeidung unangemessener Härten zu Gunsten des Steuerpflichtigen Anwendung finden können (z.B. § 258 AO). Auf solche Regelungen kann sich grundsätzlich auch die Antragstellerin berufen; im Streitfall hat sie die Voraussetzungen für eine solche Regelung jedoch nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht (dazu unten, II. 2.), III.).

(5) Auch ein Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG stellt die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Verfügung nicht in Zweifel. Weder die Abgabenordnung, noch das Einkommensteuergesetz sind aufgrund eines Verstoßes gegen das Zitiergebot nichtig. Diese Frage ist in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung bereits mehrfach entschieden worden und auch höchstrichterlich geklärt. Soweit Steuergesetze zu Eingriffen in die Vermögenssphäre von Steuerpflichtigen ermächtigen, stellen sie sich als bloße Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentumsrechts dar, die nicht dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG unterliegen. Darüber hinaus würde ein Verstoß einzelner Vorschriften gegen das Zitiergebot allenfalls zur Teilnichtigkeit des jeweiligen Gesetzes, nicht jedoch zur vollständigen Nichtigkeit führen (vgl. mit zahlreichen Nachweisen Finanzgericht Münster, Urteil vom 14. April 2015, 1 K 3123/14 F, Juris; ebenso mit zahlreichen Nachweisen Hessisches Finanzgericht, Beschluss vom 23. Oktober 2015, 10 V 1475/15, Juris).

(6) Soweit sich die Antragstellerin auf das Recht der Europäischen Union beruft, hat sie nicht substantiiert dargetan, welche Vorschrift aufgrund welcher konkreten Umstände verletzt sein sollte. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Verfügungen sind insoweit nicht begründet.

(7) Soweit die Antragstellerin rügt, die streitgegenständliche Verfügung weise keine Unterschrift oder Siegel, sondern lediglich eine Art "Kringel" auf, führt dies ebenfalls nicht zur Begründung ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Gemäß § 119 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz AO ist eine Unterschrift oder Namenswiedergabe entbehrlich, wenn ein Verwaltungsakt formularmäßig erlassen wird. Diese Regelung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Dezember 1992, 1 BvR 326/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -HFR- 93, 201, Ratschow, in Klein, AO § 120 Rn. 60). Ein solcher formularmäßig erstellter Verwaltungsakt ist in der streitgegenständlichen Verfügung zu sehen, denn bei Pfändungs- und Einziehungsverfügungen handelt es sich um standardisiert nach einem Vordruck produzierte Verwaltungsakte, denen - was für die Formularmäßigkeit unschädlich ist - lediglich die Einzeldaten des Steuerpflichtigen sowie die Höhe der geschuldeten Abgaben beigefügt werden.

(8) Soweit die Antragstellerin Belege von zahnärztlichen Behandlungen beibringt und sich darauf beruft, die Steuerbescheide 2014 und 2015 seien lediglich "vorläufig", stellen diese Einwendungen Beanstandungen an den der Vollstreckung zu Grunde liegenden Steuerbescheiden dar. Einwendungen gegen die Steuerbescheide können jedoch nicht im Rahmen von Rechtsmitteln gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung geltend gemacht werden (dazu oben). Zudem weist der Senat darauf hin, dass die streitgegenständlichen Bescheide - soweit ersichtlich - bereits bestandskräftig sind. Die Anordnung der "Vorläufigkeit" führt nicht dazu, dass nachträglich eingereichte Belege noch zu einer Steuerminderung führen können. Die Vorläufigkeit bezieht sich immer nur auf die in den Bescheiden ausdrücklich benannten Sachverhalte.

(9) Soweit die Antragstellerin vorträgt, es seien verschiedene Erlasse nicht berücksichtigt, begründet dies auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Der von der Antragstellerin dargelegte Erlass in Höhe von 452,50 EUR bezieht sich - was die zu den Gerichtsakten gereichten Kontoauszüge belegen - auf die Zeitabschnitte vor dem Jahr 2016. Die streitgegenständliche Pfändungs- und Einziehungsverfügung hat jedoch lediglich Rückstände ab Ende 2016 zum Gegenstand. Dies gilt auch für die dargelegten Erlasse in Höhe von 336,75 EUR sowie für den Erlass, welcher eine Erstattung bereits im Jahr 2009 zum Gegenstand hat. Soweit die Antragstellerin den Erlass einiger Säumniszuschläge beantragt hat, ist ein darauf erfolgter (weiterer) Erlass nicht ersichtlich; insoweit ist die Antragstellerin auf das gesonderte Erlassverfahren (§ 227 AO) verwiesen.

Darüber hinaus weist das Gericht auf Folgendes hin: Soweit sich die Antragstellerin auf die ihr mitgeteilten Erlasse beruft und moniert, dass die dort benannten Summen (z.B. Erlass für Säumniszuschlag 3Vj 08: 6,25 EUR) trotz dieser Erlassmitteilung in der Forderungsaufstellung zur alten Pfändungs- und Einziehungsverfügung auftauchen (vgl. Mitteilung der Abgabenrückstände vom 3. Januar 2017: Einkommensteuer 3 Vj 2008: 6,25), so liegt das darin, dass die Säumniszuschläge auf Grundlage der Rechtsprechung immer nur zur Hälfte erlassen wurden. Der Erlass von Säumniszuschlägen in einer bestimmten Höhe führt also grundsätzlich nicht dazu, dass die Säumniszuschläge für den jeweiligen Zeitraum wegfallen, sondern lediglich dazu, dass sich diese (in der Regel auf die Hälfte) reduzieren.

2.)

Eine AdV kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt der unbilligen Härte in Betracht.

a.)

Eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung der eingezogenen Beträge nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder, wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz führen würde. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der sich der erkennende Senat anschließt, kommt eine AdV auch bei unbilliger Härte jedoch nur in Betracht, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nicht ausgeschlossen werden können (BFH-Beschluss vom 2. Juni 2005, III S 12/05, BFH/NV 2005, 1834).

b.)

Nach diesen Grundsätzen kommt eine AdV nicht in Betracht, weil aus vorbenannten Gründen keine ausreichenden Anhaltspunkte für etwaige Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung bestehen.

Darüber hinaus reicht der Vortrag der Antragstellerin, wonach ihre Existenz bereits durch die vorangegangene Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 25. November 2016 bedroht sei und sie durch den massiven finanziellen Einschnitt bereits wirtschaftlich erheblich eingeschränkt und der Lebensgrundlage verlustig gegangen sei, nicht aus. Um den Verlust der Lebensgrundlage aufgrund der streitigen Verfügung hinreichend zu belegen, wäre es erforderlich gewesen, dass die Antragstellerin ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend und substantiiert darlegt, mit entsprechenden Unterlagen und sonstigen präsenten Beweismitteln glaubhaft macht und sodann schlüssig vorträgt und glaubhaft macht, dass die Einziehung der 592,71 EUR derart gewichtige wirtschaftliche Nachteile mit sich bringt, dass diese durch eine spätere Rückzahlung nicht ausgeglichen werden können, bzw. dass die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz führen würde. Ein solcher glaubhaft gemachter Vortrag ist indessen nicht erfolgt. Auch ansonsten kann der Senat aus den beigebrachten Unterlagen und Akten eine solche Härte nicht erkennen. Vielmehr folgt aus den aktenkundigen Einkommensteuerbescheiden, dass die Antragstellerin Unterhaltsleistungen in Höhe von rd. 13.700,00 EUR sowie eine Rente über rd. 3.906,00 EUR jährlich bezieht. Dabei ist weiter zu berücksichtigen, dass sie nach dem unwidersprochenen Vortrag des Finanzamts in einem eigenen unbelasteten Einfamilienhaus lebt.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass es der Antragstellerin bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen und zur Abwendung besonderer Härten freigestanden hätte, ein so genanntes Pfändungsschutzkonto einzurichten. Ein solches Pfändungsschutzkonto (vgl. § 850k, 850l Zivilprozessordnung -ZPO-) ist ein auf Guthabenbasis zu führendes Girokonto, welches im Falle einer Kontopfändung dem Schuldner die Verfügung über den monatlichen Pfändungsfreibetrag ermöglicht. Es gilt dem Schutz eines pfändungsfreien Grundfreibetrags und damit der Umsetzung des Sozialstaatsgebots. Die Antragstellerin ist auf diese Möglichkeit vom Finanzministerium bereits mit Schreiben vom 2. Juni 2016 hingewiesen worden, hat hiervor aber ersichtlich keinen Gebraucht gemacht.

III.

Ein Antrag auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung (§ 114 FGO i.V.m. § 258 AO) hat ebenfalls keinen Erfolg.

Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass der im Hauptverfahren geltend gemachte oder geltend zu machende Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) bezeichnet und glaubhaft gemacht werden (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung). Hierzu muss die Antragstellerin den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund rechtlich schlüssig darlegen und deren tatsächliche Voraussetzungen glaubhaft machen (BFH, Beschluss vom 29. November 1984 V B 44/84, BStBl II 1985, 194). Die Glaubhaftmachung erfordert, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Existenz der Tatsache spricht (Stapperfend/Koch, Finanzgerichtsordnung Kommentar, 8. Aufl., § 114 Rz. 57, m. w. N.).

Ein auf § 258 AO gestützter Anordnungsanspruch liegt nicht vor. Nach § 258 AO kann die Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung einstweilen einstellen oder beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben, soweit die Vollstreckung im Einzelfall unbillig ist. Eine Vollstreckung ist nur dann unbillig, wenn die Vollstreckung oder einzelne Vollstreckungsmaßnahmen dem Vollstreckungsschuldner einen unangemessenen Nachteil bringen würde, der durch kurzfristiges Zuwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden könnte (BFH-Beschluss vom 15. Januar 2003 V S 17/02, BFH/NV 2003, 738).

Im Streitfall ist weder hinreichend substantiiert dargelegt, dass die Vollstreckung der 592,71 EUR einen unangemessenen Nachteil mit sich bringt (vgl. oben, II. 2. b.), noch ist hinreichend dargelegt, dass ein solcher etwaiger Nachteil durch kurzfristiges Zuwarten oder eine andere Vollstreckung vermieden werden könnte.

IV.

Ein Antrag gemäß § 114 FGO auf einstweilige Gutschrift der von der Antragstellerin benannten Beträge ist ebenfalls nicht begründet. Insoweit ist nicht hinreichend vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass ein Anspruch auf die Gutschrift besteht (vgl. die Ausführungen zu den Erlassen, II. 2. b.) cc. (9)). Darüber hinaus ist kein Anordnungsgrund ersichtlich, da nicht erkennbar ist, aus welchen Gründen eine solche Gutschrift eilbedürftig sein soll.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO.

Der Beschluss ist unanfechtbar, da Gründe, die Beschwerde zuzulassen, nicht ersichtlich sind, § 128 Abs. 3, § 115 Abs. 2 FGO.

Offline Pantotheus

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Re: Auch gegen das Finanzamt hilft die HLKO nicht
« Antwort #1 am: 30. Oktober 2017, 17:29:21 »
Sehr hübsch! Besonders nett finde ich das obiter dictum zur HLKO, dass diese nämlich Erhebung von Steuern, Abgaben und Gebühren durch die Besatzungsmacht ausdrücklich erlaubt.  :))
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Offline Sandmännchen

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Re: Auch gegen das Finanzamt hilft die HLKO nicht
« Antwort #2 am: 30. Oktober 2017, 22:29:08 »
Das Verrückte dabei ist ja schon, überhaupt so lange abzuwarten, bis der Pfändungsbeschluss kommt. Wenn die Geschäfte mal schlecht laufen, genügt es eigentlich schon, dies dem Finanzamt ein bißchen substantiiert darzulegen und um eine Neubescheidung zu bitten. Man muß nur mal mit den Leuten Kontakt aufnehmen und nicht den Kopf in den Sand stecken ...
soɥdʎsıs sǝp soɥʇʎɯ ɹǝp 'snɯɐɔ ʇɹǝqlɐ –
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dtx

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Re: Auch gegen das Finanzamt hilft die HLKO nicht
« Antwort #3 am: 31. Oktober 2017, 08:07:11 »
Das Verrückte dabei ist ja schon, überhaupt so lange abzuwarten, bis der Pfändungsbeschluss kommt.

Die werden die Bescheide schon "zurückgewiesen" haben, nehme ich an. Nur hilft das am Ende eben nicht wirklich, wenn man - vom üblichen Reichsdeppengeschwafel abgesehen - nichts vorträgt (nichts vorzutragen hat), was auch nur ansatzweise Zweifel an den angefochtenen Verwaltungsakten begründen würde. Eine hilfreiche Begründung wäre bspw. das Nachreichen der verweigerten Steuererklärungen.

Man muß nur mal mit den Leuten Kontakt aufnehmen und nicht den Kopf in den Sand stecken ...

Aber nicht mit einer Obligation, in der man 30.000 Feinunzen Gold fordert. Und was anderes werden die ja nicht von sich geben.

Sehr hübsch! Besonders nett finde ich das obiter dictum zur HLKO, dass diese nämlich Erhebung von Steuern, Abgaben und Gebühren durch die Besatzungsmacht ausdrücklich erlaubt.  :))

Stimmt. Aber was interessiert die Deppen schon irgendein anderer Artikel, wenn sie von dem, auf den sie üblicherweise ihre Unterhaltsforderungen stützen, nicht mal den anderen Satz lesen wollen.
« Letzte Änderung: 31. Oktober 2017, 08:10:38 von dtx »